Von den etwa zwanzig Prozent der Menschen, die an einer der zahlreichen Arten von Schlafstörungen leiden, hat die überwiegende Mehrheit eine erlernte Insomnie. Die psychophysiologische Insomnie ist dabei die häufigste Schlafstörung überhaupt. Die erlernte Schlaflosigkeit oder chronisch psychophysiologische Insomnie hat ihren Ursprung meist in psychischen Belastungen, d.h., die Betroffenen schlafen wegen finanzieller, beruflicher oder anderer Sorgen schlecht. Wer etwa aus der Angst vor wachsenden Anforderungen, vor einem Jobverlust, vor privaten Problemen oder ganz allgemein vor der Zukunft nicht schlafen kann, entwickelt dann eine Angst vor dem Schlafengehen bzw. dem Nicht-schlafen-Können, und handelt sich so über kurz oder lang eine chronische Schlafstörung ein. Im Laufe der Zeit entwickelt sich die Schlaflosigkeit zu einem immer größeren Problem und bleibt, auch wenn die Ursachen der Sorgen längst verschwunden sind. Diese Form der Schlafstörung wird häufig dadurch verschlimmert, dass die Betroffenen vor lauter Angst, nicht einschlafen zu können, einen extremen Druck aufbauen und daher erst recht nicht schlafen können.
Eine Schlafstörung ist oft ein Hinweis auf zu viel Angst, denn Schlaf ist ein Vorgang der Entspannung, doch wenn jemand Angst hat, bedeutet das ein hohes Stresslevel. Eine solche Angst muss dabei nicht auf den ersten Blick erkennbar sein, d.h., es ist meist sehr schwierig, der wahren Ursache einer angestbedingten Schlafstörung auf den Grund zu kommen. Die Menschen haben wohl das Bedürfnis, ganzheitlich gesehen zu werden, doch bei Schlafstörungen herrscht nach Ansicht von Experten ein eigentümlicher Dualismus vor, d. h., viele beharren darauf, dass es etwas Körperliches sein muss, aber es liegen psychologische Gründe vor, wobei sich die Hälfte bis zu zwei Drittel der Betroffenen nicht mit sich selbst auseinandersetzen wollen. Oft ist die Phase einer akuten Angst. d. h., der ursprüngliche Auslöser der Schlafstörung, schon lange vorbei, doch die Schlafstörung hat sich manifestiert.
Akute Angstzustände am Abend und in der Nacht sind übrigens ein weit verbreitetes Phänomen, denn tagsüber sind Menschen normalerweise beschäftigt, egal ob mit Arbeit, Freunden oder Familie, doch in der Nacht gibt es diese Ablenkung nicht und die negativen Gedanken werden präsenter. Auch neigt man zu dieser Zeit dazu, über den vergangenen Tag und alle möglichen Dinge nachzudenken, sodass Menschen bei einer systematischen Wiederholung Probleme bekommen, richtig einzuschlafen. Außerdem ist es des Nachts einsamer und stiller, man greift nicht so schnell zum Mobiltelefon, um einem Freund oder einer Freundin zu schreiben. Hinzu kommen oft Zukunftssorgen, denn in der Nacht erhalten diese mehr Raum in den Gedanken. Schlaf und ein veränderter Bewusstseinszustand können bei Menschen, die ein Trauma erlitten haben, besonders häufig Angstzustände hervorrufen, wobei der Moment des Einschlafens oder der Dunkelheit manchmal wie ein Trigger wirken. Manche Menschen, vor allem die lange zurückliegende Traumata erlitten haben, entwickeln generell eine Angst vor dem Schlafengehen bzw. dem Schlafen, da dann oft Albträume und Flashbacks auf sie warten.
Übrigens: Schlafstörungen sind in den meisten Fällen auch eine äußerst subjektive Erfahrung, denn die oft beklagte dauerhafte und ununterbrochene Schlaflosigkeit ist physiologisch unmöglich, denn Menschen würden schon nach einigen Tagen massive psychische Störungen zeigen. Dennoch glauben viele Menschen, stundenlang im Bett wach zu liegen oder ganze Nächte kein Auge zuzumachen. Erst eine Untersuchung im Schlaflabor kann diesen beweisen, dass sie sehr wohl schlafen, allerdings zeigt sich häufig eine unerwünschte Überaktivität der Gehirnströme im Elektroenzephalogramm, in dem sich vermehrt Beta- und Gammawellen zeigen, ein Zeichen der inneren Rastlosigkeit. Bestätigt wird das in einer Untersuchung von Combertaldi & Rasch (2020), die die elektrische Aktivität des Gehirns mit der Schlafqualität als Gesamtes, die Dauer des Einschlafens, die Menge des Tiefschlafs sowie die Anzahl und die Dauer der Wachphasen während der Nacht gelegt in Beziehung gesetzt haben, wobei die Probanden und Probandinnen auch gefragt wurden, wie sie in der vergangenen Nacht geschlafen hatten und hat die subjektiven Werte mit den objektiven Messungen verglichen. Vor dem Einschlafen wurden die Probanden und Probandinnen instruiert, dass sie in dieser Nacht so gut als möglich oder so schlecht als möglich oder wie normal schlafen sollen, wobei jeder Person selbst überlassen blieb, dies zu bewerkstelligen. Es zeigte sich, dass die Absicht, schlechter zu schlafen, die Zeit zum Einschlafen mehr als das Doppelte erhöhte, gleichzeitig schafften es die Probanden und Probandinnen, die Anzahl der Aufwachreaktionen während der Nacht um siebzig Prozent zu erhöhen und dies, obwohl sie nicht eine größere Wachzeit während der Nacht aufwiesen, d. h., die Probanden und Probandinnen konnten allein willentlich ihre objektiv messbare Schlafqualität signifikant verschlechtern. Dieser Wille zum schlechten Schlaf verschlechterte jedoch nicht nur objektiv messbar den Schlaf und die Schlafqualität, sondern auch die subjektive Einschätzung am nächsten Morgen. Die Teilnehmenden schätzten ein, dass sie willentlich die Einschlafzeit um deutlich mehr als das Dreifache verzögern konnten, wenn sie dies wollten, wobei auch die Schlafqualität am Morgen signifikant schlechter eingeschätzt wurde, d. h., die wahrgenommene Verschlechterung des Schlafs war noch stärker als die objektiven Messungen. Offenbar kann schlechter Schlaf auch bei gesunden Menschen herbeigeführt werden und dies alleine durch Willenskraft, wobei die Probanden und Probandinnen das gleiche Muster zeigten, welches auch bei Menschen mit Schlafstörungen auftritt: subjektiv wird schlechter Schlaf deutlich überschätzt.
Mit Hilfe einer Polysomnografie werden in einem Schlaflabor Herzfrequenz, Gehirnströme und Atmung, aber auch die Muskelspannung der Beine und des Kinns sowie die Bewegungen der Augen gemessen. Meist wird mit einer Infrarotkamera auch die Bewegung der Schlafenden aufgezeichnet. Mit Hilfe der Aufzeichnungen kann ein individuelles Schlafprofil erstellt werden, wodurch eine Diagnose von Schlafstörungen ermöglicht wird.
Studien haben gezeigt, dass Schlafentzug die Neigung zu Ängstlichkeit bei ansonsten gesunden Personen erhöht, wobei Schlafstörungen oft mit Angststörungen verknüpft sind. Das Spektrum reicht dabei von Beeinträchtigungen der Lebensqualität durch übertriebene Ängstlichkeit bis hin zu drastischen Formen wie der posttraumatischen Belastungsstörung oder der generalisierten Angststörung. Obwohl der Zusammenhang zwischen Schlafproblemen und Angst gut dokumentiert ist, gibt es noch immer Unklarheiten über das Ausmaß und die diesem Zusammenhang zugrunde liegenden Mechanismen. Im Rahmen einer Studie haben Ben Simon et al. (2019) die Gehirnaktivität von Probanden mittels funktioneller Magnetresonanztomografie im ausgeschlafenen oder unausgeschlafenen Zustand verglichen. Während eines Gehirnscans wurden die Probanden mit einem emotional aufregenden Video konfrontiert, wobei nach jeder Sitzung durch eine Befragung das persönlich empfundene Angstniveau erhoben wurde. Dabei zeigte sich, dass eine schlaflose Nacht einen Anstieg des Angstniveaus um bis zu dreißig Prozent auslösen kann. Nach einer schlaflosen Nacht war der mediale präfrontale Cortex des Gehirns auffallend inaktiv, also jenes Areal, das eine wichtige Rolle bei der Kontrolle von Angst spielt, während andere emotionale Zentren des Gehirns bei ihnen überaktiv waren. Es zeigte sich auch, dass der Tiefschlaf das ausschlaggebende Element für den emotional stabilisierenden Effekt darstellt, denn besonders der Non-REM-Schlaf führte zu einer Unterdrückung von Ängstlichkeit am folgenden Tag. Tiefschlaf scheint daher den präfrontalen Bremsmechanismus des Gehirns wiederherzustellen, der die Emotionen reguliert, die emotionale und physiologische Reaktivität senkt und damit eine Eskalation der Angst verhindert. Die Ergebnisse deuten vermutlich darauf hin, dass die sinkende Schlafqualität und die Zunahme von Angststörungen möglicherweise ursächlich miteinander verknüpft sind.
Energy Drinks und Schlaflosigkeit
In einer norwegischen Studie wurden Studierende gefragt, wie häufig sie Energy Drinks konsumieren: täglich, (mehrmals) wöchentlich, monatlich (ein- bis dreimal) oder nie/sehr selten. Gleichzeitig wurden sie zu ihrem Schlafverhalten und -rhythmus befragt: wann sie zu Bett gehen und aufstehen, wie lange sie zum Einschlafen brauchen, wie häufig sie aufwachen und wie viel Schlaf sie insgesamt bekommen. Beim Konsum von Energy Drinks gab es große Unterschiede zwischen den Geschlechtern: Bei den Frauen war es etwa die Hälfte, die nie oder sehr selten einen Energydrink trank, bei den Männern waren es 40 Prozent. Nur drei Prozent der Frauen tranken täglich ein solches Getränk, 5,5 Prozent mehrmals pro Woche, bei den Männern waren es fünf bzw. acht Prozent. Im Durchschnitt schliefen diejenigen, die mindestens einen Energydrink pro Tag tranken, eine halbe Stunde weniger als diejenigen, die selten oder nie einen tranken, oft weniger als sechs Stunden pro Woche. Mit steigender Menge nahmen die Auswirkungen auf das Schlafmuster zu: Die Studierenden wachten nachts häufiger auf, brauchten länger zum Einschlafen und schliefen insgesamt weniger. Bei beiden Geschlechtern war die Dosis entscheidend: Mit jedem zusätzlichen Energydrink nahmen auch die Schlafprobleme zu, wobei schon kleinste Mengen offenbar das Schlafverhalten störten, denn selbst wer nur ein- bis dreimal im Monat zum Muntermacher griff, schlief nicht so gut wie völlig abstinente Studierende. Als Ursache wird der hohe Koffeingehalt der Getränke vermutet. Auch wenn es sich bei den Daten nur um eine Korrelation und nicht um einen kausalen Zusammenhang handelt, scheinen Energy Drinks den Schlaf nicht zu fördern.
Literatur
Ben Simon, Eti, Rossi, Aubrey, Harvey, Allison G. & Walker, Matthew P. (2019). Overanxious and underslept. Nature Human Behaviour, doi:10.1038/s41562-019-0754-8.
Combertaldi, S. L. & Rasch, B. (2020). Healthy Sleepers Can Worsen Their Sleep by Wanting to Do so: The Effects of Intention on Objective and Subjective Sleep Parameters. Nat Sci Sleep, 12, 981-997.
https://science.orf.at/stories/3223254/ (24-01-23)
Nicht nur die Schlafstörung selbst ist problematisch, sondern vor allem auch und im Besonderen die Angst vor einer Schlafstörung stört die Gedanken an das Schlafen bzw. das Einschlafen. Wer schon einmal Einschlafprobleme hatte weiß, wie schnell es zu einer Drucksituation kommt, denn der ständige Blick auf die Uhr oder das Smartphone, die fortschreitende Zeit und das Wissen darum, dass in wenigen Stunden wieder volle Leistungsbereitschaft gefragt ist, setzt den Betroffenen zu. Durch die Angst vor der Schlafstörung wird der Schlaf erst so richtig gestört und je mehr sich Betroffene unter Druck setzen, schon in Gedanken bei der unweigerlich folgenden Tagesmüdigkeit sind und sich zwingen wollen einzuschlafen, desto weniger funktioniert es. Ein Teufelskreis entsteht, der die Ursache für die Unaufmerksamkeit am nächsten Tag ist, für Konzentrationsstörungen, für eine schlechte Stimmung, nicht zuletzt für Kopfschmerzen und Tagesmüdigkeit. Wenn die Angst vor Schlafstörungen übermächtig wird, möchten Betroffene am liebsten gar nicht mehr zu Bett gehen, denn unbewusst assoziiert das Gehirn negative Erfahrungen mit der Situation im Bett und gerät bereits in Panik, bevor der Einschlafprozess überhaupt begonnen hat.
Dass manche Menschen auf Reisen oder im Urlaub vor allem in der ersten Nacht schlecht schlafen, liegt daran, dass die linke Gehirnhälfte in der ungewohnten Umgebung in einer Art Habacht-Stellung verharrt und wacher bleibt als die rechte. Untersuchungen in einem Schlaflabor in der ersten und der achten Nacht zeigten, dass in der ersten Nacht die linken Hirnhälften in der sonst erholsamen, langwelligen Tiefschlafphase besonders leicht anzusprechen waren. Um Schlafstörungen der ersten Nacht zu entgehen oder sie zumindest zu lindern, empfiehlt es sich daher, das eigene Kopfkissen mitzunehmen.