In der Wissenschaftstheorie steht der Begriff Synthetics im Sinne Heinz von Foersters nicht für einen etablierten Fachterminus, sondern für eine konzeptuelle Alternative zur klassischen wissenschaftlichen Erkenntnispraxis. Heinz von Foerster unterschied zwischen Science und Synthetics als zwei grundlegend verschiedene Arten, Wissen zu erzeugen und die Welt zu verstehen. Unter Science verstand er den klassischen naturwissenschaftlichen Zugang, bei dem es darum geht, Phänomene zu erklären. Dies geschieht durch Beobachtung, Hypothesenbildung, Experiment und schließlich durch die Formulierung von Gesetzmäßigkeiten, die als objektive Beschreibungen einer vom Beobachter unabhängigen Realität gelten. Ein typisches Beispiel wäre die Erklärung des Fallens eines Apfels durch das Gravitationsgesetz.
Während traditionelle Wissenschaft also auf Erklärung durch Beobachtung, Hypothesenbildung und Gesetzmäßigkeiten zielt, ermöglicht Synthetics einen konstruktiven Zugang zur Erkenntnis, bei dem Wissen durch das aktive Erzeugen, Modellieren und Bauen von Systemen entsteht. Erkenntnis wird hier nicht als objektive Abbildung einer vom Beobachter unabhängigen Realität verstanden, sondern als Ergebnis eines kreativen Prozesses, in dem der Beobachter selbst Teil des zu untersuchenden Systems ist. Diese Perspektive steht im Kontext der Kybernetik zweiter Ordnung und des radikalen Konstruktivismus, die davon ausgehen, dass Wirklichkeit nicht entdeckt, sondern erzeugt wird. Synthetics fragt nicht danach, was die Welt ist, sondern danach, wie sie konstruiert werden kann – im Sinne von von Foersters Leitsatz: „If you want to understand, build it.“ In diesem Sinne bezeichnet Synthetics eine epistemologische Haltung, in der Verstehen durch das Schaffen funktionaler Modelle oder Systeme möglich wird. Es handelt sich also um eine praxisorientierte Form der Erkenntnistheorie, in der Konstruktion als Mittel des Verstehens dient. Ziel von Wissenschaft ist hier nicht, die Welt so zu beschreiben, wie sie ist, sondern Systeme zu erschaffen, die sich wie die beobachteten Phänomene verhalten, denn Erkenntnis entsteht nicht durch objektive Beobachtung, sondern durch die aktive Beteiligung und Konstruktion des Beobachters. Ein Beispiel wäre der Bau eines künstlichen intelligenten Systems, um Intelligenz zu verstehen.
Diese Unterscheidung veranschaulicht von Foerster besonders im Kontext der Kybernetik zweiter Ordnung, in der der Beobachter selbst Teil des Systems ist, das er beschreibt. Während Science also auf Erklärung und Objektivität abzielt, verfolgt Synthetics einen kreativen und konstruktiven Ansatz, der auf das mögliche Entstehen von Wissen durch Konstruktion fokussiert ist. Wie er es selbst formulierte: „Science attempts to explain what is. Synthetics attempts to create what can be.“ (von Foerster, 1974, S. 211).
Literatur
von Foerster, H. (1974). Cybernetics of Cybernetics. In University of Illinois (Ed.), Cybernetics of Cybernetics (pp. 211–213). Champaign, IL: Biological Computer Laboratory.
Stangl, W. (1989). Das neue Paradigma der Psychologie. Die Psychologie im Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn.