Zum Inhalt springen

Psychopathie

    Psychopathie bezeichnet eine schwere Persönlichkeitsstörung, die bei den Betroffenen mit dem weitgehenden oder völligen Fehlen von Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen einhergeht. Psychopathen gelten als furchtlos, impulsiv, gefühlskalt und manipulativ, und waren oft schon in ihrer Kindheit wenig empfänglich für Bestrafung durch Eltern oder Lehrer. Die Psychologin Lydia Benecke betont, dass nicht jeder Psychopath ein Krimineller wird oder die Lust am Töten verspürt. Psychopathen sind nach ihrer Erfahrung mit Sexualstraftätern dabei entgegen manchen Klischeevorstellungen weder besonders intelligent noch hätten sie einen Tötungsdrang. Die Wurzel des Bösen sind eher eine Mischung von genetischer Veranlagung und sozialem Umfeld, stark ausgeprägtem Risikoverhalten und Narzissmus. Schon in der Theologie sind in den sieben Todsünden die Grundlagen zur Psychopathie zu finden.

    Die Psychopathie ist wenig erforscht, auch wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf Extremfälle und Straftäter gerichtet haben. Das ist insofern nicht verwunderlich, als der Anteil der Psychopathen unter Häftlingen etwa bei zwanzig Prozent liegt, wobei diese  etwa dreimal so häufig rückfällig werden wie andere. Nach Ansicht von Niels Birbaumer, der Gehirne von psychopathischen Straftätern untersuchte, zeigen Psychopathen nachweislich weniger Angst, d. h., dass jene Gehirnareale, die mit Angst zu tun haben, bei Psychopathen wenig aktiv sind. Durch die fehlende Angst fürchten vermutlich kriminelle Psychopathen die Folgen ihrer Taten nicht und haben weniger Schuldgefühle, denn auch Gefühle wie Reue entstehen durch Angst vor Bestrafung. Auch die Regionen im limbischen System, in dem Gefühle verarbeitet werden, sind bei Psychopathen insgesamt weniger aktiv. Bei Psychopathen ist vermutlich auch die Suche nach Belohnung sehr stark ausgeprägt, was sich experimentell in übertriebenen Dopamin-Reaktionen zeigt. Man vermutet aber auch, dass bei kriminellen Psychopathen jener Teil des Gehirns beeinträchtigt ist, der sie aus den Konsequenzen ihrer Taten lernen ließe. Psychopathen können sich vermutlich zwar kurzfristig anpassen, sind aber langfristig nicht in der Lage, aus Fehlern zu lernen. In Psychopathengehirnen zeigte sich manchmal auch das Urbach-Wiethe-Syndrom, eine seltene Erbkrankheit. Bei dieser erst vor wenigen Jahren beschriebenen, genetisch bedingten Krankheit kommt es zu einer selektiven Verkalkung von Gefäßen innerhalb der Amygdala – einem Teil des limbischen Systems. Das Gefühl für Gut und Böse verschwindet, und mit ihm das Gespür für Relevantes und Irrelevantes. Gespräche mit Betroffenen haben etwas Surreales: Die Kranken ignorieren die Kernpunkte und beißen sich an zufällig ausgewählten Banalitäten fest. Ihnen fehlt also der normalerweise vorhandene Gefühlssinn dafür, was sich zu merken lohnt. (Stangl, 2018).

    In einer Studie wurden verurteilte Psychopathen untersucht und mit anderen Menschen verglichen. Beiden zeigte man Videos, in denen etwa eine Hand eine andere Hand streichelt oder einen Finger greift und umknickt. Im Gehirn der Kontrollgruppe spiegelte sich wider, was in einer Person passiert, die Zuneigung oder Schmerz empfindet, während sich bei den Psychopathen im Gehirn wenig Aktivitäten zeigten. Dieser Unterschied verschwand jedoch, wenn die Probanden und Probandinnen aufgefordert wurden, mit den Videos mitzufühlen. Vermutlich haben auch Psychopathen die Fähigkeit, mit anderen Menschen mitzufühlen, aber sie setzen sie offenbar nur dann ein, wenn es ihnen etwas nützt.

    Hervey Cleckley beschrieb Menschen mit psychopathischer Persönlichkeit und stellte fehlende Reue angesichts grausamer Taten, rücksichtsloses Verhalten gegenüber Mitmenschen und die kunstvolle Fähigkeit, andere charmant um den Finger zu wickeln, als wesentliche Eigenschaften fest. Robert Hare (s. u.) entwickelte eine Checkliste zur Erkennung von Psychopathie, wobei sich bei deren Anwendung zeigte, dass Menschen mit psychopathischen Eigenschaften auch in führenden Positionen zu finden sind, etwa als Unternehmensleiter,  Anwälte oder Chirurgen, was offensichtlich daran liegt, dass Menschen mit wenig Emotionen erfolgreicher sein können. Menschen mit psychopathologischer Neigung haben nicht nur weniger Angst, sondern treten meist sehr selbstsicher auf, stehen gerne im Mittelpunkt und haben weniger die Befürchtung, dass andere Menschen sie ablehnen. Solche Eigenschaften sind im wirtschaftlichen Alltag durchaus vorteilhaft. Dazu sind im Gegensatz Menschen, die sehr wenige psychopathische Merkmale aufweisen, eher ängstlich, unsicher und zurückhaltend sind. In einer schwedischen Langzeitstudie (Obschonka et al., 2013) wurden etwa eintausend Sechstklässler eines Jahrgangs 37 Jahre lang begleitet, wobei vor allem moralische Einstellungen und die Häufigkeit der Regelverstöße und Gesetzesbrüche interessierten. Es zeigte sich, dass spätere Unternehmensgründer in ihrer Jugend eine deutlich höhere Tendenz zu antisozialem Verhalten hatten, d. h., sie schwänzten die Schule, hielten sich nicht an die Verbote der Eltern oder schwindelten bei Prüfungen. Als Teenager griffen sie eher zu Drogen als spätere Angestellte und so mancher zukünftige Unternehmer ließ in Geschäften etwas mitgehen. Allerdings haben sich die frühen antisozialen Tendenzen vor allem auf geringere Vergehen beschränkt, denn kriminelle Karrieren schlugen die späteren Unternehmensgründer nicht häufiger ein als andere Jugendliche. Sobald sie im Berufsleben standen, unterschied sich ihr soziales Verhalten kaum mehr von jenem der Nicht-Gründer. Zwar sehen die Autoren der Studie das Vorurteil, Unternehmer seien antisozial und nur auf ihren eigenen Nutzen bedacht, durch die Ergebnisse nicht bestätigt, allerdings müssten Gründer oft viel riskieren, d. h., es gebe eine Nähe zu Nonkonformismus, wobei dieser Mut zum Risiko im regelwidrigen Verhalten seine Begründung in der rebellischen Jugend haben könnte. Widerspenstigkeit und das Infragestellen von Grenzen kann offenbar zu einer Grundlage für produktiven und sozialverträglichen Unternehmergeist werden.

    Gullapalli et al. (2021) haben jüngst einen automatisierten Ansatz für die Quantifizierung der Kopfdynamik während auf Video aufgezeichneter klinischer Befragungen entwickelt, da sie vermuteten, dass die Kopfdynamik mit psychopathischen Merkmalen in Zusammenhang stehen könnte. Der Datensatz bestand aus Videoaufzeichnungen bei lebensgeschichtlichen Interviews von inhaftierten erwachsenen Männern. Dabei deutete die Verweildauer darauf hin, dass Menschen mit einem höheren Maß an psychopathischen Merkmalen durch stationärere Kopfpositionen gekennzeichnet sind, die direkt auf die Kamera bzw. den Interviewer gerichtet sind, als Menschen mit geringeren psychopathischen Merkmalen. Das deutet daher auch auf entwicklungsbedingte antisoziale Merkmale der Psychopathie hin, dass also Menschenn mit schwerem und lebenslang anhaltendem antisozialem Verhalten eine starrere und fokussiertere Ausrichtung ihres Kopfes während der zwischenmenschlichen Kommunikation zeigen.
    Man vermutet, dass es eine genetische Veranlagung für Psychopathie gibt, denn typische psychopathologische Verhaltensweisen finden sich bereits bei Kindern, wobei diese ihren MitschülerInnenn gegenüber gleichgültig und kaltherzig, besonders aggressiv und grausam sind, indem sie etwa Tiere quälen. Bei Psychopathien sind bestimmte Gehirnareale für Mitgefühl und Impulskontrolle unterentwickelt. Eine genetische Veranlagung bedeutet jedoch nicht, dass diese Eigenschaften unveränderbar sind, wobei eine problematische Kindheit die Psychopathie meist verstärkt. Männliche Psychopathen haben oft schon als Jugendliche zahlreiche Vorstrafen und sind teilweise offen aggressiv, während Mädchen weniger auffallen, begehen eher Bagatelldelikte oder verhalten eher antisozial, indem sie Gerüchte streuen. Psychopathie ist bei Frauen insgesamt seltener und weniger stark ausgeprägt.

    Als Psychopathen bezeichnet man ganz allgemein demnach Menschen, die schwer gestört sind, fortwährend gesellschaftliche Regeln verletzen, häufig Straftaten begehen und über gering ausgeprägte soziale Emotionen wie Mitgefühl oder Reue verfügen. Psychopathen sind auf den ersten Blick mitunter charmant unauffällig und verstehen es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei sind sie mitunter sehr manipulativ, um ihre Ziele zu erreichen. Oft mangelt es Psychopathen an langfristigen Zielen, sie sind impulsiv und verantwortungslos. Psychopathie geht häufig mit antisozialen Verhaltensweisen einher, so dass begleitend oft die Diagnose der dissozialen/antisozialen Persönlichkeitsstörung gestellt wird.

    Übrigens zeigen Psychopathen und Soziopathen oft das gleiche Verhalten, denn sie respektieren keine Gesetze oder sozialen Normen, erkennen anderen das Recht auf Selbstbestimmung ab, tendieren zu manipulativem und gewalttätigem Verhalten und zeigen dabei keine Schuld- oder Reuegefühle. Der Unterschied liegt jedoch darin, dass Soziopathen durchaus Gefühle besitzen, diese jedoch nicht unter Kontrolle haben. Besonders Angst und Wut entgleiten ihnen, denn sie sind irritierbar, fühlen sich ausgegrenzt, beleidigt oder falsch behandelt, und tendieren in solchen Situationen zu impulsivem und aggressivem Verhalten, sodass sie oft am Rande der Gesellschaft leben, keinen Beruf und keine Partnerschaft haben. Zwar wünschen sich Soziopathen engere Bindungen zu anderen Menschen, doch gelingt es ihnen durch ihre Reizbarkeit nur selten, diese aufzubauen und über längere Zeit aufrechtzuerhalten. Die Ursachen liegen häufig in der frühen Kindheit und sind das Ergebnis gewalttätiger oder verarmter Beziehungen, d. h., diese Menschen haben nie gelernt ihre Gefühle zu regulieren. Psychopathen hingegen sind äußerst charmant, chronische Lügner und verfügen auf den ersten Blick über eine große soziale Kompetenz, wobei es ihnen durch ihre manipulative Art schnell gelingt, das Vertrauen anderer Menschen zu gewinnen, obwohl es ihnen an Mitgefühl oder authentischen Bindungen zu anderen Menschen fehlt. Psychopathen sind meist gut in die Gesellschaft integriert, haben einen Beruf, Partner und Kinder.

    Die Psychopathie-Checkliste von Robert D. Hare wird (2016) als eines von mehreren Instrumenten für die Begutachtung von Straftätern eingesetzt, wobei in einigen amerikanischen Bundesstaaten das Ergebnis dieses Tests sogar über die Anwendung der Todesstrafe entscheidet. Hare sieht in der Psychopathie keine Krankheit, sondern nur eine mögliche Ausprägung der natürlichen neurologischen Variationsbreite des Menschen. Aus der Perspektive der evolutionären Psychologie sind die Strukturen und Funktionen des psychopathischen Gehirns bei solchen Menschen zwar ein wenig anders, aber diese prädatorischen Wesenszüge können sich unter bestimmten Umständen durchaus als erfolgreich erweisen.

    Die Psychopathie-Checkliste von Hare unterscheidet zwei Dimensionen der Psychopathie:

    Dimension 1: ausnützerisch
    trickreich sprachgewandter Blender mit oberflächlichem Charme
    erheblich übersteigertes Selbstwertgefühl
    pathologisches Lügen (Pseudologie)
    betrügerisch-manipulatives Verhalten
    Mangel an Gewissensbissen oder Schuldbewusstsein
    oberflächliche Gefühle
    Gefühlskälte, Mangel an Empathie
    mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit, Verantwortung für eigenes Handeln zu übernehmen

    Dimension 2: impulsiv
    Stimulationsbedürfnis (Erlebnishunger), ständiges Gefühl der Langeweile
    parasitärer Lebensstil
    unzureichende Verhaltenskontrolle
    frühere Verhaltensauffälligkeiten
    Fehlen von realistischen, langfristigen Zielen
    Impulsivität
    Verantwortungslosigkeit
    Jugendkriminalität
    Verstoß gegen Bewährungsauflagen bei bedingter Haftentlassung
    Hinzu kommen häufig Promiskuität, viele kurzzeitige ehe(ähn)liche Beziehungen und polytrope (vielgestaltige) Kriminalität.

    Nach Robert D. Hare lassen sich Psychopathen unter anderem auch daran erkennen, dass sie ein psychopatisches Starren in ihrer nonverbalen Kommunikation aufweisen, wobei es sich dabei um einen intensiven Augenkontakt und einen stechenden Blick handelt.

    Zur Begriffsverwendung Psychopath

    Der Begriff Psychopath besaß früher einen wertenden Charakter, denn so sprach der deutsche Psychiater Julius Ludwig August gegen Ende des 19. Jahrhunderts von psychopathischen Minderwertigkeiten, und nach Kurt Schneider waren Psychopathen abnorme Persönlichkeiten, die eine Extremvariante einer bestimmten Wesensart darstellen, die mit Leidensdruck für die Betroffenen bzw. die Umwelt verbunden ist, wobei er zwischen verschiedenen Psychopathie-Typen wie dem depressiven, dem gemütlosen oder dem fanatischen Typus unterschied. Das Konzept des Psychopathen wurde in der Folge durch das der Persönlichkeitsstörungen ersetzt, aber in den 1990er Jahren im angloamerikanischen Sprachraum wieder aufgegriffen, ist aber nicht deckungsgleich mit früheren Darstellungen eines Psychopathen (siehe oben).

    Unterscheidungsmerkmal zum Soziopathen

    Die Art des Psychopathen, andere zu manipulieren und für seine Zwecke auszunutzen, ist eher kühl, berechnend. Während ein Soziopath eher laut wird, sich im Ton vergreift, beleidigend und lautstark verletzend wird, ist der Psychopath subtil, verletzt oft eher durch Schweigen an empfindlichen Stellen oder durch Bemerkungen, Andeutungen und kryptischen Ansagen.

    Psychopathische Menschen in Unternehmen

    Menschen mit psychopathischen Eigenschaften gelten als kalt, durchtrieben und manipulativ, verspüren keine Reue oder Schuldgefühle, obwohl sie oft auf Kosten anderer leben. Menschen mit dieser Persönlichkeitsausprägung kommen in der Karriere dennoch häufig besonders weit, da sie risikobereit, charmant und rücksichtslos zugleich sind. Sie stehen aber auch im Ruf, schädlich für Unternehmen zu sein, was von riskanten Alleingängen über die Schädigung von Mitarbeitern bis hin zum Drogen- und Alkoholkonsum reicht. Untersuchungen (Blickle & Schütte, 2017) bestätigten die bisher wenig beachtete Annahme, dass Psychopathie zwar zu antisozialem Verhalten führen kann, aber nicht zwangsläufig muss, denn nur die toxische Form von Psychopathie ist durch antisoziale Impulsivität gekennzeichnet, während die potenziell gutartige Form von Psychopathie hingegen als eine Art von furchtloser Dominanz betrachtet werden kann. Menschen mit dieser Eigenschaft haben wenig Angst, sind stressresistent, verfügen über ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein und gute soziale Fertigkeiten, was für ihre Umwelt durchaus positiv sein kann. Ob aus einem Menschen mit furchtloser Dominanz ein Top-Mitarbeiter werden kann, hängt in erster Linie vom Faktor Bildung ab, denn während Menschen mit furchtloser Dominanz und niedriger Bildung ein Verhalten an den Tag legen, das Unternehmen schädigen kann, werden Menschen mit hoher Bildung von ihren Kollegen eher als tüchtig und in keiner Weise als antisozial auffällig beurteilt. Blickle & Schütte (2017) gehen nach ihrer Untersuchung daher davon aus, dass Menschen mit hoher furchtloser Dominanz, überdurchschnittlicher Intelligenz und einer erfolgreichen Bildungskarriere vor allem auch für emotional belastende Berufsfelder gut geeignet sind, etwa als Krisenmanager oder Notfallärzte.


    (…) beunruhigende Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass psychopathisches Verhalten in den Reihen des Senior Managements möglicherweise häufiger vorkommt, als wir denken – tatsächlich häufiger als solches ernsthaft abweichendes Verhalten in der allgemeinen Bevölkerung auftritt. (…) Mehrere Fähigkeiten machen es schwierig, Psychopathen so zu sehen, wie sie sind. Erstens sind sie motiviert und haben ein Talent dafür, „Menschen zu lesen“ und sie schnell einzuschätzen. Sie identifizieren die Vorlieben und Abneigungen einer Person, Motive, Bedürfnisse, Schwachstellen und Verletzlichkeiten. (…) Zweitens scheinen viele Psychopathen ausgezeichnete mündliche Kommunikationsfähigkeiten zu haben. In vielen Fällen sind diese Fähigkeiten eher offensichtlich als real, weil sie bereit sind, ohne die sozialen Hemmungen, die die meisten Menschen behindern, direkt in ein Gespräch einzusteigen… Drittens sind sie Meister im Umgang mit Eindrücken; ihre Einsicht in die Psyche anderer in Kombination mit einer oberflächlichen – aber überzeugenden – sprachlichen Gewandtheit ermöglicht es ihnen, ihre Strategie gekonnt entsprechend der Situation und ihrem Spielplan zu ändern.
    Victor Lipman: The Disturbing Link Between Psychopathy And Leadership. Forbes.


    Die Elemente des Bösen

    Der psychiatrische Gerichtsgutachter Reinhard Haller konstatiert vier Elemente des Bösen: die einseitige Machtverteilung zwischen Täter und Opfer, die Planung, die Entmenschlichung und den Empathie-Mangel. Dabei hält er den Mangel an Empathie für das zentrale Merkmal des Bösen. Je mehr von diesen vier Faktoren erfüllt sind, desto böser ist die Tat. Das Böse wandelt sein Gesicht in den letzten Jahren, wobei Taten durch immer kleinere Vorfälle ausgelöst werden, wobei den meisten Taten Kränkungen vorausgehen. Eine der Hauptursachen für böse Taten liegt daher auch im Zeitgeist, denn es gibt eine Wertschätzungsblockade, d. h., die Menschen tragen die Urangst in sich, nicht geliebt zu werden.

    Weibliche Psychopathie

    Lydia Beneckes – Psychologin und Straftätertherapeutin – untersucht in ihrem Buch „Psychopathinnen – die Psychologie des weiblichen Bösen“ explizit die weiblichen Seite des Bösen. Ein Beispiel ist für sie die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory, die zu Beginn des 17. Jahrhunderts im Zuge zahlreicher grausamer Morde an jungen Mädchen verurteilt wurde. Sie ist eine der wenig bekannteren Fälle weiblicher Psychopathie, denn das gesellschaftlich vorherrschende Bild von Psychopathie werde zumeist von männlichen Figuren in Hollywood-Filmen geprägt, etwa durch die Figur des Hannibal Lecter. Auch wird aber das Phänomen der weiblichen Psychopathie noch nicht so lange erforscht, und noch in den 1930er-Jahren hat man angenommen, dass diese Störung bei Frauen gar nicht auftreten kann.

    Die auf die männlichen Betroffenen zugeschnittenen Urteilskategorien passen daher nicht auf die Frauen, denn bei ihnen äußert sich Psychopathie aufgrund biologischer und gesellschaftlich-kultureller Umstände in anderen Bereichen, was auch mit geschlechterrollenspezifischen Erwartungen und Normen zusammenhängt. Entgegen der allgemeinen Wahrnehmung bestehe bei Psychopathie kein zwangsläufiger von innen heraus angetriebener Tötungsdrang, sondern es haben die sozialen Umstände einen großen Einfluss. Früher hat eine Frau im Falle einer unglücklichen Ehe, da eine Scheidung zu gesellschaftlicher Ächtung geführt hätte, ihren Ehemann womöglich vergiftet.

    Trotzdem bestehen auch grundlegende Gemeinsamkeiten im Verhalten von Psychopathen und Psychopathinnen, etwa die Unfähigkeit, Angst, Mitgefühl oder Schuldgefühle zu empfinden. Psychopathie äußert sich außerdem in äußerst manipulativem Verhalten gegenüber den Mitmenschen, wobei Männer häufiger eher mit physischer Gewalt agieren, nutzen Frauen typischerweise die soziale und emotionale Manipulation. Das hängt vor allem mit den Persönlichkeitsstörungen zusammen, deren unterschiedliche Kombinationen einer Psychopathie zugrundeliegen. Psychopathinnen machen sich häufig die Rollenklischees von Frauen zunutze, denn Frauen planen ihre Verbrechen nicht nur eiskalt, sondern sie bleiben meist auch länger unentdeckt. Die Taten von Psychopathinnen richten sich besonders häufig gegen die eigene Familie, wobei Themen wie Kindstötung und Missbrauch häufig zu finden sind. Auffällig ist bei Frauen auch die Diskrepanz, dass sie zunächst normal, sogar nett und freundlich erscheinen, wobei die Auffälligkeiten im Denken, Handeln und Fühlen von der Umgebung häufig übersehen werden.

    Literatur

    Blickle, G. & Schütte, N. (2017). Trait psychopathy, task performance, and counterproductive work behavior directed toward the organization. Personality and Individual Differences, 109, 225–231.
    Gullapalli, Aparna R., Anderson, Nathaniel E., Yerramsetty, Rohit, Harenski, Carla L. & Kiehl, Kent A. (2021). Quantifying the psychopathic stare: Automated assessment of head motion is related to antisocial traits in forensic interviews. Journal of Research in Personality, 92, doi:10.1016/j.jrp.2021.104093.
    Heinzen, H., Seibert, M., Schulte Ostermann, M., Huchzermeier, C. & Eisenbarth, H. (2014). Diagnostische Verfahren zur Messung von psychopathischen Persönlichkeitsmerkmalen. Praxis der Psychotherapie, 24, 106-137.
    Hare, R. D. (2016). Psychopathy, the PCL-R, and Criminal Justice: Some New Findings and Current Issues. Canadian Psychology, 57, 21-34.
    Obschonka, M., Andersson, H., Silbereisen, R. K., & Sverke, M. (2013). Rule-breaking, crime, and entrepreneurship: A replication and extension study with 37-year longitudinal data. Journal of Vocational Behavior. DOI: 10.1016/j.jvb.2013.06.007
    Stangl, W. (2018). Gehirn, Gefühle und Emotionen. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnEmotion.shtml (2018-10-05).
    Stangl, W. (2017, 14. Juli). Woran kann man Psychopathen erkennen? Stangl notiert ….
    https://notiert.stangl-taller.at/praxiswissen/woran-kann-man-psychopathen-erkennen/
    http://de.wikipedia.org/wiki/Psychopathie (11-01-02)
    Westdeutsche Zeitung vom 16. September 2018.
    WWW: https://www.wz.de/nrw/krefeld/kultur/psychopathinnen-sind-anders-gefaehrlich-als-maenner_aid-33020365 (18-09-16)
    https://www.forbes.com/sites/victorlipman/2013/04/25/the-disturbing-link-between-psychopathy-and-leadership/?sh=5caf8034104a (13-04-25)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    Ein Gedanke zu „Psychopathie“

    1. Berufe, in denen PsychopathInnen arbeiten sollen … und in welchen nicht …

      In einem Newsletter fanden sich eine Liste von zehn Berufen, in denen angeblich viele PsychopathInnen arbeiten:
      GeschäftsführerInnen
      Anwälte und Anwältinnen
      TV & Radio
      Sales
      Chirurgie
      Journalimus
      Polizei
      Geistliche
      Köche und Köchinnen
      BeamtInnen
      … und eine Liste von zehn Berufen, in denen angeblich wenige PsychopathInnen arbeiten:
      Pflegepersonal
      Krankenschwestern und -pfleger
      TherapeutInnen
      HandwerkerInnen
      KosmetikerInnen und StylistInnen
      Wohltätige Organisationen
      LehrerInnen
      KünstlerInnen und Kreative
      Ärzte und Ärztinnen
      BuchhalterInnen

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

    Inhaltsverzechnis