Zum Inhalt springen

Wahrnehmung

    Das Auge sieht nur, was der Geist bereit ist, zu begreifen.
    Henri-Louis Bergson

    Kurzdefinition: Wahrnehmung ist das Produkt zweier nacheinander ablaufender Prozesse, dem Prozess der Informationsaufnahme und dem Prozess der Informationsverarbeitung.

    In der Psychologie bedeutet Wahrnehmung die Aufnahme, Interpretation, Auswahl und Organisation von Informationen, die zur Anpassung an die Umwelt durch z.B. Kommunikation notwendig ist. Wahrnehmung ist damit eine sehr allgemeine Bezeichnung für den Informationsgewinnn durch Umwelt- und Körperreize, wobei in der Psychologie zwischen der inneren und der äußeren Wahrnehmung unterschieden werden kann. Die innere Wahrnehmung meint die Körperwahrnehmung wie Gefühle oder Schmerzen, die äußere Wahrnehmung bezieht sich auf die Umweltwahrnehmung von vorwiegend Mitmenschen und Gegenständen. Die Wahrnehmung ist ein psychophysischer Prozess, bei dem der Organismus eine mehr oder minder anschauliche Repräsentation seiner Umwelt und des eigenen Körpers erhält, indem er äußere und innere Reize aufnimmt und verarbeitet.

    Was Menschen wahrnehmen, ist aber in hohem Maße auch kontextabhängig, denn das menschliche Gehirn versucht sich stets der Umgebung und ihren Herausforderungen anzupassen. Das kann man schön an einer lange zurückliegenden Geschichte zeigen: Im Jahre 1824 beklagten sich die Pariser über die Qualität der Stoffe einer renommierten Textilfabrik, denn die bunten Garne, die man ihnen im Ausstellungsraum gezeigt hatte, wären nicht diesselben wie in den Stoffen, die nach Hause mitgenommen hatten. Allerdings lag dieser Unterschied nicht an der materiellen Beschaffenheit der Stoffe, sondern an der Wahrnehmung der Käufer, denn der bunte Kontext, in dem die Kunden die Stoffe im Ausstellungsraum wahrgenommen hatten, veränderte sich dann zu Hause, denn für sich alleine betrachtet sehen Farben stets anders aus als eingebettet in den Kontext anderer Farben.

    Als Wahrnehmung bezeichnet die Psychologie also jenen komplexen Prozess, bei dem die sensorischen Informationen im Gehirn des Menschen organisiert und interpretiert werden, denn erst dieser Prozess ermöglicht es dem Lebewesen, die Bedeutung von Gegenständen und Ereignissen zu erkennen. Beim Wahrnehmen werden die ursprünglich einzelnen Empfindungen zu ganzheitlichen Abbildern von Dingen oder Ereignissen zusammengefügt (Perzeption). Eine gute Wahrnehmung setzt aber nicht nur den Einsatz aller Sinne voraus, sondern auch Fähigkeiten wie z.B. Aufmerksamkeit, Konzentration, das Auswählen relevanter Informationen aus der großen Menge an Eindrücken, den Perspektivenwechsel, das Analysieren, Ordnen und Abspeichern von Informationen.

    Damit Menschen überhaupt in der Lage sind, Wahrnehmungen zu haben, müssen sie auf Vorwissen zurückgreifen, das in ihrem Gehirn gespeichert ist. Die Sinnessignale, die dabei zur Verfügung stehen, müssen Menschen aufgrund dieses Vorwissens interpretieren. Vorwissen besitzt man zum Teil über die Gene, da die Architektur des Gehirns Ausdruck des Wissens über die Welt ist, und dieses Weltmodell ergänzt man immer mehr durch eigene Erfahrung, nachdem man geboren wurde. Auch diese Erfahrungen werden in den Verbindungen zwischen den Nervenzellen gespeichert und im Laufe der Zeit entweder konsolidiert oder abgeschwächt, wobei jeder Mensch ein leicht anderes Schema im Kopf entwickelt. In der dinglichen Welt, in der die Menschen aufwachsen, haben diese daher mit ähnlichen Erfahrungen und ähnlicher genetischer Ausstattung auch ein ähnliches Vorwissen entwickelt. Menschen, die in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen sind, werden etwa soziale Signale anders wahrnehmen, weil sie dafür ein anderes Schema im Kopf haben. Da diese Menschen aus einer anderen Kultur es aber genau so konkret für sich selbst wahrnehmen wie die anderen, kann man daher auch nicht davon ausgehen, dass eine Wahrnehmung richtig ist, nur weil eine Mehrheit innerhalb ihres Kulturkreises es so wahrnimmt. Wahrnehmungen sind daher immer an das Individuum gebunden, es erschafft sich seine Wahrnehmungen selbst, doch sie sind insofern vergleichbar, als man sich darüber verständigen kann.

    So erschafft etwa die Hälfte der am menschlichen Sehvorgang beteiligten Nervenzellen im Gehirn auf der Grundlage der Sinnesdaten und der individuellen sowie der evolutionären Erfahrung aktiv erst die innere Welt der bewussten Wahrnehmung, wobei in diese visuelle Wahrnehmung auch Anteile phylogenetischer und ontogenetischer Erfahrung hineinspielen, d.h., das optische Bild, das man wahrzunehmen vermeint, wird zum großen Teil vom Gehirn selbst erst konstruiert. Vor allem in neuen und ungewöhnlichen Situationen ist hier viel Platz für Sinnestäuschungen, denn gerade dann verrechnet das menschliche Gehirn das Gesehene unbewusst mit dem vorhandenen Erfahrungshintergrund.

    Bei der optischen Wahrnehmung nimmt das Auge den Reiz wahr, dieser wird dann an die zuständigen Gehirnareale weitergeleitet, die schließlich einen Sinneseindruck produzieren. Danach erfolgt die sensorische Integration, also der Abgleich mit bereits gespeichertem Wissen und damit die eigentliche Wahrnehmung. Ohne eine aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, die im Laufe des Lebens Vergleichsobjekte im Gedächtnis abspeichert, könnte das menschliche Gehirn gar nicht auf Bilder und Assoziationen zurückgreifen, um im konkreten Augenblick zu erkennen, was ein Objekt ist, wobei neben dem Sinnesreiz die aktuelle Empfindungen, die Einstellungen und Annahmen über die eigene Person und die Welt entscheidend für die Bewertung des konkreten Wahrnehmungseindrucks sind. Daher gibt es auch nicht eine, sondern viele Realitäten, wobei diese verschiedene Realitäten nebeneinanderstehen können. Realität ist daher immer ein subjektives Abbild einer wie auch immer gearteten objektiven Wirklichkeit, die davon abhängig ist, welche Verarbeitungsleistung das Gehirn hat, welche Erfahrungen der Wahrnehmende gemacht hat, welche Grundannahmen sich daraus entwickelt haben und wie sich dieser Menschen aktuell in einer konkreten Situation fühlt. So kann eine Flutwelle einmal ein faszinierendes Naturschauspiel sein, gleichzeitig aber ein bedrohendes Szenario.

    Zu den wichtigsten Merkmalen der sinnlichen Erkenntnis gehören die Gegenständlichkeit, die Ganzheitlichkeit, die Strukturiertheit, die Konstanz und die Sinnerfüllung. Die Gegenständlichkeit der Wahrnehmung äußert sich im Objektivierungsakt, d.h. dadurch, dass der Mensch beim Wahrnehmen prüft, ob die von der Umwelt empfangenen Informationen mit der objektiven Realität übereinstimmen. Dabei werden die Objekte der Umgebung nicht nur nach ihrer äußeren Formgebung, Gestalt bestimmt, sondern auch unter dem Aspekt ihrer praktischen Anwendung oder im Hinblick auf ihre we­sentlichen Eigenschaften. Bei Nichtübereinstimmung zwischen der Umwelt und ihrem Abbild ist das perzipierende Subjekt gezwungen, nach neuen Wahrnehmungsmethoden zu suchen, die das betreffende Objekt passender widerspiegeln. Die Ganzheitlichkeit entsteht bei der Wahrnehmung erst nach, indem die durch verschiedene Kanäle aufgenommenen Informationen über isolierte Merkmale und Eigenschaften zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Im Zusammenhang damit steht die Strukturiertheit der Wahrnehmung, denn über die einzelnen Empfindungen und ihre Summe nehmen Menschen auch eine bestimmte räum­liche oder zeitliche Struktur, eine Regelhaftigkeit in den Erscheinungen wahr, wodurch ein Objekt erst seine Bedeutung gewinnt. Bekanntlich verändern Objekte ihr Aussehen unter den verschiedenen Bedingungen der Wahrnehmung beständig, dennoch sind Menschen in der Lage sind, diese Veränderungen zu kompensieren und das relativ Konstante an den Dingen herauszufiltern (Wahrnehmungskonstanz). Diese Konstanz in der Wahrnehmung ist wie die anderen Wahrnehmungsmerkmale nicht angeboren, sondern ein Ergeb­nis der Umwelterfahrung, ausgebildet durch das aktive Wirken eines perzeptiven Systems auf die Umwelt (Bildung von Schemata). Aus der Vielzahl der sich ständig ändernden Be­wegungen der Rezeptoren und den dadurch entstehenden Empfindungen gliedert das wahrnehmende Subjekt eine relativ konstante, invariante Struktur der Welt heraus. Hinzu kommt, dass das Wahrnehmen des Menschen eng mit dem Denken zusammenhängt, d.h., dass ein Ob­jekt bewusst wahrzunehmen auch bedeutet, es gedanklich zu benennen, es einer bestimmten Klasse oder Gruppe von Phänomenen zuzuordnen und auch mit Hilfe der Sprache zu verallgemeinern. Auch bei völlig unbekannten Gegenständen sind Menschen bestrebt, Ähnlichkeiten mit Bekanntem zu finden und sie als Vertreter einer bestimmten Kategorie zu identifizieren. Erst eine optimale In­terpretation gibt dem Gegenstand einen geeigneten Sinnzusammenhang, wobei dieser im Laufe der Entwicklung von einer Reihe subjektiver Faktoren bestimmt wird. Wie ein Gegenstand wahrgenommen wird, wird nicht allein von den Sinnesorganen sondern von der ganzen Persönlichkeit bestimmt, unter anderem von der Beziehung des wahrnehmenden Subjekts zum Objekt, von den aktuellen Bedürfnissen, Strebungen, Wünschen, Interessen und Gefühlen (Apperzeption). Je mehr Kenntnisse und Erfahrungen ein Mensch hat, desto reicher ist daher seine Wahrnehmung und desto mehr kann er beim Betrachten eines Gegen­standes erkennen. Der Inhalt der Wahrnehmung wird aber auch von den Zielen, Motiven und Einstellungen des Wahrnehmenden bestimmt.

    Sprache und Wortschatz als Hilfsmittel der Wahrnehmung

    Um irgendetwas in der eigenen Umgebung wahrzunehmen, muss man es als anders als die anderen Objekte der Umwelt wahrnehmen, d. h., das Objekt der Wahrnehmung muss irgendwie hervorstechen, wofür man in der Regel ein Hilfsmittel benötigt, diesen Unterschied zu definieren und zu identifizieren, das Objekt einzugrenzen und genau zu bestimmen, was es einzigartig und unverwechselbar macht, und dieses Mittel ist in den meisten Fällen die Sprache bzw. der verfügbare Wortschatz. Mithilfe der Sprache kann man ordnen und verarbeiten, was man erlebt, wobei das, was man sprachlich nicht erfassen kann, oft große Schwierigkeiten bereitet bzw. unter Umständen dann auch gar nicht existiert. Ein Bereich, in dem Menschen oft Probleme haben, sind Emotionen, wobei auch hier der verfügbare Wortschatz den entscheidenden Werkzeugkasten bildet, um mit Emotionalem umzugehen. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Fähigkeit, Gefühle zu identifizieren und präzise zu benennen, dazu führt, dass Menschen in belastenden Situationen weniger überwältigt sind und ihre dann oft negativen Emotionen besser handhaben können. So erzielten in einer Studie von Menschen mit Arachnophobie, die im Zuge eines Versuchs ihren emotionalen Wortschatz erweiterten, um zu beschreiben, was die Konfrontation mit einer Spinne in ihnen auslöst, größere Fortschritte im Umgang mit ihrer Angst als Menschen, die andere Methoden wie Ablenkung oder Reframing nutzten. Indem Menschen ihre Gefühle benennen, erkennen und identifizieren, ordnen sie diese ein, was eine Basis dafür bilden kann, sie besser zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren (Stangl, 2019).

    Kritischer Zustand der Netzwerke als möglicher Selektionsmechanimus der Wahrnehmung

    Raschelnde Blätter, leichter Regen am Fenster, eine leise tickende Uhr, dumpfe Geräusche, knapp oberhalb der Hörschwelle werden in einem Augenblick einmal wahrgenommen, im nächsten nicht mehr, auch wenn man sich selbst oder sich die Töne nicht verändert haben. So haben Studien gezeigt, dass man einen eintreffenden Reiz, etwa ein Ton, ein Bild oder eine Berührung, jeweils anders verarbeitet, selbst wenn der Reiz genau derselbe ist. Das liegt daran, dass wie sehr ein Stimulus die zuständigen Hirnregionen aktiviert, vom momentanen Zustand der Netzwerke abhängt, zu denen diese Regionen gehören. Unklar ist jedoch, was diesen ständig schwankenden Zustand der Netzwerke beeinflusst und ob dieser zufällig entsteht oder einem Rhythmus folgt. Stephani et al. (2020) haben nun herausgefunden, wie diese Verarbeitung funktioniert, wobei eine entscheidende Rolle dabei ein kritischer Zustand spielt. Untersucht hat man diese Zusammenhänge anhand tausender kleiner aufeinanderfolgender elektrischer Ströme, die man an den Unterarm der Teilnehmer anlegte, um den Hauptnerv im Arm anzuregen. Diese Stimulationen führten wiederum 20 Millisekunden später im somatosensorischen Cortex zu einer ersten Reaktion, wobei man anhand der EEG-Muster sehen kann, wie leicht jeder einzelne Stimulus das Gehirn erregt. Das Gehirn reagiert nämlich umso stärker auf einen Reiz, je stärker die Netzwerke in dem Moment angeregt werden können, in dem die Reiz-Information in den Cortex, eintritt. Je nach Zustand sind die Nervenzellen im primären somatosensorischen Cortex leichter oder schwerer erregbar, wobei die Erregbarkeit darüber entscheidet, wie der Reiz weiter verarbeitet wird, d. h., sie beeinflusst bereits am Eingang zur Großhirnrinde darüber, wie das Gehirn mit einem Reiz umgeht und nicht erst auf höheren, nachgeschalteten Ebenen.

    Es gibt immer eine gewisse Aktivität zwischen den Neuronen eines Netzwerks, auch wenn scheinbar keine äußeren Einflüsse auf dieses wirken, d. h., das System ist also nie vollkommen inaktiv. Vielmehr erhalten sie ständig Informationen, etwa aus dem Körperinneren, denn sie wachen über den Herzschlag, die Verdauung oder die Atmung, über die Position im Raum und intern erzeugte Gedanken. Die Neuronen sind selbst dann aktiv, wenn sie von jeglichem Input isoliert sind, sodass diese internen Prozesse ständig die Erregbarkeit bzw. Bereitschaft verschiedener Hirnnetzwerke beeinflussen. Deren Dynamik bestimmt letzlich die Erregbarkeit des Systems und damit auch die Reaktion auf einen Reiz. Dabei ist es aber nicht dem Zufall überlassen, wie stark der Cortex erregbar ist, denn der Wechsel zwischen geringerer und stärkerer Reizbarkeit folgt einem bestimmten zeitlichen Muster, wobei der jeweils aktuelle Zustand vom vorherigen abhängt und wiederum den nachfolgenden beeinflusst. Man spricht hier von einer langfristigen zeitlichen Abhängigkeit oder einer langanhaltenden Autokorrelation. Dass der Cortex so in seiner Erregbarkeit variiert, deutet darauf hin, dass sich seine Netzwerke nahe an einem sogenannten kritischen Zustand befinden, d. h., sie schwanken stets in einem empfindlichen Gleichgewicht zwischen Erregung und Hemmung. Möglicherweise ist dieser kritische Zustand entscheidend für die Gehirnfunktion, denn durch ihn können möglichst viele Informationen übertragen und verarbeitet werden, sodass dieses Gleichgewicht auch darüber entscheiden könnte, wie das Gehirn Sinneseinflüsse verarbeitet. Es dient vermutlich als Anpassungsmechanismus, um mit der Vielfalt von Informationen zurechtzukommen, die ständig aus der Umwelt eintreffen, d. h., ein einziger Reiz sollte weder das gesamte System auf einmal erregen noch zu schnell wieder verschwinden.
    Unklar ist jedoch noch, was das für die subjektive Wahrnehmung bedeutet, denn hier werden wohl auch andere Prozesse eine Rolle spielen, etwa die Aufmerksamkeit. Lenkt man diese auf etwas anderes, kann der eintreffende, weniger beachtete Reiz zwar trotzdem eine erste, starke Hirnreaktion hervorrufen, doch höhere nachgelagerte Prozesse im Großhirn könnten dann verhindern, dass dieser bewusst wahrgenommen wird.

    Die Geschwindigkeit der Wahrnehmung verändert sich seit dem frühem Erwachsenenalter

    Oft leiden ältere Menschen unter Gedächtnis- oder Konzentrationsproblemen und befürchten, darin die Anzeichen einer beginnenden Demenz zu erkennen. Daher sind Untersuchungen wichtig, die herausfinden, wie sich die Wahrnehmung und Aufmerksamkeit im Alter verändern und worin sich diese Veränderungen beim gesunden Altern von einer beginnenden Demenz unterscheiden. So weiß man, dass die Geschwindigkeit aller geistigen Prozesse mit dem Lebensalter kontinuierlich abnimmt, und zwar linear bereits ab dem jüngeren Erwachsenenalter. Es zeigt sich, dass die Wahrnehmung stark von Erwartungen beeinflusst wird, wobei nicht alle Aufmerksamkeitsleistungen bei gesunden älteren Menschen verringert sind, und dass auch diese noch sehr gut in der Lage sind, sich auf Wichtiges zu konzentrieren und dabei Hinweise zu nutzen, um ihre Aufmerksamkeit und Wahrnehmung zu verbessern.

    Auch ist das Nachlassen der Wahrnehmungsgeschwindigkeit im Alter individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt, was offenbar damit zusammenhängt, ob und wie stark sich die Organisation von Hirnnetzwerken verändert. Man fand in Untersuchungen typische Veränderungen in der Konnektivität bestimmter Areale, die im Zusammenhang mit der Verlangsamung der Sinnesverarbeitung stehen.

    Übrigens: Viele Wissenschaftler sind der Ansicht, dass man Wahrnehmung im Allgemeinen als kontrollierte Halluzination betrachten kann, denn auch die alltägliche Wahrnehmung hängt nicht allein von Sinneseindrücken ab. Die Fähigkeit, erfolgreich mit anderen Menschen zu kommunizieren, ist generell für den Alltag von grundlegender Bedeutung, wobei noch nicht endgültig geklärt ist, wie das menschliche Gehirn aus akustischen Sprachsignalen eine Bedeutung ableitet oder die Kommunikationspartner anhand ihrer Gesichter erkennen kann. Spracherkennung hängt dabei einerseits von der Klarheit der akustischen Eingabe als auch andererseits von dem ab, was ein Mensch zu hören erwartet, denn so kann sich etwa bei ungünstigen Hörbedingungen wie in einer Videokonferenz mit schlechter Audioqualität, die Wahrnehmung dessen, was gesagt wurde, deutlich zwischen den Hörern unterscheiden, obwohl alle das identische Sprachsignal erhalten haben. Auch bei der Gesichtserkennung hängen die Reaktionen des Gehirns auf Gesichter von Vorerwartungen ab und spiegeln nicht nur die dargestellten Gesichtsmerkmale wider. Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass Wahrnehmung ein aktiver Prozess ist, bei dem eingehende sensorische Informationen im Hinblick auf Erwartungen interpretiert werden, wobei die neuronalen Mechanismen, die eine solche Integration sensorischer Signale und Erwartungen unterstützen, noch identifiziert werden müssen. Die Bedeutung, die ein Reiz bekommt, ist in hohem Ausmaß geprägt von den Annahmen und der Erfahrung mit der Welt, sodass Halluzinationen vielleicht nur eine falsche Gewichtung von Erfahrungen und Erwartungen gegenüber einem ankommenden Reiz darstellen.

    Siehe dazu auch Wahrnehmungspsychologie.

    Literatur

    Ruiz-Rizzo, Adriana L. et al. (2019). Decreased cingulo-opercular network functional connectivity mediates the impact of aging on visual processing speed. Neurobiology of Aging, 73, 50-60.
    Haupt, M., Sorg, C., Napiórkowski, N. & Finke, K. (2018). Phasic alertness cues modulate visual processing speed in healthy aging. Neurobiology of Aging, 70, 30-39.
    Stangl, W. (2019, 4. März). Sprache und Wortschatz als Hilfsmittel der Wahrnehmung. Stangl notiert …
    https:// notiert.stangl-taller.at/grundlagenforschung/sprache-und-wortschatz-als-hilfsmittel-der-wahrnehmung/
    Stephani, T., Waterstraat, G., Haufe, S., Curio, G., Villringer, A. & Nikulin, V. V. (2020). Temporal signatures of criticality in human cortical excitability as probed by early somatosensory responses. Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.0241-20.2020.
    https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/wissen/mensch/2050332-Computer-von-Intelligenz-himmelweit-weg.html (20-02-15)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

    Inhaltsverzechnis