Kama Muta

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Kama Muta (Sanskrit für „von Liebe bewegt“) bezeichnet eine soziale Emotion, die in der psychologischen Forschung als das universelle Gefühl des „Berührtseins“ oder „Ergriffen-Seins“ definiert wird. Das Konzept wurde maßgeblich von Alan Fiske und Beate Seibt im Rahmen der Relational Models Theory entwickelt und beschreibt die affektive Reaktion auf die plötzliche Intensivierung einer gemeinschaftlichen Teilhabe (Communal Sharing).

Kama Muta tritt auf, wenn eine soziale Bindung, die durch Liebe, Großzügigkeit, Mitgefühl oder Zugehörigkeit geprägt ist, unerwartet stark hervortritt oder erneuert wird. Physisch manifestiert sich diese Emotion häufig durch charakteristische Begleiterscheinungen wie Gänsehaut, Tränenfluss, ein Wärmegefühl in der Brust oder ein Kloßgefühl im Hals, begleitet von einer meist positiven Valenz, auch wenn sie oft in traurigen Kontexten wie etwa Beerdigungen vorkommt.

Psychologisch führt das Erleben von Kama Muta zu einer erhöhten Motivation, prosozial zu handeln, Gemeinschaften zu stärken und freundlich gegenüber anderen zu sein. Die Emotion ist kulturübergreifend nachweisbar und wird durch Reize ausgelöst, die eine tiefe menschliche Verbundenheit symbolisieren. Ein klassisches Beispiel ist das Beobachten einer unerwarteten Versöhnung zwischen zwei zerstrittenen Personen oder die kollektive Begeisterung während eines Sportereignisses oder Konzerts, bei dem sich das Individuum als Teil eines größeren Ganzen fühlt. Auch die Geburt eines Kindes, die altruistische Hilfe eines Fremden oder die ästhetische Erfahrung von Kunst und Musik, die Themen der menschlichen Verbundenheit aufgreifen, fungieren als typische Trigger.

Im Gegensatz zur reinen Freude ist Kama Muta spezifisch an die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen gekoppelt, d. h., man ist nicht bloß glücklich, sondern „bewegt“. Die Forschung legt nahe, dass diese Emotion eine evolutionäre Funktion erfüllt, indem sie den sozialen Zusammenhalt festigt und die Identifikation mit der eigenen Gruppe oder der Menschheit als Ganzes vertieft.

Abgrenzung zu verwandten Emotionen

Empathie wird oft als Voraussetzung für Kama Muta gesehen, ist aber nicht dasselbe. Empathie bezeichnet die Fähigkeit, die Gefühle einer anderen Person nachzuempfinden (Mitfühlen). Wenn Sie das Leid einer Person teilen, fühlen Sie Schmerz oder Trauer. Kama Muta entsteht erst in dem Moment, in dem in dieser Situation eine soziale Bindung aktiv wird – zum Beispiel, wenn Sie sehen, wie die leidende Person getröstet wird. Man ist dann nicht mehr nur „mitfühlend“, sondern „gerührt“ von der gezeigten Liebe oder Solidarität.

Nostalgie hingegen ist eine sehnsuchtsvolle Rückschau auf die Vergangenheit. Sie enthält oft ein Element von Kama Muta, wenn die Erinnerung eine vergangene tiefe Verbundenheit (z. B. an die Kindheit oder verstorbene Angehörige) reaktiviert. Der entscheidende Unterschied ist jedoch der zeitliche Fokus: Nostalgie ist auf das „Damals“ gerichtet und oft bittersüß, während Kama Muta eine unmittelbare, gegenwärtige Reaktion auf eine (wieder-)erlebte Verbundenheit ist.

Ehrfurcht (Awe) tritt auf, wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das unsere Vorstellungskraft übersteigt (z. B. der Sternenhimmel oder ein gewaltiges Gebirge). Während Ehrfurcht uns „klein“ fühlen lässt und oft mit kognitiver Akkommodation (dem Anpassen unserer Weltsicht) einhergeht, ist Kama Muta spezifisch „warm“ und auf zwischenmenschliche Nähe bezogen. Man kann Ehrfurcht vor der Natur empfinden, ohne sich sozial verbunden zu fühlen; Kama Muta hingegen benötigt zwingend das Element der gemeinschaftlichen Liebe.

Mitleid ist primär auf das Unglück anderer gerichtet und hat eine negative Valenz. Kama Muta kann zwar in traurigen Momenten auftreten, wird aber als überwiegend positiv und herzerwärmend empfunden, da der Fokus nicht auf dem Leid, sondern auf der zwischenmenschlichen Antwort darauf (Hilfsbereitschaft, Beistand) liegt.

In der Medienpsychologie und im Marketing wird das Potenzial von Kama Muta gezielt genutzt, um eine tiefe emotionale Bindung zwischen Konsumenten und Marken oder Botschaften aufzubauen. Da Kama Muta eine prosoziale Motivation auslöst – also den Wunsch, anderen etwas Gutes zu tun oder Teil einer Gemeinschaft zu sein –, ist es ein mächtiges Werkzeug für virale Kampagnen und Verhaltensänderungen.

Einsatz in Medien und Marketing

In der Werbung wird oft das sogenannte „Emotional Storytelling“ eingesetzt, um Kama Muta zu evozieren. Typische Narrative umfassen:

  • Wiedervereinigungen: Emotionale Szenen, in denen sich Menschen (oder Tiere) nach langer Trennung wiederfinden.
  • Unerwartete Güte: Fremde, die sich in einer Notlage gegenseitig helfen, ohne einen Gegenwert zu erwarten.
  • Triumph über Widrigkeiten: Protagonisten, die durch die Unterstützung ihrer Gemeinschaft über sich hinauswachsen (die klassische „Heldenreise“).

Wirkung auf die Rezipienten

  • Markenloyalität und Vertrauen: Wenn eine Marke erfolgreich Kama Muta auslöst, wird sie nicht mehr nur als kommerzieller Akteur, sondern als Teil des eigenen sozialen Wertekanons wahrgenommen. Studien zeigen, dass Menschen Marken, die sie „berühren“, ein höheres Vertrauen entgegenbringen.
  • Viralität: Inhalte, die Kama Muta auslösen, werden deutlich häufiger geteilt. Das Bedürfnis, das Gefühl der Verbundenheit mit anderen zu teilen, ist ein natürlicher Bestandteil dieser Emotion.
  • Politische Kommunikation: In der politischen Werbung wird Kama Muta genutzt, um Brücken zu bauen oder die Identifikation mit einer Gruppe zu stärken. Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass bewegende Videos (z. B. über Patriotismus oder universelle menschliche Werte) sogar Vorurteile gegenüber anderen Gruppen kurzzeitig verringern können.
  • Fundraising und Non-Profit: Hilfsorganisationen nutzen Kama Muta, um Spendenbereitschaft zu erhöhen. Anstatt nur Leid zu zeigen (was eher Abwehr oder reines Mitleid auslöst), zeigen erfolgreiche Kampagnen den Moment der Hilfe und der menschlichen Verbindung, was die Zuschauer dazu motiviert, selbst Teil dieser positiven Veränderung zu werden.

Ein klassisches Beispiel aus der Werbewelt ist die „Sarah und Juan“-Werbung eines Kaugummiherstellers, die die jahrelange Beziehungsreise eines Paares zeigt, dokumentiert auf kleinen Kaugummipapieren. Der Moment, in dem die Intensität ihrer Bindung am Ende gipfelt, löst bei vielen Zuschauern Tränen und Gänsehaut aus – die klassischen Anzeichen von Kama Muta.

Literatur

Fiske, A. P., Seibt, B., & Schubert, T. (2019). The heart of the matter: Kama muta is a social emotion. The Psychologist, 32, 48–51.
Schubert, T. W., Seibt, B., & Fiske, A. P. (2018). The movement of love: Kama muta. In A. S. R. Manstead, M. van Zomeren, & N. Tausch (Eds.), The social psychology of emotion (pp. 125–142). Cambridge University Press.
Zickfeld, J. H., Schubert, T. W., Seibt, B., Blomster, J. K., Arriaga, P., Basabe, N., … & Fiske, A. P. (2019). Kama muta: Conceptualizing and measuring the experience of being moved across 19 nations and 15 languages. Emotion, 19(3), 402–424.


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