Unter dem Begriff Own-Age Bias – auch Own-Age Effect – versteht man in der Psychologie ein robustes wahrnehmungs- und gedächtnispsychologisches Phänomen, bei dem Menschen Gesichter von Personen aus der eigenen Altersgruppe besser erkennen, unterscheiden und erinnern als Gesichter von Personen auslich jüngeren oder älteren Altersgruppen. Der Own-Age Bias wird vor allem in der Gesichtsverarbeitung und im episodischen Gedächtnis untersucht und gilt als altersbezogene Ausprägung allgemeiner Ingroup-Effekte. Empirische Studien zeigen konsistent, dass Kinder insbesondere Gesichter anderer Kinder besser wiedererkennen, junge Erwachsene vor allem Gesichter Gleichaltriger präziser erinnern und ältere Erwachsene Vorteile bei der Verarbeitung von Gesichtern aus ihrer eigenen Alterskohorte aufweisen. Dieser Effekt tritt unabhängig vom Geschlecht der betrachteten Personen auf und bleibt auch dann bestehen, wenn visuelle Merkmale wie Attraktivität oder emotionale Ausdrucksstärke kontrolliert werden.
Zur Erklärung des Own-Age Bias werden mehrere, sich ergänzende theoretische Ansätze diskutiert. Ein zentraler Erklärungsansatz ist die Expertise-Hypothese, nach der Menschen im Laufe ihres Lebens besonders viel perceptuelle Erfahrung mit Gesichtern ihrer eigenen Altersgruppe sammeln. Diese häufige Exposition führt zu feineren kategorialen Repräsentationen und effizienteren Verarbeitungsstrategien, wodurch subtile Unterschiede innerhalb der eigenen Altersgruppe besser wahrgenommen werden können. Ergänzend wird die soziale-kognitive Motivationshypothese herangezogen, die betont, dass Gesichter Gleichaltriger als sozial relevanter wahrgenommen werden, da sie häufiger potenzielle Interaktionspartner, Bezugspersonen oder Konkurrenten darstellen. Diese erhöhte soziale Relevanz führt zu einer tieferen Enkodierung im Gedächtnis. Neurokognitive Studien deuten darauf hin, dass bei der Verarbeitung altersähnlicher Gesichter stärkere Aktivierungen in gesichtsspezifischen Arealen wie dem fusiformen Gesichtsareal auftreten, was die Annahme einer differenzierteren neuronalen Repräsentation unterstützt.
Der Own-Age Bias hat praktische Relevanz in verschiedenen Anwendungsfeldern. In der forensischen Psychologie kann er beispielsweise die Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen beeinflussen, da Zeugen Gesichter von Tätern, die einer anderen Altersgruppe angehören, systematisch schlechter erinnern können. Im pädagogischen Kontext spielt der Effekt eine Rolle bei der sozialen Wahrnehmung zwischen Lehrkräften und Schülern unterschiedlicher Altersgruppen. In der Entwicklungspsychologie liefert der Own-Age Bias zudem wichtige Hinweise darauf, wie soziale Erfahrung und kognitive Reifung die Gesichtsverarbeitung über die Lebensspanne hinweg formen. Insgesamt wird der Own-Age Bias als Ausdruck eines dynamischen Zusammenspiels von Wahrnehmung, Gedächtnis, sozialer Motivation und lebenslanger Erfahrung verstanden und stellt ein zentrales Beispiel dafür dar, wie soziale Kategorien grundlegende kognitive Prozesse strukturieren.
Literatur
Anastasi, J. S., & Rhodes, M. G. (2005). An own-age bias in face recognition for children and older adults. Psychonomic Bulletin & Review, 12(6), 1043–1047.
Civile, C., & Wang, G. (2025). Testing the own-age bias in face recognition among younger and older adults via the face inversion effect. Perception, doi:10.1177/03010066251405714
Harrison, V., & Hole, G. J. (2009). Evidence for a contact-based explanation of the own-age bias in face recognition. Psychonomic Bulletin & Review, 16(2), 264–269.
Rhodes, M. G., Anastasi, J. S., & Tan, S. (2013). The own-age bias in face recognition: A meta-analytic and theoretical review. Psychological Bulletin, 139(6), 1467–1491.
Stangl, W. (2025, 30. Dezember). Altersabhängige Verzerrungen in der Gesichtserkennung – Psychologie-News.
https:// psychologie-news.stangl.eu/6217/altersabhaengige-verzerrungen-in-der-gesichtserkennung.