Das Muskelgedächtnis – auch Muscle-Memory-Effekt – ist ein Phänomen, bei dem sich Muskeln scheinbar an ihre frühere Leistung erinnern können, und das, obwohl Muskelzellen keine Erinnerungen im eigentlichen Sinne abspeichern können. Unbestritten ist aber das Phänomen, dass einmal trainierte Muskeln auch nach längeren Pausen wieder schneller ihre alte Muskelkraft zurückerlangen.
Man fand vor einiger Zeit heraus, dass eine erste Trainingsphase die Genaktivität der Muskelzellen anregt, wobei diese Veränderungen auch während einer Pause bestehen bleiben, und sich in einer zweiten Trainingsphase verstärken, d. h., die Erinnerungsfunktion der Muskeln wird offenbar mittrainiert. In Untersuchungen zeigte sich, dass die erwachsenen menschlichen Skelettmuskeln ein epigenetisches Gedächtnis für frühere Wachstumsphasen besitzen. Seaborne et al. (2018) berichten über eine genomweite DNA-Methylierungs- und Genexpressionsanalyse nach Muskelhypertrophie (Belastung), Rückführung der Muskelmasse auf den Ausgangswert (Entlastung), gefolgt von späterer Hypertrophie (Wiederbelastung). Sie entdeckten eine erhöhte Häufigkeit von Hypomethylierung im gesamten Genom nach einer erneuten Belastung im Vergleich zu einer früheren Belastung. Außerdem identifizierten sie mehrere hypomethylierte Gene mit erhöhter Expression nach der Belastung, die ihren hypomethylierten Status auch während der Entlastung beibehielten, als die Muskelmasse wieder auf das Kontrollniveau zurückkehrte, was auf eine Erinnerung an die Methylierungssignatur dieser Gene nach früherer Hypertrophie hinweist. Weitere Gene zeigten nach der Belastung eine Hypomethylierung und eine verstärkte Genexpression und wiesen nach der späteren Wiederbelastung die größten Zunahmen der Hypomethylierung, der Genexpression und der Muskelmasse auf, was auf ein epigenetisches Gedächtnis bei diesen Genen hinweist. Schließlich reagierten einige Gene epigenetisch empfindlich auf eine akute Belastung, denn sie wiesen eine Hypomethylierung nach einer einzigen Widerstandsübung auf, die zweiundzwanzig Wochen später beibehalten wurde, mit dem größten Anstieg der Genexpression und der Muskelmasse nach einer erneuten Belastung.
Hinzu kommt, dass das Gehirn Bewegungsabläufe schon im motorischen Gedächtnis abgespeichert hat, d. h., die Details und Abfolgen der Bewegungen sind im Gehirn bereits vorhanden. Das motorische Gedächtnis erklärt etwa, dass man sich auch nach mehreren Jahren an gelernte Bewegungsabläufe unbewusst erinnert, etwa wenn man jahrelang nicht auf einem Fahrrad gesessen hast, kann man sich doch darauf setzen und losfahren, d. h., das Fahrradfahren verlernt man nicht, auch wenn man sich am Anfang etwas unsicher fühlt. Ähnliches gilt auch für das Autofahren. Das automatisierte motorische Gedächtnis nutzen etwa Tennisspieler, bei denen die tausendmal geübten grundlegenden Bewegungen von alleine ablaufen, sodass sie sich ganz auf den Spielablauf und ihre Taktik konzentrieren können. Bei Tänzern und Tänzerinnen hilf tdas motorische Gedächtnis, dass auch komplexen Choreografien automatisch abzurufen sind, aber auch Musiker und Musikerinnen können durch regelmäßiges Üben auf die gespeicherten Bewegungsabläufe zurückgreifen und sich auf die Interpretation der Musikstücke konzentrieren.
Zusammengefasst bedeutet das, dass die Muskulatur eines Menschen, der schon einmal trainiert hat – auch wenn das vor langer Zeit der Fall gewesen ist -, vom Gehirn sehr viel zielgerichteter angesteuert wird als bei Neulingen, denn die Bewegung ist also von Anfang an besser, der Effekt daher größer, und der neue Trainingsreiz kommt schneller zum Tragen.
Literatur
Seaborne, Robert A., Strauss, Juliette, Cocks, Matthew, Shepherd, Sam, O’Brien, Thomas D., van Someren, Ken A., Bell, Phillip G., Murgatroyd, Christopher, Morton, James P., Stewart, Claire E. & Sharples, Adam P. (2018). Human Skeletal Muscle Possesses an Epigenetic Memory of Hypertrophy. Scientific Reports, 8, doi:10.1038/s41598-018-20287-3.
https://utopia.de/ratgeber/muskelgedaechtnis-was-ist-dran-und-welche-vorteile-bringt-es/ (22-09-11)
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