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Bindungsstil

    In der Psychologie wird die Bindungstheorie auch auf Beziehungen von Erwachsenen angewendet, also Freundschaften, Affären, erwachsene  Beziehungen oder platonische Beziehungen und in einigen Fällen Beziehungen auch auf Beziehungen zu unbelebten Objekten (Übergangsobjekte). Die Bindungstheorie, die in den 1960er und 1970er Jahren zunächst hauptsächlich im Kontext von Kindern und Eltern untersucht wurde, wurde in den später Jahren auch auf Beziehungen von Erwachsenen ausgeweitet.

    Menschen haben bekanntlich verschiedene Erwartungen und Ansprüche an eine Beziehung, fühlen sich zum Teil in ganz anderen Rollen wohl als ihre Mitmenschen, setzen unterschiedliche Prioritäten und bewerten und empfinden anders. Ein wesentlicher Aspekt der Beziehungsverhaltens ist der Bindungsstil – attachment style -, der in hohem Maße davon abhängt, welche frühen sozialen Erfahrungen die Menschen gemacht haben und wie sie dadurch geprägt wurden. Diese frühkindlichen Erfahrungen sind meist für den Bindungsstil prägend. Der Bindungsstil wirkt sich aber nicht nur auf die Beziehungen aus, sondern er ist ein integraler Bestandteil der Persönlichkeit, der auch in anderen Lebensbereichen eine Rolle spielt.

    Menschen mit einem sicherer Bindungsstil zeigen ein stabiles Selbstwertgefühl, strahlen Selbstbewusstsein aus und pflegen einen gesunden Umgang mit den eigenen Emotionen und Bedürfnissen. Meist sind sie in einem liebevollen Elternhaus aufgewachsen, in dem ihnen ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit vermittelt wurde. Menschen mit einem sicheren Bindungsstil haben in der Regel kein Problem damit, anderen Menschen Freiraum zu lassen, ihnen zu vertrauen, zu verzeihen oder sich ihnen zu öffnen. Üblicherweise pflegen sie gesunde und ausgewogene Beziehungen, die ihnen im Leben Stabilität, Sinn und Freude geben.

    Ein ängstlicher Bindungsstil geht meist mit einem instabilen Selbstwertgefühl und Unsicherheit einher, sie fürchten Ablehnung, legen viel Wert auf Anerkennung und Bestätigung und haben große Angst davor, sich anderen zu öffnen, da sie fürchten verletzt oder nicht angenommen zu werden. Dahinter stecken oft frühkindliche Erfahrungen wie ein Mangel an Struktur und Fürsorge oder ein unberechenbarer Erziehungsstil. Ein ängstlich-besorgter Bindungsstil zeigt sich dann bei Menschen, die eine negative Sicht auf sich selbst und eine übertrieben positive Sicht auf andere haben. Erwachsene mit ängstlich-besorgtem Bindungsstil suchen ein hohes Maß an Intimität, Zustimmung und Reaktionsfähigkeit von ihrer Bezugsperson, wobei sie manchmal aber abhängig von diesen Bezugsperson werden. Verglichen mit Erwachsenen, die sicher gebunden sind, neigen Erwachsene, die eine ängstlich-besorgte Bindung haben, dazu, weniger positive Ansichten über sich selbst zu haben. Manche zweifeln dabei nicht selten an ihrem Wert als Individuum und geben sich selbst die Schuld für die mangelnde Reaktionsfähigkeit der Bezugsperson, die dadurch noch aufgewertet und überhöht wird. In sozialen Beziehungen neigen ängstliche Bindungstypen auch manchmal zum Klammern, versuchen zwanghaft, es anderen recht zu machen und diese zufrieden zu stellen, was meistens zu einem Ungleichgewicht und dadurch eher zu konfliktreichen und belasteten Verhältnissen führt, die mehr Kraft kosten, als sie geben können.

    Mit einem vermeidenden Bindungsstil sind oftmals Persönlichkeitsmerkmale wie Pessimismus und eine eher resignierte, schicksalsergebene Einstellung zum Leben verknüpft. Diesem liegen nicht selten frühkindliche Erfahrungen wie häufiges Alleinsein zugrunde, d. h. Eltern, die wenig präsent und emotional nicht verfügbar waren. Typisch für vermeidendes Bindungsverhalten sind Distanziertheit und Misstrauen auch in engsten Beziehungen wie einer Partnerschaft, sodass sie Intimität und Nähe ausweichen und Wert darauf legen, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Ein ängstlich-vermeidender Bindungsstil zeigt sich bei Menschen, die eine instabile oder rasch wechselnde Sicht auf sich selbst und andere haben. Betroffene haben oft mit Verlusten oder anderen Traumata in Kindheit und Jugend zu kämpfen, und fühlen sich generell in emotionaler Nähe unwohl. Sie betrachten sich nicht selten als unwürdig, überhaupt Bindungen einzugehen, und sie vertrauen den Absichten ihrer Bindungen auch nicht. Betroffene suchen daher generell wenig Intimität und verleugnen ebenfalls häufig ihre Gefühle. Menschen mit einem unsicheren Bindungsstil sind auch anfälliger für psychische Probleme wie Depressionen und Angststörungen. Ein abweisender-vermeidender Bindungsstil zeigt sich bei Menschen, die eine positive Sicht auf sich selbst und eine negative Sicht auf andere haben. Als Erwachsene wünschen sie sich ein hohes Maß an Unabhängigkeit, wobei sich das manchmal darin äußert, Bindung überhaupt zu vermeiden. Sie sehen sich selbst als autark und unverwundbar gegenüber Gefühlen, die mit einer engen Bindung an andere verbunden sind, und leugnen nicht selten, dass sie überhaupt Beziehungen brauchen. Menschen mit einem abweisenden-vermeidenden Bindungsstil neigen daher generell dazu, ihre eigenen Gefühle zu unterdrücken und zu verstecken.

    Da man Erlebnisse in der Kindheit nicht rückwirkend verändern kann, müssen Menschen daher versuchen zu akzeptieren, was sie geprägt hat. Um aus diesen unfreiwillig erlernten Mustern auszubrechen, hilft die Erkenntnis, dass sich Menschen ein Leben lang weiter ntwickeln und festgefahrene Muster und Verhaltensweisen durchbrechen können, wenn sie es wollen bzw. wenn sie eine Beziehungsumgebung finden, in der dies möglich ist.

    Siehe dazu auch Bindungsmuster und Bindungstypen.

    Literatur

    Bartholomew, K. & Horowitz, L. M. (1991). Attachment Styles Among Young Adults: a Test of a Four-Category Model. Journal of Personality and Social Psychology, 61, 226-244.
    Stangl, W. (2011). Stichwort: ‚Übergangsobjekt‘. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.
    WWW: https://lexikon.stangl.eu/14828/uebergangsobjekt (11-05-03)
    Zortea, T. C., Gray, C. M. & O’Connor, R. C. (2019). Adult attachment: Investigating the factor structure of the Relationship Scales Questionnaire. Journal of Clincial Psychology, 75, 1– 19.


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