Negativitätsverzerrung – negativity bias – ist eine kognitive Verzerrung (in der Umgangssprache auch als Schwarzmalerei bekannt) und bezeichnet die Vorstellung von Menschen, dass selbst bei gleicher Intensität Umstände negativer Natur wie unangenehme Gedanken, Emotionen bzw. soziale Interaktionen und schädliche Ereignisse einen größeren Einfluss auf ihren psychischen Zustand und ihre Verfasstheit haben als neutrale oder positive Dinge. Mit anderen Worten, etwas sehr Positives hat im Allgemeinen weniger Einfluss auf das Verhalten und die Kognition eines Menschen als etwas ebenso Emotionales, aber eben Negatives. Diese Negativitätsverzerrung wurde in vielen Lebensbereichen untersucht, etwa bei der Bildung von Eindrücken und allgemeinen Bewertungen, bei der Aufmerksamkeit, beim Lernen und beim Gedächtnis sowie bei Entscheidungs- und Risikoüberlegungen.
Daher gewichten Menschen negative Wahrnehmungen emotional viel stärker als positive, wobei der Effekt vermutlich evolutinär bedingt ist, denn für Jäger und Sammler war es überlebenswichtig, giftigen Pflanzen oder dem Aufenthaltsort gefährlicher Tiere eine sehr hohe Aufmerksamkeit zu schenken.
Negativitätsverzerrung bedeutet letztlich, dass der menschliche Verstand dem Schlechten mehr geistige Konzentration und Arbeit widmet als dem Guten, d. h., die Gedanken gehen automatisch zu Problemen, Ärger, Bedrohungen und Ängsten, sodass das Erinnern und Anerkennen des Guten im Leben weitaus mehr Anstrengung und Konzentration erfordert als die Erinnerung an das Positive. Skepsis und negatives Denken sind also ursprünglich darauf ausgerichtet, das Fortbestehen der Menschheit zu sichern, aber gleichzeitig auch ein schlechter Ansatz für das emotionales Wohlbefinden und die generelle Lebensqualität. Das Gehirn verarbeitet und speichert negative Erfahrungen unmittelbar im impliziten Gedächtnis, wobei man im Gegensatz dazu positive Erfahrungen schon besonders intensiv oder langanhaltend wahrnehmen muss, damit sie vom Kurzzeitgedächtnis ins Langzeitgedächtnis überführt werden.
Der Psychologe Helmut Fuchs konstatiert, dass Menschen zum Katastrophisieren neigen, wobei sie keinen Grund brauchen, um schlecht drauf zu sein, sondern sie beschließen, schlecht drauf zu sein. „In vielen Denkschulen von Aristoteles über Marc Aurel beeinflusst nicht die Art und Weise, wie sich die Welt verändert, unser Denken, sondern die Art und Weise, wie wir sie betrachten. Menschen neigen zum Katastrophisieren und können oft nicht erkennen, was in einer Situation positiv sein könnte. Diese Fähigkeit aber ist wichtig für die emotionale Kompetenz, man nennt das situative Ermutigung. Seiner Meinung nach ist die Negativität mit dem Wohlstand und mit dem Rückgang von Ritualen gestiegen, d. h., die Menschen kommen im Alltag nicht mehr zurecht. Wenn man die Morgengebete verschiedener Religionen Miteinander vergleicht, dann zeigt sich, dass sie relativ gleich sind. Es geht in fast allen Religionen darum, dass sich der Betende an eine imaginäre Instanz wendet und um Hilfe, um Verzeihung oder Unterstützung bittet. Danach geht ein Mensch wesentlich gestärkter in den Alltag.
Ein junges Paar lebte in einem hübschen Haus in einer schönen Gegend. Aus irgendeinem Grund mochte die Frau ihre Nachbarin nicht, die direkt nebenan wohnte. Eines Morgens schaute die junge Frau aus dem Fenster und sah, wie ihre Nachbarin Wäsche auf die Leine hängte. »Sieh dir das an«, sagte sie zu ihrem Mann. »Hast du gesehen, wie schmutzig ihre Kleidung auch nach dem Waschen noch ist? Ich finde es schockierend, dass sie als Hausfrau mittleren Alters nicht weiß, wie man Kleider so wäscht, dass sie sauber werden. Vielleicht sollte sie wieder zu ihrer Mutter ziehen und Unterricht nehmen, wie man richtig wäscht.« Ihr Mann hörte schweigend zu. Jedes Mal, wenn ihre Nachbarin ihre Kleider zum Trocknen aufhängte, ließ die junge Frau keine Gelegenheit aus, gehässige Kommentare abzugeben. Nach ein paar Wochen sah die Frau ihre Nachbarin wieder Wäsche aufhängen. Doch diesmal war etwas anders. »Hast du das gesehen? Erstaunlich!«, sagte die überraschte Frau zu ihrem Mann. »Endlich sind ihre Kleider sauber! Bestimmt hat sie sie nicht selbst gewaschen. Jemand anders muss es für sie getan haben!« Ohne auch nur von seinem Platz aufzustehen, um sich die Wäsche der Nachbarin anzusehen, antwortete der Mann: »Weißt du, was, Schatz? Ich bin heute Morgen früh aufgestanden und habe unsere Fenster geputzt.«
Literatur
Gaur Gopal Das (2019). Sorge dich nicht, frage!: Mit drei Fragen zu innerer Kraft und Zufriedenheit – Why worry? Die geniale Glücksphilosophie eines indischen Mönchs. Arkana.
Rozin, Paul & Royzman, Edward B. (2001). Negativity bias, negativity dominance, and contagion. Personality and Social Psychology Review, 5, 296–320.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/interview-am-morgen-laune-launologie-coronakrise-psychologie-gute-laune-1.5151138 (20-12-18)
Gut einleuchtend bestätigt die These von Hutter „Biologie der Angst“