Otrovertiertheit

OtrovertiertheitOtrovertiertheit oder Otroversion bezeichnet ein nicht wissenschaftlich etabliertes Konzept innerhalb der populärpsychologischen Diskussion, das als dritter Persönlichkeitstyp zwischen Introversion und Extraversion vorgeschlagen wurde. Der Begriff soll eine spezifische Form der sozialen Orientierung beschreiben, die weder auf Rückzug und Innengerichtetheit (Introversion) noch auf starke Außenorientierung und Gruppendynamik (Extraversion) basiert. Eingeführt wurde die Bezeichnung durch den amerikanischen Psychiater Rami Kaminski, der den sogenannten „Other-Type“ oder „Otrovert“ als Menschen beschrieb, die sich weder in introvertierte noch extravertierte Kategorien einordnen lassen. Kaminski entwickelte auch eine sogenannte Otherness Scale, die das Gefühl atypischer sozialer Zugehörigkeit und den Umgang mit sozialer Distanz erfassen soll (Faktastisch, 2024). In den einschlägigen Artikeln wird Otrovertiertheit als Ergänzung zu den traditionellen Persönlichkeitstypen verstanden, insbesondere für Menschen, die sich in klassischen psychologischen Modellen nicht wiederfinden und deren Beziehung zu Gruppen, Gemeinschaften und sozialem Denken ambivalent ist. Der Begriff weist daher thematische Überschneidungen mit den Konzepten der Ambiversion auf, die als Zwischenform von Intro- und Extraversion verstanden wird. Dennoch soll Otrovertiertheit stärker das Gefühl sozialer Fremdheit und Unangepasstheit betonen, ohne dass damit zwangsläufig soziale Vermeidung oder Kontaktscheu gemeint ist. Otrovertierte Menschen werden in der populären Typologie als kritisch, reflektiert und kreativ charakterisiert, wobei sie einen bewussten Abstand zu normativen sozialen Strukturen wahren. Sie suchen Nähe selektiv und bevorzugen authentische, intensive Gespräche gegenüber oberflächlichen oder massenhaften sozialen Kontakten.

Populärwissenschaftliche Darstellungen beschreiben otrovertierte Personen als unabhängig, kreativ und eigenständig, häufig auch als Menschen, die zwar soziale Kontakte schätzen, sich aber in Gruppensituationen schnell entfremdet fühlen. Ihnen wird eine gewisse Distanz zu kollektiven Denkweisen und sozialen Hierarchien zugeschrieben. Während Introvertierte ihre Energie eher aus Ruhe und Alleinsein schöpfen und Extravertierte durch Interaktion und äußere Reize belebt werden, sollen Otrovertierte weder durch Isolation noch durch soziale Gruppen eindeutig beeinflusst werden. Vielmehr empfinden sie kleine, bedeutsame Begegnungen als bereichernd, während Gruppendruck oder Konformitätszwang als erschöpfend erlebt werden: „Es ist nicht die Gruppe, die sie erschöpft – es ist die Konfrontation mit dem Gruppendenken“ (Faktastisch, 2024).

Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Begriff derzeit noch ungesichert, denn in der Fachliteratur finden sich keine empirischen oder theoretischen Auseinandersetzungen mit dem Konzept der Otrovertiertheit. Weder in psychologischen Datenbanken noch in peer-reviewten Zeitschriften lassen sich belastbare Studien zu diesem Thema finden. Es handelt sich daher um ein vorläufiges, eher mediales Konzept, das im Rahmen populärer Psychologie und Online-Plattformen Aufmerksamkeit erlangt hat. Für eine mögliche Integration in die Persönlichkeitspsychologie wäre eine präzise theoretische Definition notwendig, begleitet von reliablen Messinstrumenten und empirischen Studien zur Validierung, zur Abgrenzung von bestehenden Persönlichkeitstypologien und zur Untersuchung der psychometrischen Stabilität. Gleichwohl besitzt der Begriff einen gewissen heuristischen Wert, indem er subjektiv empfundene soziale Andersartigkeit und das Spannungsverhältnis zwischen Individualität und Gruppenzugehörigkeit in Sprache fasst. Er verleiht Personen, die sich weder als introvertiert noch als extravertiert erleben, eine alternative Selbstbeschreibung. Insofern könnte Otrovertiertheit als kulturell-symbolischer Ausdruck einer zunehmenden Differenzierung sozialer Identität verstanden werden. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist jedoch Vorsicht geboten, enn ohne theoretische Fundierung und empirische Evidenz bleibt Otrovertiertheit ein spekulativer, nicht validierter Begriff der populären Psychologie.

Literatur

Faktastisch. (2024, 17. Mai). Otrovertiert: Was hinter dem dritten Persönlichkeitstyp steckt. Abgerufen von https://faktastisch.de/korper-and-psychologie/otrovertiert-persoenlichkeit.


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