Manifestieren

Der Begriff Manifestieren wird in der populärpsychologischen Literatur und in esoterisch geprägten Selbsthilfekontexten verwendet, um den Prozess zu beschreiben, durch den Gedanken, Wünsche oder Überzeugungen durch gezielte Visualisierung, Konzentration und positives Denken in die Realität überführt werden sollen. Dieses Konzept geht davon aus, dass mentale Zustände – insbesondere die Kraft der Gedanken – direkte, oft quasi-magische Wirkungen auf die äußere Lebensrealität entfalten können. Besonders verbreitet ist diese Vorstellung in Verbindung mit dem sogenannten „Gesetz der Anziehung“ (Law of Attraction), das postuliert: Gleiches zieht Gleiches an. Wer also etwa an Reichtum, Erfolg oder Liebe denkt, zieht diese Dinge durch die Ausstrahlung entsprechender Energie in sein Leben (Byrne, 2006).

Aus wissenschaftlicher Perspektive ist diese Vorstellung hochgradig umstritten. Der Begriff Manifestieren ist in der akademischen Psychologie nicht etabliert, da die Grundannahmen des Manifestierens nicht durch empirische Studien gestützt werden. Vielmehr wird der Glaube an Manifestation kritisch gesehen, da er mit unrealistischen Erwartungen, mangelndem Handlungsbezug und potenziell negativen Konsequenzen verknüpft sein kann. Eine aktuelle Studie von Dixon, Hornsey & Hartley (2023) zeigt etwa, dass Menschen, die stark an die Wirkung des Manifestierens glauben, mit höherer Wahrscheinlichkeit finanzielle Risiken eingehen und sogar Bankrott erleben, da sie vermutlich ihre Entscheidungen auf Wunschdenken statt auf realistische Einschätzungen gründen.

Statt auf metaphysische Annahmen stützt sich die psychologische Forschung auf gut belegte Theorien wie die Selbstwirksamkeitserwartung (Bandura, 1997) und die Zielsetzungstheorie (Locke & Latham, 2002). Bandura beschreibt Selbstwirksamkeit als das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, bestimmte Handlungen erfolgreich ausführen zu können. Dieses Vertrauen fördert zielgerichtetes Verhalten, Motivation und Ausdauer – und erhöht dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass Ziele tatsächlich erreicht werden. Ähnlich argumentiert die Zielsetzungstheorie, der zufolge herausfordernde und klar definierte Ziele in Kombination mit Feedback und Engagement zu besseren Leistungen führen. In beiden Fällen entfalten Gedanken ihre Wirkung nicht durch „Anziehung“, sondern durch ihren Einfluss auf Handlungen, Strategien und Motivation.

Darüber hinaus weist die Forschung darauf hin, dass positives Denken und Fantasien allein nicht nur ineffektiv sein können, sondern in manchen Fällen sogar kontraproduktiv. Studien von Oettingen et al. (z. B. Kappes, Oettingen & Mayer, 2012; Oettingen, Mayer & Portnow, 2016) zeigen, dass übermäßig positive Fantasien zu verminderter Anstrengung, reduzierter Zielverfolgung und langfristig sogar zu depressiven Symptomen führen können. Wer sich gedanklich zu stark in eine positive Zukunft hineinversetzt, vernachlässigt oft die realen Herausforderungen auf dem Weg dorthin und handelt weniger entschlossen.

Dennoch können bestimmte Elemente des Manifestierens, wie etwa Visualisierung oder positives Denken, im Rahmen wissenschaftlich fundierter Konzepte hilfreich sein, allerdings nur dann, wenn sie mit konkretem Handeln verknüpft sind. Forschungen zur mentalen Simulation zeigen beispielsweise, dass prozessorientiertes Vorstellen (also das Durchdenken der nötigen Schritte zur Zielerreichung) leistungsförderlicher ist als reine Ergebnisfantasien (Pham & Taylor, 1999; Taylor et al., 1998).

Manifestieren ist daher kein wissenschaftlich fundierter Mechanismus zur Zielerreichung. da die empirische Psychologie zeigt, dass Gedanken allein keine Realität erschaffen können; vielmehr sind Motivation, Planung, realistische Einschätzung und Handlung die entscheidenden Faktoren. Positives Denken kann im Sinne von Manifestieren kann daher nur unterstützend wirken, wenn es in einen aktiven Handlungsrahmen eingebettet ist, führt allein jedoch nicht zum Erfolg.

Literatur

Bandura, A. (1997). Self-efficacy: The exercise of control. W. H. Freeman.
Byrne, R. (2006). The Secret. Atria Books.
Dixon, L. J., Hornsey, M. J. & Hartley, N. (2023). “The Secret” to success? The psychology of belief in manifestation. Personality and Social Psychology Bulletin, 01461672231181162.
Kappes, H. B., Oettingen, G. & Mayer, D. (2012). Positive fantasies predict low academic achievement in disadvantaged students. European Journal of Social Psychology, 42, 53–64.
Locke, E. A, & Latham, G. P. (2002). Building a practically useful theory of goal setting and task motivation: A 35-year odyssey. American Psychologist, 57, 705–717.
Oettingen, G., Mayer, D. & Portnow, S. (2016). Pleasure now, pain later: Positive fantasies about the future predict symptoms of depression. Psychological Science, 27, 345–353.
Pham, L. B. & Taylor, S. E. (1999). From thought to action: Effects of process-versus outcome-based mental simulations on performance. Personality and Social Psychology Bulletin, 25, 250–260.
Taylor, S. E., Pham, L. B., Rivkin, I. D. & Armor, D. A. (1998). Harnessing the imagination: Mental simulation, self-regulation, and coping. American Psychologist, 53, 429.


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