Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darüber fragt, so weiß ich es; wenn ich es aber jemandem auf seine Frage erklären möchte, so weiß ich es nicht. Das jedoch kann ich zuversichtlich sagen: Ich weiß, daß es keine vergangene Zeit gäbe, wenn nichts vorüberginge, keine zukünftige, wenn nichts da wäre. Wie sind nun aber jene beiden Zeiten, die Vergangenheit und die Zukunft, da ja doch die Vergangenheit nicht mehr ist, und die Zukunft noch nicht ist?
Augustinus Aurelius, Confessiones, 397-401. XI, 14.
Man begegnet der Zukunft mit der eigenen Vergangenheit.
Joyce Carol Oates
Das Zeitempfinden ist ein wichtiger Teil der menschlichen Erfahrung und wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst, darunter kognitive und emotionale Zustände, Alter, körperliche Aktivität und die Umgebung. Einige Menschen haben das Gefühl, dass die Zeit schnell vergeht, während andere das Gegenteil empfinden. Die Psychologie des Zeitempfindens beschäftigt sich mit der Erforschung der verschiedenen Faktoren, die das Zeitempfinden beeinflussen und wie es sich auf das Verhalten und die Erfahrungen von Menschen auswirkt. Es gibt auch verschiedene Theorien darüber, wie das Gehirn die Zeit wahrnimmt und verarbeitet, die von der Psychologie des Zeitempfindens untersucht werden. Übrigens Auch können auch Tiere und kleine Kinder bereits Unterschiede in der Dauer von Reizen wahrnehmen, sodass man davon ausgehen kann, dass die Wahrnehmung von Zeit angeboren ist. Bekantlich vergeht die Zeit schneller, wenn man etwas tut, das glücklich macht, neu ist oder körperlich und emotional fordert. Das sind aber eben auch die Momente, die später im Rückblick viel länger in Erinnerung bleiben als eben jene, in denen man dem Sekundenzeiger zusieht und sich die Zeit wie Kaugummi zu dehnen scheint. Diese Momente landen in der Regel nicht einmal im Langzeitgedächtnis und geraten so schnell in Vergessenheit.
*** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Menschen haben kein eigenes Organ für das Zeitempfinden, sodass die Zeitwahrnehmung auf zwei Ebenen erfolgt, und zwar einerseits durch die aktuelle Wahrnehmung und andererseits die Erinnerung an Vergangenes. Je mehr Menschen auf die Zeit achten, etwa in Form von Langeweile, desto langsamer scheint die Zeit in der Wahrnehmung zu vergehen, jedoch in der Rückschau werden intensive Erlebnisse wie eine Urlaubsreise viel ausgedehnter erlebt als die Alltagsroutinen.
Durch die in der Gegenwart immer stärkere Zukunftsorientierung verlieren viele Menschen das Gefühl für den Augenblick, d. h., viele leben in dem Gefühl, dass die Zeit immer schneller vergeht und Hektik und damit verbundener Stress vorherrscht.
Psychologisch betrachtet ist die Zeit immer die subjektive Zeit, sodass das Zeitempfinden für verschiedene Menschen immer unterschiedlich ist. Die aktuelle Technologisierung geht häufig mit dem Versprechen einher, dass sie Zeit spart, dennoch haben Menschen vor allem durch die neuen Medien aber eher das Gefühl, dass Zeit immer knapper wird. Vor allem durch die neuen Kommunikationstechnologien kommt es zu Verstärkungsprozessen, denn sie machen Menschen immer neugierig (sensation seeking) und belohnen sie mit Informationen, die früher völlig außer Reichweite waren. Da Menschen soziale Lebewesen sind, die durch soziale Reize belohnt werden können, sind etwa SMS oder Emails von Freunden positive Signale, von denen Menschen abhängig und in der Folge sogar süchtig werden können.
Die gefühlte Zeit bestimmt die Entscheidungen der Menschen im Alltag: Soll man auf den Aufzug warten oder die Treppen nehmen, stellt man sich jetzt in die Schlange oder kommt man später wieder? Ökonomische Fragen sind zeitabhängig: Soll man sein Geld langfristig anlegen oder für sein Traumauto ausgeben? Gefühlte Zeit bestimmt aber auch das Verhältnis zum Älterwerden: Auf einmal spürt man, dass man nicht mehr der junge Mensch sind, für den man sich immer hielt. Mit Erschrecken bemerkt man dass mit zunehmendem Alter die Zeit immer schneller vergeht. Die Erfahrung von Zeit sagt auch etwas über den Menschen selbst aus. Menschen sind gewissermaßen die Zeit, ihr Zeitgefühl reflektiert ihre Lebensweise und ihr Selbst. Oft ist der Umgang mit der Zeit für Erfolg im Leben wichtiger ist als etwa die Intelligenz, aber Menschen sind ihrem Zeitgefühl nicht hilflos ausgeliefert, sondern können es durch Achtsamkeit beeinflussen.
Siehe dazu auch die egozentrische Zeitordnung.
Das menschliche Gehirn misst Zeit nicht auf die gleiche Weise wie eine mechanische Uhr, die Sekunden und Minuten exakt zählt. Stattdessen funktioniert es eher wie ein Zähler von Ereignissen und Aktivitäten im Laufe der Zeit. Diese faszinierende Erkenntnis basiert auf einer aktuellen Studie von Wirt et al. (2024), in der die Gehirnaktivität von Ratten während einer speziellen Aufgabe untersucht wurde. Die Forscher entdeckten dabei, dass der Anteriore Cinguläre Cortex, eine bestimmte Region im Gehirn, eine Schlüsselrolle bei der Zeitmessung und -wahrnehmung spielt. Interessanterweise hing die gemessene Hirnaktivität nicht von der absolut verstrichenen Zeit ab, sondern von der Anzahl der erlebten Ereignisse und durchgeführten Aktivitäten. Das bedeutet, dass das Gehirn Zeit eher in Aktivitätseinheiten als in herkömmlichen Maßeinheiten wie Minuten oder Stunden erfasst. Ob die Aktivitäten als angenehm oder unangenehm empfunden werden, ist dabei gar nicht so entscheidend. Vielmehr kommt es auf die Gesamtmenge der Aktivität an. Bei mehr Aktivität vergeht die subjektiv erlebte Zeit schneller, während Langeweile und Unterforderung dazu führen, dass die Zeit langsamer verstreicht. Dieser interne Zeitmessmechanismus des Gehirns basiert auf einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Nervenzellgruppen, die wie in einer Staffel koordiniert zusammenarbeiten. Faszinierend ist auch, dass sich das akute Zeitempfinden, also das Erleben des Moments, vom späteren Zeitgefühl in der Erinnerung unterscheiden kann. Manchmal erscheint etwas im Nachhinein länger oder kürzer, als es tatsächlich erlebt wurde.
Welche konkreten Anwendungen haben diese neurowissenschaftlichen Erkenntnisse für unser Alltagsleben? Um unangenehme Situationen und Wartezeiten subjektiv schneller vergehen zu lassen, ist es ratsam, sich sofort in Aktivitäten zu stürzen und sich abzulenken. Für ein bewussteres Erleben von Momenten und die Bildung guter Erinnerungen hingegen ist es günstiger, sich mehr Zeit zwischen den Aktivitäten zu nehmen und den Augenblick intensiv wahrzunehmen. So lässt sich die innere Uhr des Gehirns optimal nutzen und unser Zeitempfinden aktiv beeinflussen.
Wenn ich immer das Gleiche mache, kommt mir das Leben sehr kurz vor.
Marc Wittmann
Die Bedeutung der Zeit für das Glück
Trotz steigender Einkommen fühlen sich Menschen zunehmend unter Zeitdruck, was deren Wohlbefinden beeinträchtigt. Beim Vergleich der täglichen Routinen von Millionären und Normalvermögenden in den Niederlanden zeigte sich, dass die Millionäre im Schnitt signifikant zufriedener mit ihrem Leben sind als die weniger Begüterten. Und das, obwohl Millionäre ihre Tage fast genauso wie weniger begüterte Menschen verbringen, d. h., sie arbeiten etwa gleich lang, sie genießen etwa genauso viel Freizeit und auch mit Tätigkeiten wie Kochen, Putzen oder Einkaufen sind die Begüterten in gleichem zeitlichem Umfang beschäftigt. Reiche Menschen nutzen daher ihre Zeit auf ähnliche Weise wie die Normalbevölkerung. Der Unterschied liegt aber daran, dass Millionäre ihre freie Zeit häufiger nutzten, um aktiv zu sein, d. h., sie treiben Sport und engagieren sich eher für wohltätige Zwecke, während die Normalverdienenden sich in ihrer Freizeit im Vergleich hingegen öfter passiv verhalten. Generell verbringen die Begüterten ihre Zeit häufiger mit Tätigkeiten, die sie mit dem Gefühl von Kontrolle erfüllen, sodass Wohlstand offenbar die Möglichkeit erleichtert, Kontrolle über die eigene Zeit zu haben. Umfragen aus zahlreichen Ländern zeigen auch, dass Ausgaben für zeitsparende Dienstleistungen mit einer höheren Lebenszufriedenheit verbunden sind. Glücklichere Menschen berichten auch, dass sie zufriedener sind, wenn sie Geld für einen zeitsparenden Kauf ausgegeben haben als für einen materiellen Kauf. Diese Forschung zeigt einen bisher ungeahnten Weg vom Reichtum zum Wohlbefinden: Geld ausgeben, um Freizeit zu kaufen (Whillans et al., 2017, Smeets et al., 2019).
Literatur
Smeets, P., Whillans, A., Bekkers, R., & Norton, M. I. (2019). Time Use and Happiness of Millionaires: Evidence From the Netherlands. Social Psychological and Personality Science, doi:10.1177/1948550619854751.
Stangl, W. (2023, 4. Jänner). Psychologie des Zeitempfindens. Psychologie-News.
https://psychologie-news.stangl.eu/4400/psychologie-des-zeitempfindens.
Whillans, Ashley V.,Dunn, Elizabeth W., Smeets, Paul, Bekkers, Rene & Norton, Michael I. (2017). Buying time promotes happiness. Proceedings of the National Academy of Sciences, doi:10.1073/pnas.1706541114.
Wirt, Ryan A., Soluoku, Talha K., Ricci, Ryan M., Seamans, Jeremy K. & Hyman, James M. (2024). Temporal information in the anterior cingulate cortex relates to accumulated experiences. Current Biology, 34, doi:10.1016/j.cub.2024.05.045
Wittmann, M. (2012). Gefühlte Zeit: Kleine Psychologie des Zeitempfindens. München; C. H. Beck-Verlag.
Wittmann, M. (2015). Wenn die Zeit stehen bleibt: Kleine Psychologie der Grenzerfahrungen. München; C. H. Beck-Verlag.
Fünf Gründe sind für das unterschiedliche Zeitempfinden von Jungen und Alten
Je mehr Bilder pro Tag das Gehirn verarbeitet, desto länger scheinen die Tage zu dauern, und da das Gehirn von Älteren nicht mehr so schnell funktioniert, werden weniger Bilder als bei Jüngeren in der gleichen Zeit aufgenommen und behalten. Als Folge scheint die Zeit bei Älteren schneller zu vergehen.
Je mehr Erlebnisse Menschen pro Tag haben, desto länger erscheinen diese Tage, d. h., ältere Menschen erleben meistens viel weniger pro Tag als jüngere, und damit vergeht für sie die Zeit schneller.
Je mehr Erinnerungen man an bestimmte Ereignisse hat, desto länger erscheinen diese Ereignisse. Zur hohen Menge an Erlebnissen muss also noch der möglichst große Umfang an Erinnerungen kommen, damit die empfundenen Zeiträume als besonders lang erscheinen.
Je mehr Erfahrungen ältere Menschen in ihrem Leben sammelten, desto weniger neue Erfahrungen machen sie. Oft verlaufen die Tage für Ältere nach einem immer gleichen Muster ab, wobei im Gegensatz zu gewohnten Situationen bei Neuigkeiten die Emotionalität viel höher und die Bildverarbeitung im Gehirn intensiver verläuft. Durch die zahlreichen Gewöhnungseffekte und Routinen vergeht die Zeit deutlich schneller.
Wenn Menschen ihre Emotionen gezielt regulieren, können sie sich meistens besser motivieren und auf besondere Situationen viel stärker konzentrieren, und da diese Menschen sich an die Elemente bestimmter Situationen genauer erinnern, vergeht die Zeit für sie auch etwas langsamer.