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Gewohnheit

    Gewohnheiten sind die Fingerabdrücke des Charakters.
    Alfred Polgar oder Jean Cocteau oder Friedrich Nietzsche 😉

    Wer keine üblen Gewohnheiten hat, hat wahrscheinlich auch keine Persönlichkeit.
    William Faulkner

    Gewohnheiten sind Verhaltensweisen, die Menschen aber auch Tiere regelmäßig in einem stabilen Kontext ausüben, ohne viel darüber nachzudenken oder abzuwägen, und meist auf Entscheidungen basieren, die Menschen einmal bewusst getroffen haben. Die alltägliche Konfrontation des Menschen mit neuen und komplexen Abläufen erfordert Bewusstsein, Aufmerksamkeit und Konzentration, wobei das menschliche Gehirn danach strebt, möglichst viel von seinen Aufgaben zu routinisieren. Eine Gewohnheit ist letztlich nichts anderes als ein starkes neuronales Netz zwischen verschiedenen Synapsen und Neuronen, das sehr häufig genutzt wird, d.h. je häufiger man eine Tätigkeit ausübt, desto stärker wird das entsprechende neuronale Netz. In der Lernforschung gibt es dazu einen Merksatz: „Neurons that fire together, wire together“, und da das Gehirn von Natur aus energieeffizient arbeiten will, übersetzt es möglichst viele Aktivitäten in Gewohnheiten, nach dem Motto „Use it or lose it“. Eine neue Gewohnheit hingegen kostet das Gehirn erst einmal Energie, zudem fehlt meist der Spaßfaktor und damit der nötige Dopaminkick.

    Das Gehirn unterscheidet dabei nicht zwischen guten und schlechten Gewohnheiten, denn hat sich ein Verhalten einmal eingeschliffen, ist es sehr schwer, dieses wieder zu ändern, auch wenn man sich das fest vornimmt. Bekanntlich ist nichts so beständig wie eine Gewohnheit, denn eine solche loszuwerden legt man sich mit dem härtesten Gegner an, den das Gehirn zu bieten hat: den Basalganglien tief in unserer Hirnstruktur, die das gewohnheitsmäßigs Handeln steuern (s. u.).

    Gewohnheiten bestimmen daher das Leben, ob sie nun hilfreich sind oder schaden, wobei zwischen 30 und 50 Prozent des täglichen Handelns durch Gewohnheiten bestimmt werden, wobei neue Informationen daran so gut wie nichts ändern. Ohne Gewohnheiten wäre das Gehirn von den Details des Alltags häufig überfordert. Gewohnheiten haben aber auch den Sinn, den Menschen mehr mentale Energie zur Verfügung, um Wichtigeres zu erledigen, wobei dieses Energiesparen es wiederum schwer macht, ein eingeschliffenes Verhalten zu ändern, denn diese Steuerung liegt in einem Areal des Gehirns, der nicht bewusst kontrolliert werden kann.

    Wenn Gewohnheiten mit den Zielen übereinstimmen, sind sie nützlich und manchmal sogar überlebenswichtig, tun sie das aber nicht, stören sie oft nur, rauben Zeit, Energie und schädigen manchmal auch die Gesundheit.

    Als Gewohnheit wird daher eine unter gleichartigen Bedingungen entwickelte und stabilisierte Verhaltensweise bezeichnet, die durch Wiederholung stereotypisiert wurde und beim Erleben gleichartiger Situationsbedingungen wie automatisch nach demselben Schema ausgeführt wird, wenn sie nicht bewusst vermieden oderunterdrückt wird. Gewohnheiten entstehen nach dem psychologischen Muster einer Verhaltenssschleife (habit loop), wobei dieses aus drei Phasen besteht:

    • Dem Reiz oder Auslöser, der dem Gehirn vorgibt, sich ein Verhalten anzugewöhnen: Das kann ein bestimmter Zeitpunkt im Tagesablauf sein, ein spezieller Gefühlszustand oder auch der Einfluss anderer Menschen..
    • Das Verhalten selbst bzw. die Routine, die es auslöst.
    • Die Belohnung, also das, was das Gehirn mag und das es beim nächsten Mal an die Verhaltensschleife erinnern wird.

    In den meisten Fällen merkt man gar nicht, dass man die Angewohnheit ausübt, sondern sie geschehen völlig automatisiert, weshalb es so schwer fällt, das Verhalten wieder loszuwerden.


    Es macht einen Unterschied, ob ich mir ein Verhalten angewöhnen oder abgewöhnen will. Das eine ist das Neu-Lernen, das andere das Verlernen. Wir müssen gucken: Was aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn? Das machen Sachen die uns guttun, die angenehm sind. Und die gewöhnen wir uns gerne an. Auch so Angewohnheiten wie das Feierabendbierchen, das Chipsessen etc. – das aktiviert massiv unser Belohnungssystem! Und deshalb ist es schwer dagegen etwas zu setzen. Denn dann müssten wir auf dieses belohnende Gefühl im Gehirn verzichten. Wenn man also was dagegen machen will, muss man es ersetzen, durch irgendeine andere Handlung. Aber Sachen nur weglassen – also wenn etwas wegfällt, was ich gerne hätte – das ist dann eher frustrierend für mich.
    Eva Kischkel


    Die Ausbildung von Gewohnheiten, Vorlieben und Abneigungen zeigen sich übrigens bereits bei niederen Tierarten bis zum Einzeller, die konditioniert werden können.

    Gewohnheiten sind also nach dem Verständnis der Psychologie einmal gelernte Handlungen, die ohne bewusste Steuerung automatisch ablaufen, wobei man zwischen Denkgewohnheiten, Gefühlsgewohnheiten und Verhaltensgewohnheiten unterscheiden kann. Das menschliche Gehirn bevorzugt im Alltag Gewohnheiten und versucht seit frühester Kindheit immer wiederkehrende Ereignisse und Handlungen rasch zu automatisieren, und belohnt durch körpereigene Hormone Routinehandlungen, weil diese sehr viel weniger Energie und neuronalen Aufwand benötigen. Regelmäßigkeit wirkt sich im Übrigen für das Kleinstkind auch unmittelbar auf die Bindung zwischen Mutter und Kind aus, denn es erfährt dadurch Sicherheit und Zuwendung über die Versorgung und Befriedigung der überlebenswichtigen Hauptbedürfnisse. Kinder, denen Routine im Alltag fehlt, entwickeln später Angst vor dem Unvorhersehbaren und trauen sich auch in neuen Situationen weniger zu.

    Gewohnte Handlungen laufen in der Regel sicher, präzise und schnell ab, ganz im Gegensatz zu neuen und ungewohnten Aufgaben, denn dann muss das meist Arbeitsgedächtnis in Funktion treten, was mehr Zeit und Energie erfordert. Einmal gelernt gehen komplizierte Abläufe, die man automatisiert hat, immer weniger holprig vonstatten, sodass man sich darauf nicht mehr konzentrieren muss. Die Großhirnrinde arbeitet dafür mit Zentren zusammen, die für unbewusste, automatisierte Handlungen oder Reflexe zuständig sind, etwa das Kleinhirn oder die sogenannten Basalganglien, die mehr als neunzig Prozent der Alltagshandlungen steuern. Schließlich wirkt bei Routinehandlungen nur noch ein „begleitendes Bewusstsein“. Nach einer Studie des University College in London dauert es durchschnittlich 66 Tage, bis sich eine neue Gewohnheit oder ein neues Verhaltensmuster etabliert hat. Crego et al. (2020) haben in einem Experiment mit Ratten zu ergründen versucht, was im Gehirn genau vor sich geht, wenn neue Gewohnheiten entstehen. Dazu mussten sich die Tier in einem Labyrinth bewegen, in dem immer an derselben Stelle eine Belohnung auf sie wartete. Da es, wie aus früheren Untersuchungen bekannt ist, mit einer neuronalen Aktivität im dorsolateralen Striatum zusammenhängt, wie gut die Tiere diese Aufgabe meistern, erhöhte oder dämpfte man daher die Aktivität dieses Areals mittels Optogenetik, bei der lichtempfindliche Proteine in die Neuronen eingebracht werden, sodass sich diese Zellen durch Lichtreize fernsteuern lassen. Regte man in dem Versuch das dorsolaterale Striatum der Ratten eine halbe Sekunde an, nachdem diese im Irrgarten losfgelaufen waren, bewegten sie sich zielstrebig auf die Position. Offenbar war es für die Ratten zur Gewohnheit geworden, immer an derselben Stelle abzubiegen. Blockierte man hingegen dieses Areal im Striatum, bewegten sie sich langsamer und anscheinend unschlüssig durch das Labyrinth. Vermutlich muss das Striatum gleich zu Beginn einer Handlung aktiv sein, damit das Gehirn ein gewohnheitsmäßiges Verhaltensmuster abspulen kann.

    Denkgewohnheiten spiegeln persönliche Einstellungen und Werte wider, etwa was moralisch richtig und falsch ist, sie beinhalten aber auch, welches Bild man von sich selbst hat und wie die eigenen Fähigkeiten und Kenntnisse eingeschätzt werden, wobei sich die meisten dieser Gewohnheiten sich mit der Zeit unbewusst entwickelt haben, sodass sie nur dann bewusst werden, wenn sie gestört werden. Gefühlsgewohnheiten hängen in sehr hohem Ausmaß von der Persönlichkeit ab und beschreiben die individuelle Tendenz, in einer bestimmten Situation häufig mit dem gleichen Gefühl zu reagieren. Verhaltensgewohnheiten im Alltag schließlich geben Sicherheit und sparen Zeit und Energie für neue Informationen und Anforderungen, die bewältigt werden müssen. Man schätzt, dass etwa 20 Prozent aller Menschen das ständige Bedürfnis nach Abwechslung haben, während die Mehrheit aber Routine braucht, um sich wohl zu fühlen, denn für die geben täglich wiederkehrende Abläufe zu denselben Zeiten Sicherheit und Orientierung und vermitteln ein Gefühl für Zeit und soziale Regeln. Zeigen Gruppen dieselben Gewohnheiten, so werden diese oft zur nicht mehr hinterfragten sozialen Sitte oder kollektiven Überzeugung, wobei aufwändige Bräuche oft gepflegt, d.h., bewusst beibehalten werden. Auf gemeinsamem Handeln beruhen auch Gewohnheitsrechte und Pflichten, die auf längere Zeit beibehaltenen Absprachen und gegenseitigen Verpflichtungen zurückgehen. Es gibt übrigens auch ein Völkergewohnheitsrecht in Form eines ungeschriebenen Völkerrechts, das durch allgemeine Übung, getragen von der Überzeugung der rechtlichen Verbindlichkeit der Norm, entsteht.

    Eine alte Gewohnheit durch eine neue zu ersetzen ist für das Gehirn meist sehr schwer, denn Routinen, die sich in den Basalganglien und im Kleinhirn befinden, unterliegen nicht mehr direkt dem bewussten Wollen und sind ziemlich immun gegen Veränderungen. Routinen lassen sich zwar in jedem Alter lernen, doch Studien zeigen, dass die ersten zehn Lebensjahre dafür besonders geeignet sind, da in dieser Zeit besonders günstige neurobiologische Bedingungen für elementare Lernvorgänge bestehen. Für das spätere Neulernen und Ändern von Gewohnheiten benötigt man jedoch sehr viel mehr Zeit und Geduld als in diesem ersten Lebensjahrzehnt.

    Mit dem Alter nimmt die Zahl der Gewohnheiten zu, wenn Erwachsene sich daran gewöhnen, sich auf eine bestimmte Art zu kleiden, zum Kaffee eine Zigarette zu rauchen oder den Müll zu trennen. Menschen wachsen in Betriebsstrukturen und in bestimmte Rollen hinein. Gewohnheiten sind manchmal kleine Süchte, denn wenn Menschen die Erfahrung machen, dass ein bestimmtes Verhalten zu einer Belohnung führt, wiederholen sie es möglichst oft. Belohnungen erzeugen ein neuronal verankertes Verlangen und  verändern das Gehirn. Stark ausgeprägte oder starre Denk- und Verhaltensgewohnheiten können bekanntlich im späteren Leben auch für die Kreativität abträglich sein und zu einem eingefahrenen, mehr oder weniger gedankenlosen bloßen Agieren führen.

    Galla & Duckworth (2015) haben übrigens nachgewiesen, dass Gewohnheiten der Kern der Selbstkontrolle sind, denn sie konnten in mehreren Untersuchungen zeigen, dass selbstkontrollierte Menschen mehr Sport treiben, gesünder essen, sich seltener vom Lernen ablenken lassen, erfolgreicher meditieren und bessere Noten schreiben, also wenn sie feste Gewohnheiten haben. Daher sind Menschen, die sich selbst gut kontrollieren können, vor allem deshalb erfolgreicher, weil sie stärkere Gewohnheiten haben und nicht deshalb, dass sie unerwünschtes Verhalten unterdrücken.

    Ein Tipp für die Veränderung von Gewohnheiten: Untersuchungen (Kuhbandner & Haager, 2016) zeigen, dass es einen Unterschied macht, ob man eine lästige Gewohnheit ablegen oder etwas Neues versuchen möchte. Offenbar ist Annäherungsverhalten leichter zu erlernen, während es schwerer fällt, eine alte Gewohnheit abzulegen.

    Hilfe für die Praxis: Wie kann man sein Lernverhalten und seine Gewohnheiten ändern?


    Etymologisch hängt das Wort Gewohnheit übrigens mit Wohnen (lat. habitare, daher im Englischen habit), gewinnen und daher auch Wonne zusammen.


    Literatur

    Crego, Adam C.G., Stocek, Fabián, Marchuk, Alec G., Carmichael, James E., van der Meer, Matthijs A.A. & Smith, Kyle S. (2020). Complementary control over habits and behavioral vigor by phasic activity in the dorsolateral striatum. The Journal of Neuroscience, doi:10.1523/JNEUROSCI.1313-19.2019.
    Galla, B. M. & Duckworth, A. L. (2015). More Than Resisting Temptation: Beneficial Habits Mediate the Relationship Between Self-Control and Positive Life Outcomes. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 508-525.
    Jimenez, F. (2012). Warum es hilft, wenn die Milch immer rechts steht. Die Welt online vom 31. März 2012.
    Kuhbandner, C. & Haager, J. S. (2016). Overcoming Approach and Withdrawal Habits: Approaching former enemies is easier than withdrawing from former friends. Journal of Experimental Psychology: General, 145, 1438–1447.
    http://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkergewohnheitsrecht (12-11-11)
    http://www.zeit.de/zeit-wissen/2013/02/Psychologie-Gewohnheiten/ (13-04-10)


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    2 Gedanken zu „Gewohnheit“

    1. Was beim Verändern hilft

      Es fällt oft leichter, das eigene Verhalten dauerhaft zu ändern, wenn man aus freien Stücken handelt und einen Sinn für sich darin erkennt. Das soziale Umfeld ist ebenfalls entscheidend, denn arbeitet man gemeinsam mit anderen Menschen auf dasselbe Ziel hin, ist man eher erfolgreich. Auch sollte man sein Vorhaben möglichst exakt formulieren. Wichtig ist auch der Weg zum Ziel, denn bei großen Zielen setzte man sich am besten mehrere Zwischenstationen.

    2. Claudia Nuss, Buchautorin, Executive Coach und Keynote Speaker

      In einer Tageszeitung fanden sich drei Ursachen dafür, warum sich Menschen so schwertun, ihre Gewohnheiten zu ändern.

      Ihr Verstand liebt, was er kennt
      : Alles, was Ihnen bekannt vorkommt, ob es gut oder schlecht für Sie ist, ist das, wovon Ihr Verstand mehr will, weil er das Ergebnis vorhersagen kann. Ihr Geist ist eine Effizienzmaschine, die entwickelt wurde, um Sie zu schützen, weshalb er Muster, Routinen und Gewohnheiten liebt. Vorhersehbarkeit = kein Risiko.
      Ihr Verstand wird gegen alles kämpfen, was er nicht kennt: Egal, ob Sie sich gesund ernähren, neue Leute kennenlernen oder anders bei der Arbeit auftauchen möchten, jede Veränderung erfordert, dass Sie etwas Neues und Unbequemes tun. Aber denken Sie daran, Ihr Verstand mag nur das, was er kennt. In der Sekunde, in der er Veränderungen sieht, wird er Sie mit seinem Lieblingstrick bekämpfen.
      Ihr Verstand bringt Sie dazu zu glauben, dass das DENKEN an etwas dasselbe ist wie das TUN: Sie planen die Diät für einen Monat, beginnen sie jedoch nie. Sie denken den ganzen Morgen darüber nach, was Sie in diesem Meeting sagen werden, sagen es aber nie.

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