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forensische Psychologie

    Die forensische Psychologie ist ein Teilgebiet der Rechtspsychologie und wendet psychologische Theorien, Methoden und Erkenntnisse im Rahmen von Gerichtsverfahren an. Psychologen sind auch als Gutachter bei Gericht tätig, erstellen z.B. Gutachten für Familiengerichte, also zum Sorge- und Umgangsrecht bei Scheidungs- oder Misshandlungsfällen bzw. Familien mit Pflegekindern sowie über die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen. Weiterhin begutachten sie im strafrechtlichen Bereich zur Frage der Schuldfähigkeit die Persönlichkeitsstruktur von Straftätern und erstellen Risikoeinschätzungen (Prognosen) über das zu erwartende kriminelle Verhalten von Straftätern. Ein wesentliches Gebiet ist auch die

    Psychologie der Zeugenaussage

    Schon Hugo Münsterberg (Psychologie der Zeugenaussage aus dem Jahr 1908), Begründer der Psychotechnik, argumentierte, dass Psychologen unentbehrlich sind, um bei einem Strafprozess den Richtern, die sich mit einem Gebiet wie der menschlichen Wahrnehmung und dem Gedächtnis befassen, eine bessere Vorstellung von der Richtigkeit, Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen zu geben. Aussagen von Zeugen sind nur selten ein Abbild dessen, worüber berichtet wird, wobei Diskrepanzen zwischen tatsächlichen Ereignissen und deren Wahrnehmungen bzw. den Berichten mehrere Ursachen haben. Die Wahrnehmung sowie der Bericht über das Wahrgenommene sind immer das Ergebnis kognitiver Verarbeitungsprozesse, wobei in jeder Phase der Informationsverarbeitung Fehler auftreten können. So werden Details möglicherweise nicht wahrgenommen, werden falsch enkodiert oder gar nicht im Gedächtnis gespeichert. Auch können nachträgliche Informationen den Gedächtnisinhalt verändern oder bestimmte Frageformulierungen unzutreffende Antworten provozieren. Oft handelt es sich um unbeabsichtigte Irrtümer und Fehler. Daneben kann eine Aussage aber auch absichtlich vom Zeugen verfälscht worden sein, d.h., eine andere Sachverhaltsdarstellung geben, als sie vom Zeugen subjektiv für zutreffend gehalten wird, wobei es also die Glaubwürdigkeit der Aussage geht. Entscheidend für die begriffliche Unterscheidung zwischen Genauigkeitund Glaubwürdigkeit ist also die Motivation des Aussagenden, eine korrekte Sachverhaltsdarstellung zu geben. Aus der Unterscheidung der beiden Konzepte Genauigkeit und Glaubwürdigkeit folgt, dass eine Aussage glaubwürdig (also von einem subjektiven Wahrheitsvorsatz geprägt) sein, aber dennoch Fehler und Lücken enthalten kann. Von dem Auftreten von Aussagefehlern kann somit nicht ohne weiteres auf die Unglaubwürdigkeit der Aussage, also auf einen fehlenden Wahrheitsvorsatz geschlossen werden. Wenn etwa Zeugen eines Verbrechens einen Tatort beobachten, machen sie in der Regel zwei Arten von Fehlern, den Unterlassungsfehler, d. h., die Zeugen vergessen Details oder lassen eine Handlung aus, oder die Zeugen fügen unbeabsichtigt neue, nicht sachbezogene Daten und Informationen hinzu, um ihre Vergesslichkeit zu kompensieren, was bewusst aber auch unbewusst geschehen kann.

    Das Gutachten in der Forensik

    Die Anforderungen an psychiatrische oder psychologische Risikoeinschätzungen in der Forensik sind wesentlich gestiegen, denn es genügt nicht mehr, Chancen und Risiken für ein künftiges Legalverhalten bestmöglich zu erfassen, denn Risikoeinschätzung ist Voraussetzung für das Risikomanagement, Risikomanagement notwendige Folge einer Risikoeinschätzung. Prognosen sagen voraus, was geschehen wird, ihre Richtigkeit erweist sich, wenn das eintrifft, was vorausgesagt wurde, Risikoeinschätzungen hingegen dienen dazu aufzuzeigen, was sich ändern muss, damit eine Gefahr nicht zur Realität wird, sondern abgewendet werden kann. Sie sind Voraussetzungen für ein optimales oder zumindest adäquates Risikomanagement. Ihre Richtigkeit erweist sich also dann, wenn die Gefahr, die befürchtet wurde, vermieden oder verhindert wurde.

    Psychiatrisch-psychologische Gutachten sind bekanntlich durchaus fehleranfällig, vor allem, wenn sie eine Prognose stellen sollen, doch nicht allein die wissenschaftliche Expertise entscheidet über die Qualität, sondern qualifizierte Prognostiker sind nach Ansicht von Nedopil et al. (2021) intelligent, haben ein Verständnis für Zahlen und können analytisch denken. Sie sind neugierig und offen für neue Erfahrungen, haben Freude daran, mentale Herausforderungen zu meistern, sind in der Lage zum Perspektivwechsel und fähig zur Meinungsänderung, wenn neue Informationen dies erfordern. Schließlich können sie unterschiedliche Perspektiven und Denkmöglichkeiten zusammenfassen. Sie arbeiten sorgfältig und reflektiert und können ihre Arbeitsschritte begründen, und sie achten darauf, dass sie ihr automatisches Schlussfolgern in Schach halten.
    Gute Prognostiker sind aktiv aufgeschlossen und verhalten sich wie ein System, das stets verbesserungsbedürftig ist, d.h., sie streben ständig nach einer Verbesserung ihrer Fähigkeiten und sind der Überzeugung, dass man sich verbessern muss und kann. Sie wissen, dass prognostische Entscheidungen immer mit Unsicherheiten verbunden sind; sie sind daher vorsichtig und bescheiden, da ihnen auch die Komplexität der möglichen realen Entwicklungen bewusst ist. Sie gehen davon aus, dass nichts vorherbestimmt ist und das meiste sich in mehrere Richtungen entwickeln kann. Deterministisches Denken ist für Gutachter unangebracht und kennen die möglichen kognitiven und emotionalen Fehlschlüsse.

    Ansätze zur Rehabilitation von Straftätern

    Die wohl einflussreichsten und meistdiskutierten Modelle zur Rehabilitation von Straftätern sind in der aktuellen Literatur das Risk-Needs-Responsivity Modell und das später entwickelte Good-Lives Modell. Beide Modelle nehmen für sich in Anspruch, allgemeine Rahmenbedingungen zu beschreiben, deren Umsetzung wesentlich zu einer erfolgreichen Straftäterrehabilitation im Sinne sinkender Rückfallraten nach Entlassung in Freiheit beitragen sollen.

    Das Risk-Needs-Responsivity Modell ist ein evidenzbasiertes Modell, das bei der kriminellen Rehabilitation und dem Risikomanagement eingesetzt wird, und entwickelt wurde, um die Wirksamkeit von Interventionen bei straffälligen Menschen zu verbessern. Es basiert dabei auf drei zentralen Prinzipien: Das Modell identifiziert das Rückfallrisiko von Straffälligen anhand von Risikofaktoren wie früherem kriminellem Verhalten, antisozialer Persönlichkeitsstruktur und sozialen Umständen, d. h., Straftäter und Straftäterinnen mit einem höheren Rückfallrisiko erhalten intensivere und gezieltere Interventionen. Das Modell berücksichtigt dabei die individuellen Bedürfnisse von straffälligen Personen, etwa kriminalitätsfördernde Faktoren wie Suchtprobleme, antisoziale Einstellungen und geringe soziale Kompetenzen, sodass die Interventionen darauf abzielen, diese Bedürfnisse zu erkennen und zu adressieren. Das Modell berücksichtigt darüber hinaus auch die unterschiedlichen Reaktionsweisen der Betroffenen auf Interventionen, wobei die Interventionen an die individuellen Merkmale und Lernstile der straffälligen Personen angepasst werden, um die Wirksamkeit zu maximieren. Dieses Modell legt daher einen starken Fokus auf evidenzbasierte Interventionen, die nachgewiesenermaßen effektiv sind, und betont die Bedeutung einer gezielten und individualisierten Herangehensweise.

    Das Good Lives Modell ist ein stark humanistisch beeinflusster, stärkenbasierter Ansatz der Straftäterrehabilitation, der sich an mittelbaren Lebenszielen, Interessen und Ressourcen von Straftätern orientiert. Grundannahme ist dabei, dass Straftaten als dysfunktionaler Weg betrachtet werden, an sich unproblematische, prosoziale Ziele zu erreichen. So geht dieses Modell davon aus, dass Straftäter wie andere Menschen auch auf Ziele bzw. sogenannte primäre Güter (primary goods) ausgerichtet sind. Hierbei handelt es sich um ihrer selbst willen angestrebte Zustände, Erlebensweisen oder persönliche Charakteristika, die mit einer Steigerung des Wohlbefindens assoziiert sind und nicht als moralisch übergeordnete Kategorien idealer Lebensführung verstanden werden sollten. Hinzu kommt die Annahme, dass Menschen ihre Taten als identitätsstiftend erleben, sodass es nicht ausreicht, Straftäter mit den Fähigkeiten auszustatten, ihre Defizite und Risikofaktoren zu kontrollieren, sondern sie sollten auch die Möglichkeit bekommen, eine adaptivere, prosoziale Identität auszuprobieren, die sie als bedeutsam und sinnvoll erleben.

    Literatur

    Köhnken, G. & Wegener, H. (1982). Zur Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen: Experimentelle Überprüfung ausgewählter Glaubwürdigkeitskriterien. Zeitschrift für Experimentelle und Angewandte Psychologie, 29, 92–111.
    Nedopil, N., Endrass, J., Rossegger, A. & Wolf, Th. (2021). Prognose – Risikoeinschätzung in Forensischer Psychiatrie und Psychologie. Ein Handbuch für die Praxis. Pabst.
    Trankell, A. (1971). Der Realitätsgehalt von Zeugenaussagen. Göttingen: Hogrefe.
    Schmidt, Alexander (2019). Ein kritischer Vergleich des Risk-Need-Responsivity Ansatzes und des Good Lives Modells zur Straftäterrehabilitation. Bewährungshilfe, 66, 211-223.
    Stangl, W. (2023, 15. Juni). Ansätze der Forensischen Psychiatrie. arbeitsblätter news.
    https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/ansaetze-der-forensischen-psychiatrie/.
    Stück, Elisabeth & Brunner, Franziska (2022). Das spezifische Ansprechbarkeitsprinzip in der Behandlung delinquenter Personen. Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie, 16, 329-338.


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