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Magersucht

    Die Magersucht bzw. Anorexia nervosa ist dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen – meist Frauen – sich weigern, ein altersentsprechendes Normalgewicht zu halten (Körpergewicht 15 und mehr Prozent unter dem erwarteten Gewicht bzw. ein Body-Mass-Index von 17,5 oder weniger). Wörtlich bedeutet Anorexie „Appetitverlust oder -verminderung“ – eine irreführende Bezeichnung, da nicht unbedingt der Appetit, sondern in erster Linie das Essverhalten gestört ist. Der Zusatz „nervosa“ weist auf die psychischen Ursachen der Essstörung hin. Die an dieser Störung leidenden Frauen haben keinen Appetitmangel, sondern bekämpfen ihren Hunger.

    Zentrales Leitmotiv ist der Wunsch nach extremer Schlankheit und Selbstbestimmung, wobei vor allem Frauen betroffen sind. Alle Versuche der Umwelt zu helfen werden als unzulässige Einflussnahme abgewehrt. Häufig besteht eine intellektuelle und körperliche Überaktivität, trotz vorhandener körperlicher Einschränkungen. Übrigens ergab eine Befragung von 800 Frauen im Alter von 18 bis 65 Jahren durch Tracy Tylka (2011), dass die Haltung von Frauen zum eigenen Körper allerdings nur bedingt von ihrer eigenen Wahrnehmung abhängt, vielmehr messen sie sich selber daran, wie das Urteil von Freunden und Bekannten aus ihrem Umfeld ist, d.h., sie schauen zuerst, ob andere ihren Körper akzeptieren, um dann zu bestimmen, ob sie ihn selbst auch schätzen (Stangl, 2018).

    Das Krankheitsbild der Anorexia nervosa ist erstmals 1873 beschrieben worden, die Diagnose wird aber erst seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts häufiger gestellt, wobei nicht eindeutig gesagt werden kann, ob die Krankheit in der heutigen Gesellschaft tatsächlich häufiger auftritt, oder ob die gestiegene Aufmerksamkeit dazu führt, dass die Krankheit häufiger diagnostiziert wird (Stangl, 2018).

    1. Definition
    „Ist die krankhafte Folge einer unzureichenden Ernährung mit starkem Untergewicht. Störungen der Nahrungsaufnahme sind i.d.R Appetitstörungen infolge organ. und psych. Erkrankungen (z.B. chron. Infekte, Krebserkrankungen, Depressionen). Das Unterhautfettgewebe ist weitgehend verschwunden. Am häufigsten ist die Anorexia nervosa, eine durch Angst vor Übergewicht, gestörtem Körperschema und Krankheitsverleugnung gekennzeichnete Essstörung, die zu extremer Gewichtsabnahme führt; tritt v.a. bei Mädchen während der Pubertät auf. Die Ursachen liegen in sozikulturellen, familiären und genetisch-biolog. Faktoren. Weitere Merkmale der M. sind Erbrechen, Missbrauch von Abführmitteln, Appetitzüglern oder Entwässerungstabletten. Der Wunsch abzumagern wird zwanghaft, auch wenn schwere körperl. Beeinträchtigungen drohen und sogar Todesgefahr besteht. Zu den körperl. Folgeschäden gehören das Absinken des Stoffwechsels, des Pulses, des Blutdrucks und der Körpertemperatur. Im weitern Verlauf kommen Müdigkeit, Frieren und Verstopfung hinzu. Trockene Haut und brüchige Haare zeigen die hormonellen Veränderungen an, die sich auch im Ausbleiben der Menstruation äußern. Übergänge zur Bulima nervosa (Bulimie) sind nicht selten. Die Behandlung umfasst die Loslösung vom Elternhaus (stationäre Behandlung), kontrollierte Ernährung (z.T. künstlich), Psychotherapie und Psychopharmakagaben“ (o.A., 1998, S. 18).

    2. Definition
    „Fettschwund m. Untergewicht; Urs.: neben exogenen (Unterernährung Resorptionsstörungen, Appetitlosigkeit; s. Anorexie) auch endogene Faktoren, u.a. konstitutionelle (Asthenie) u. psychogene Faktoren (Anorexia* nervosa, psychogene Essstörungen*) sowie endokrine Erkr. (u.a. Hypophysenvorderlappeninsuffizienz, Addision-Krankheit, Hyperthyreose)“ (Pschyrembel, 1990, S. 1008).

    3. Definition
    „Anorexia nervosa (Magersucht): Die Magersucht ist in den Industrieländern die häufigste Form der Mangelernährung. Die Nahrungsaufnahme wird trotzt vorhandenen Angebotes verweigert. Es handelt sich um eine Krankheit auf dem Grenzgebiet zwischen Innerer Medizin, Psychiatrie und Psychosomatik. Diese psychosomatische Krankheit beginnt als „Entwicklungskrise“ meist während der Pubertät als „Pubertätsmagersucht“ und nur selten nach dem 30. Lebensjahr. Gründe sind Probleme mit der sexuellen Reife, Abwehr der weiblichen Geschlechtsrolle, unbegründete Angst vor „Dickwerden“, Verleugnung des krankhaft niedrigen Gewichtes (verzerrtes Körperbild). Die Anorexie ist oft von psychiatrischen Zeichen (Persönlichkeitsstörungen, Angstzustände, Leistungszwang, Depressionen) begleitet. Zusätzlich können gesellschaftsbedingte Einflüsse („Schlankheitswahn“) eine Rolle spielen“ (Gerlach, Wagner & Wirth, 2006, S. 153).

    4. Definition
    „Anorexia nervosa (Magersucht, Pubertätsmagersucht): Essstörung mit absichtlichem, möglicherweise lebensbedrohlichem Gewichtsverlust unter 85 % des zu erwartenden Gewichtes. Dabei Körperschemastörung mit tief verwurzelter Gewissheit, zu dick zu sein, oder Angst, zu dick zu werden. Tritt überwiegend bei Mädchen auf (hier Häufigkeit etwa 1-2 %) mit einem Altersgipfel bei etwa 14-15 Jahren“ (Menche, Goedeckemeyer & Grunst, 2004, S. 1361).

    5. Definition
    Eine Abmagerung ist immer dann zu erwarten, wenn die Nahrungszufuhr geringer ist, als es dem tatsächlichen Bedarf des Körpers entspricht. Im Laufe der Zeit kommt es dann zu weiteren Störungen, vor allem der inneren Sekretion. Eine krankhafte Magersucht, bei der das tatsächliche Gewicht min. 20 % unter dem Sollgewicht liegt, ist meist durch Störungen der inneren Sekretion bedingt. Weiterhin kann es im Verlauf von Infektionskrankheiten oder anderen zehrenden Erkrankungen wie Tuberkulose, Krebs usw. zu einer Magersucht kommen, wobei u. a. auch die Giftwirkung der Krankheitserreger eine erhebliche Rolle spielt. Liegt eine Unterernähung vor, so zeigen sich auch Störungen der körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit, die zu einer allgemeinen Entkräftung führen. Durch das Schwinden der Fettpolster des Unterhautzellgewebes und im übrigen Körper lässt die Glätte und Spannung der Haut nach. Sie wird trocken, faltig und rau und zeigt eine graugelbliche Verfärbung. Meist tritt besonders häufiger Harndrang auf. Es kommt schließlich zu psychischen Veränderungen, zu Reizbarkeit oder Stumpfheit, zu Gedächtnisschwäche oder Verminderung der Konzentrationsfähigkeit (vgl. o.A., 1968, S. 302).


    In der Biographie

    von Magersüchtigen finden sich häufig Einflüsse aus der Herkunftsfamilie oder von anderen bedeutsamen Bezugspersonen. So haben Betroffene, die eine Magersucht entwickeln, oft schon früh viel Verantwortung für andere übernommen, etwa für die eigenen Eltern, haben sich dabei mit einem Elternteil verbündet oder werden von ihren Eltern emotional und psychisch missbraucht, nicht selten als Partnerersatz, als Vorzeigekind oder zum Bewältigen einer unglücklichen Ehe. Schon früh mussten sie dabei einem bestimmten Bild der Eltern entsprechen und eigene Bedürfnisse und Gefühle zurückstellen, wodurch sie durch das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse eine Angst vor der Welt und einem unabhängigen Leben außerhalb der Familie entwickeln. In nicht wenigen Fällen tritt die Magersucht auch bei homosexuellen Männern auf, wobei hier die die Ablehnung der eigenen Homosexualität zur Selbstabwertung, zur Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und einer inneren Leere einhergehen kann, d. h., die Betroffenen versuchen ihre psychischen Probleme durch die Erkrankung zu kompensieren. Letztlich neigen Magersüchtige zu Perfektionismus und rigidem Denken, haben Angst vor Kontrollverlust und schränken ihr Leben auf die Themen von Ernährung und eigene Körperlichkeit ein, sie leben sozial zurückgezogen und entwickeln in dieser Hinsicht zwanghafte, depressive, histrionische und narzisstische Züge.

    Psychotherapie bei Magersucht

    Eine Studie hat verschiedene Formen der Psychotherapie bei Magersucht verglichen, wobei über zweihundert erkrankte Frauen drei Gruppen zugeteilt wurden: In der ersten erhielten sie eine intensive Betreuung, wobei der Hausarzt einen Psychotherapeuten aussuchte, in der zweiten unterzogen sich die Frauen einer kognitive Verhaltenstherapie und lernten dabei Techniken, um ihr Essverhalten zu kontrollieren, und in der dritten gingen die Frauen in einer Form von Psychoanalyse den Konflikten und emotionalen Auslösern der Magersucht auf den Grund. Die Therapien dauerten jeweils zehn Monate, wobei in allen Gruppen die Magersüchtigen langsam aber stetig an Gewicht zulegten. In allen drei Therapievarianten setzte sich die Erholung nach Therapieende fort, doch der Vorteil der kognitiven wie der tiefenanalytischen Methoden war, dass die Frauen sich ambulant behandeln lassen konnten. Nicht bei allen Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer ließ sich jedoch eine nachhaltige Wirkung feststellen, denn ein Viertel von ihnen litt auch noch ein Jahr nach Ende der Therapie an einer ausgeprägten Magersucht.

    Belohnungssystem bei Magersüchtigen gestört

    Bei Menschen mit Magersucht wird der Drang, Nahrung zu vermeiden, verstärkt und das Gehirn belohnt das Hungern und reagiert auf Nahrungsaufnahme mit der Furcht vor Gewichtszunahme. Wenn die Betroffenen Gewicht verlieren, aktiviert das im Gehirn die mit Dopamin assoziierten Belohnungszentren. Im Normalfall aktiviert das Gehirn diese Zentren eigentlich nur dann, wenn der Körper Nahrung braucht, d. h., der Mensch wird dadurch normalerweise motiviert, auf Nahrungssuche zu gehen und etwas zu essen, doch bei Magersüchtigen sorgt das Gehirn nicht dafür, dass die Menschen essen, sondern sie entwickeln dabei die Angst, zuzunehmen. Dadurch entsteht ein Teufelskreis, denn die Betroffenen schränken ihre Nahrungsaufnahme noch weiter ein. Die Belohnungsreaktion auf den Verzicht von Nahrung überlagert bei Magersüchtigen offenbar den Wunsch nach Essen und das Hungergefühl. Jugendliche in der Pubertät reagieren dabei offenbar besonders empfindlich, denn im Normalfall mögen Menschen den süßen Geschmack von Lebensmitteln, doch Jugendliche mit Magersucht verbinden mit Süßem nur die Gewichtszunahme und vermeiden daher Zucker. Jugendlichen waren negativ auf Süßes konditioniert und haben dadurch eine paradoxe Assoziation durch die Dopaminfreigabe auf die Belohnungssysteme entwickelt.

    Mögliche genetische Ursachen

    Neuere Untersuchungen weisen nach, dass Magersucht nicht nur psychische Ursachen hat, sondern auch mit dem Stoffwechsel der Betroffenen zusammenhängen könnte. Man fand acht Genvarianten, die mit Magersucht in Zusammenhang zu stehen scheinen und auf eine Rolle des Stoffwechsels bei der Entstehung der Krankheit hinweisen. Beim Vergleich des Erbguts von fast 17000 Magersucht-Patientinnen und -Patienten aus 17 Ländern mit dem Genom von rund 55500 nicht betroffenen Menschen zeigte sich, dass bestimmte genetischen Varianten in der Gruppe der Magersucht-Betroffenen deutlich häufiger vorkommen als in der Kontrollgruppe. Diese betreffen unter anderem den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel, wobei sich allerdings die betroffenen Gengruppen mit bekannten Risikogenen für andere psychiatrische Störungen überschneiden, wie etwa Zwangs- oder Angststörungen, Depressionen und Schizophrenie. Menschen, die an Magersucht erkranken, haben also vermutlich nicht nur den Drang, möglichst schlank zu bleiben, sondern empfinden beim Essen vermutlich auch weniger Genuss als gesunde Menschen, was erklären könnte, warum Magersüchtige in der Therapie oft Probleme haben, wieder an Gewicht zuzulegen. Man sollte daher die Anorexia nervosa auch als Stoffwechsel-Erkrankung ansehen und dementsprechend behandeln.

    Frauen viel häufiger betroffen

    Bis zu vier Prozent der Frauen erkranken an Magersucht (Anorexia nervosa). Männer sind viel seltener betroffen (0,3 Prozent), prominente Beispiele gibt es dennoch: etwa den österreichischen Schriftsteller Franz Kafka, der die Krankheit in der Erzählung „Der Hungerkünstler“ aus der Sicht eines Betroffenen schilderte.

    Literatur

    Gerlach, U., Wagner, H. & Wirth, W. (2006). Innere Medizin für Pflegeberufe. Stuttgart: Verlag Georg Thieme.
    Menche, N., Goedeckemeyer, S. & Grunst, S. (2004). Pflege Heute. München: Verlag Urban & Fischer.
    Ohne Autor (1998). Brockhaus. Die Enzyklopädie. Band 14 MAE-MOB. Leipzig: Verlag Brockhaus.
    Ohne Autor (1999). Moderner Ärztlicher Ratgeber. Wiesbaden: Verlag Orion-Verlags GmbH.
    Pschyrembel, W. (1990). Klinisches Wörterbuch. Berlin: Verlag De Gruyter.
    Stangl, W. (2018). Anorexia Nervosa Magersucht. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Anorexie.shtml (2018-08-27).
    https://www.kindererziehung.com/news-leser/geschmack-als-ausloeser-der-angst-bei-magersucht02082.php (18-08-27)
    https://www.nature.com/articles/s41588-019-0439-2 (19-07-16)


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