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Barnum-Effekt


    Die Kunst, einem anderen das zu sagen, was er von sich glaubt, nennt man Schmeichelei.
    Erik Ode

    Der Barnum-Effekt oder Forer-Effekt bezeichnet die Neigung von Menschen, vage und allgemeingültige Aussagen über die eigene Person als zutreffende Beschreibung zu akzeptieren, daher manchmal auch als – manchmal auch als Täuschung durch persönliche Validierung (personal validation fallacy) bezeichnet.  Der Begriff wurde von Paul Meehl eingeführt und ist nach Phineas Taylor Barnum benannt, der ein riesiges Kuriositätenkabinett unterhielt, das für jeden Geschmack etwas bieten konnte („a little something for everybody“). Typische  Barnum-Aussagen nehmen auf bei den meisten Menschen vorhandenen Wünsche und Ängste Bezug, formulieren diese in einem Sowohl-als-auch, verwenden Allgemeinplätze oder Mehrdeutigkeiten, so dass die meisten Menschen auch zustimmen können, denn irgendwie passen die Aussagen ja doch. Solche Aussagen werden dann oft als überraschend oder gar besonders zutreffend erlebt, wobei diese Wirkung bewusst eingesetzt werden kann, um andere Menschen auch zu manipulieren.

    Bertram Forer verwendete 1948 in seinem Experiment mit Studenten, denen er nach einem angeblichen Persönlichkeitstests in der Auswertung Aussagen wie „Ich bin tendenziell selbstkritisch“, „Ich werde unzufrieden, wenn ich mich eingeschränkt fühle, und mag ein gewisses Maß an Veränderung“, „Auch wenn ich nach außen kontrolliert und selbstdiszipliniert erscheine, bin ich manchmal innerlich unsicher“ präsentierte, die er Horoskopen entnommen hatte. Solche Aussagen enthalten Ambivalenzen, die zutiefst menschlich sind, wie etwa die Sehnsucht nach Sicherheit und Stabilität, die aber mit dem Wunsch nach Veränderung und Aufregung konkurriert.

    Barnum-Aussagen sind in der Regel nicht überprüfbar und widerlegbar, denn sie betonen vor allem Aspekte, die allenMenschen gemeinsam sind, oder Eigenschaften, die Menschen gerne besitzen würden. Solche Barnum-Aussagen sind z.B. in Zeitungshoroskopen zu finden, wie auch später Michel Gauquelin bestätigte, indem er in einer Zeitschrift ganz persönliche Gratis-Horoskope mit individuellem Persönlichkeitsprofil annoncierte, aber in Wahrheit an alle ein und dasselbe Gutachten verschickte. In dem beigefügten Fragebogen sollten die Horoskopierten nun beantworten, wie gut von diesem Profil ihre Persönlichkeit getroffen sei. Über 90 Prozent waren begeistert von der Analyse, wobei als Grundlage für die astrologische Prophezeiung die Persönlichkeit des französischen Serienmörders Marcel Petiots verwendet wurde.

    Eine typische Beschreibung einer Persönlichkeit, die den Barnum-Effekt berücksichtigt: „Sie nehmen nicht alles einfach unbewiesen hin, sondern prüfen gern kritisch, ob das, was man Ihnen erzählt, auch wirklich stimmt. Zudem sind Sie ein Mensch, der ein gewisses Maß an Abwechslung und Veränderung bevorzugt und sich ungern durch Verbote oder Beschränkungen einengen lässt. Vermutlich gibt es aber auch manchmal Situationen in Ihrem Leben, in denen Sie sich fragen, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben.“

    Kommunikationstrainer dressieren ihre Schützlinge, oft Politiker und Spitzenmanager, dadurch erfolgreich, dass sie eine Mischung aus einfach formulierten Wünschen, unklaren aber gescheit klingenden Formulierungen und suggerierenden Behauptungen mit sozialen Untertönen verwenden. Zwar spielt dabei die Realität natürlich auch eine Rolle, aber ein solcher Etikettenschwindel bringt mehr Punkte, woran aber nicht die Manager oder Politiker schuld sind, sondern in erster Linie ein Volk von Leichtgläubigen, das nur bestimmte Standardtexte hören will.


    Die Barnum-Statements

    bilden die Grundlage des Cold Reading, indem man den GesprächspartnerInnen nur unspezifische, allgemein zutreffende Aussagen anbietet. Auch wenn es natürlich Ausnahmen gibt und manche Aussagen besser als andere funktionieren, finden sich die meisten Menschen automatisch darin wieder und validieren diese.

    • Du bist auf die Zuneigung und Bewunderung anderer angewiesen.
    • Du hast eine Neigung zur Selbstkritik.
    • Du hast beträchtliche Fähigkeiten, die du noch nicht zu deinem Vorteil nutzt.
    • Deine Persönlichkeit weist einige Schwächen auf, die du aber allgemein auszugleichen weißt.
    • Deine sexuelle Entwicklung hat dir Schwierigkeiten bereitet.
    • Nach außen hin bist du diszipliniert und kontrolliert, innerlich neigst du dazu, dich besorgt und unsicher zu fühlen.
    • Manchmal zweifelst du stark an der Richtigkeit deines Tuns und an deinen Entscheidungen.
    • Du bevorzugst ein gewisses Maß an Abwechslung und Veränderung und bist unzufrieden, wenn dich Regeln und Verbote einengen.
    • Du bist stolz auf dein unabhängiges Denken und nimmst die Aussagen anderer nicht ohne Beweis hin.
    • Du hast die Erfahrung gemacht, dass es unklug sein kann, dich anderen allzu bereitwillig zu öffnen.
    • Manchmal verhältst du dich extrovertiert, redselig und aufgeschlossen, dann wieder introvertiert, auf der Hut und zurückhaltend.
    • Einige deiner Hoffnungen sind ziemlich unrealistisch.
    • Sicherheit ist eines deiner größten Ziele im Leben.

    Wer etwa Cold Reading praktizieren will, muss diese Kernaussagen verinnerlichen, um sie dann in Gesprächssituationen schnell parat zu haben, wobei es aber nicht darum geht, diese auswendig abzuspulen, sondern sie in eigene Worte zu fassen und auch mit etwas Feingefühl der jeweiligen Situation anzupassen. Wer diese Barnum-Statements anwenden will, um Vertrauen zu schaffen, muss mit Fingerspitzengefühl vorgehen, also diese etwa so einzuleiten: „Geht es dir auch manchmal so, dass…“, „Manchmal fühle ich mich so, als ob…“ oder „Wenn ich ehrlich bin, fällt es mir sehr schwer, Gefühle auszudrücken“. Eine solche Einleitung wirkt wie ein privates Geständnis und schafft Vertrauen, so dass sich das Gegenüber leichter öffnet. Auch den Statements Fragen wie „Kennst du das?“ oder „Geht es dir auch so?“ folgen zu lassen, funktioniert gut, denn dadurch bringt man sein Gegenüber dazu, aktiv über die Statements nachzudenken und etwas von sich preiszugeben.

    Quelle: Mentalist Timon Krause im Interview mit Corinna Schneider in FOCUS Online vom 24. Oktober 2020.


    Der Schmeichelei gehen auch die Klügsten auf den Leim.
    Molière

    Warum daher Horoskope in Zeitschriften und Zeitungen immer „stimmen“

    Ob Menschen an Astrologie oder Horoskope glauben, hat ebenfalls mit dem Barnum-Effekt zu tun, denn Aussagen über die eigene Persönlichkeit sind so allgemeingültig und vage formuliert, dass jede und jeder sich darin wiederfindet. Durch Formulierungen wie „Eine Entscheidung, eine Veränderung steht an“ werden Rahmenvorgaben abgesteckt, die alle Situationen abdecken, sodass in irgendeinem Bereich das Versprochene dann in jedem Fall zutrifft. Wenn es heißt, dass man bald die große Liebe findet, dann ist bald für einen die nächste Woche, für den anderen das nächste Jahr, d. h., man kann nie das Gegenteil beweisen, denn es könnte ja schon morgen passieren. Häufig werden auch Gegensätze formuliert: „Sie sollten weniger grübeln und mehr Tatendrang beweisen“. Dadurch entstehen Skalen der Befindlichkeit, auf denen jeder Mensch seine eigene Position finden kann. Auch werden Gegensätze  häufig verwendet, etwa der Rat, dass man Chancen und Karrieremöglichkeiten nutzen sollte, aktiv sein sollte oder an den Vorgesetzten Forderungen stellen sollte, aber gleichzeitig sollte man Geduld haben, bei Konflikten abwarten, alles prüfen, Zurückhaltung zeigen. Im Grunde geht es in Horoskopen um Mäßigung, um das Vermeiden von Extremen, d. h., Horoskope bilden einen Bereich des Mittleren aus und die meisten Menschen fühlen sich dort selbst angesiedelt. Viele leerformelhafte Bezeichnungen und Metaphern wie „Sie sind auf einem guten Weg“, „Auf der Überholspur“, „Stolpersteine“, „Notbremse“ lassen den Bezug bewusst unklar, die LeserInnen können sie für sich anwenden. Beliebt sind auch Sprichwörter und Allgemeinplätze, da sie sich nicht widerlegen lassen: „Was Du heute kannst besorgen …“, „Jedes Ding hat zwei Seiten“, das ist nie wirklich falsch. Die sprachlichen Elemente besitzen ein Allgemeinheitspotenzial, die der Einzelne für sich interpretiert, sodass es allein auf die Leserin buzw. den Leser ankommt, wie weit ein Horoskop zutrifft. Hinzu kommt, dass Menschen immer nach Erklärungen streben, wobei bei Horoskopen noch der Hauch des Geheimnisvollen und Magischen hinzukommt, d. h., der Mensch fühlt sich geleitet von überirdischen Mächten. Besonders in Jahreshoroskopen finden sich schmeichelhafte Formulierungen, wie „Sie sind attraktiv und intelligent, können alles erreichen“. Horoskope sind dabei von SpezialistInnen häufig auf die Zielgruppen der Zeitschriften ausgerichtet, d. h., in Frauenzeitschriften finden sich häufig Komplimente, weil Frauen gerne Komplimente hören, und in Hochglanzmagazin rät man LeserInnen „Tanken Sie Energie, gönnen Sie sich einen Wellness-Urlaub!“, weil das die entsprechende Klientel anspricht. Horoskope spiegeln daher auch gesellschaftliche Strukturen und Realitäten wider (vgl. Simon, 2012). Hinzu kommt, dass sich Menschen gerne selbst betrügen, denn von zahlreichen Behauptungen sucht man sich jene heraus, die die eigene Meinung über sich selber bestätigen, und zwar vor allem die positiven Aspekte.

    Vor allem Wahrsager nutzen gerne universellen Aussagen, die auf fast jeden Menschen zutreffen und erwecken den Eindruck, viel über eine Person zu wissen. Der  auf diese Weise Angesprochene bekommt dadurch das Gefühl, das Gegenüber würde ihn schon lange kennen, öffnet sich und es ist leicht, mehr über spezifischen Motive und Bedürfnisse herauszufinden. Universelle Aussagen sind einfach gehaltene Aussagen, die für einen Menschen sehr charakteristisch wirken, besonders in Eins-zu-eins-Gesprächen, sind in Wahrheit sehr allgemein und mehrdeutig, wodurch sie auf jede beliebige Person anwendbar sind. Universelle Aussagen sprechen das Wunschdenken an, denn man erzählt auf diese Weise einem Menschen nur, wie er gern von anderen wahrgenommen werden möchte, wobei es gleichgültig ist, ob das, was man sagt, wirklich passt, denn allein wichtig ist nur, dass das Gegenüber als wünschenswert erachtet und daher unbewusst zustimmt.

    Ein wunderschönes Beispiel ist die Engelsbotschaft eines Padres: Ulrichs Schutzengel ist Asaliah.

    Was schwarz auf weiß voliegt, wird geglaubt

    Die Pädagogische Psychologie ist eine Wissenschaft, die sich überwiegend Common-Sense-Verallgemeinerungen über die menschliche Natur zu eigen macht, wobei solche zum Teil sehr begrenzten und unsystematischen Verallgemeinerungen das alltäglich gebrauchte Handwerkszeug von Laien sind. Solche Verallgemeinerungen auf der Basis des gesunden Menschenverstandes müssen aber sorgfältig empirisch belegt werden, denn sie können im völligen Gegensatz zu dem stehen, was Forscher tatsächlich herausgefunden haben. In einer Studie legte man Studienanfängern die Ergebnisse von sozialwissenschaftlichen Untersuchungen vor, von denen die Hälfte jeweils falsch war. Einer zweiten Gruppe von Probanden wurden die gegenteiligen Aussagen vorgelegt. Aufgabe war es, anzugeben, ob sie das Ergebnis vorhergesehen hätten und es ihnen plausibel erscheint. Es zeigte sich, dass in beiden Gruppen den meisten Aussagen zugestimmt wurde, was beweist, dass ein Ergebnis, das schwarz auf weiß vorliegt, als selbstverständlich angesehen wird, wobei es offensichtlich keine Rolle spielt, welches Ergebnis vorgelegt wurde.

    Pseudo-Persönlichkeitstests im Internet arbeiten mit dem Barnum-Effekt

    Mit dem Barnum-Effekt operieren auch Anbieter von angeblich wissenschaftlich überprüften Persönlichkeitstests, die im Internet beworben werden. Dabei wurden „die Theorien von Abraham Maslow, Raymond Catell, Alfred Adler, Karl Jung, Erik Erikson und Jean Piaget analysiert und in einem 5-stufigen Analyseverfahren zusammengefasst“, was schon von der Rechtschreibung (Carl Gustav Jung, Raymond Bernard Cattell) her falsch ist, aber auch theoretisch nicht zusammenpasst, da die genannten Wissenschaftler mit völlig inkompatiblen Menschenmodellen arbeiteten. Nichtsdestoweniger heißt es aber dort: „Das Analyseverfahren wurde von Wissenschaftlern und Persönlichkeitsexperten zertifiziert. 2003 wurde zur Validierung des Verfahrens eine Universitätserhebung mit 21.074 Teilnehmern durchgeführt. Zudem erfolgte eine Validierung der 32 Persönlichkeits-Dimensionen zur Bestimmung der Kompatibilität von Paaren. Die Teilnehmer bestätigten eine hohe Übereinstimmung der Ergebnisse des Persönlichkeitstests mit Ihrer eigenen Einschätzung zu sich selbst in allen 8 Hauptbereichen des Tests. Die Validierung erfolgte durch einen Vergleich der Testergebnisse mit den eigenen Angaben der Teilnehmer zu Interessen, Aktivitäten, Werten und Hobbies. Zusätzlich zeigte eine korrelative Analyse der Kompatibiliätsanalyse eine hohe Korrelation der Testergebnisse mit dem langfristigen Erfolg von Beziehungen, insbesondere in den Bereichen Vertrauen, Ehrlichkeit und Kommunikation.“ Natürlich kann man in diesem Fall nicht von einer Validierung sprechen – siehe dazu Gütekriterien für psychologische Tests.

    In den Testimonials zu den Testergebnissen kann man folgerichtig angebliche Rückmeldungen der TestTeilnehmerinnen und Teilnehmer finden:

    • „Der Abschnitt zu meinem Beziehungs-Typus hat mir besonders gut gefallen. Ich habe mich immer für einen bestimmten Typ Mann interessiert (extrovertiert und intuitiv) – das hat der Test gut erkannt.“
    • „Der Ratgeber ist so, als hätte ich einen persönlichen Psychologen, der mich genau unter die Lupe genommen hat.“
    • „Ich habe schon eine Menge über Persönlichkeit und Verhalten gelesen, aber dies war das erste Mal, dass alles direkt auf mich angewendet wurde – und dabei in einer Sprache, die man auch ohne Psychologiestudium verstehen kann.“
    • „Erstaunlich, dass Sie wussten, dass ich mir gut Namen merken kann und mir für alles Listen mache. Hut ab, habe einiges über mich gelernt!“
    • „Danke für die Tipps. Das Kapitel zu meiner „Idealen Rolle in der Gesellschaft“ war genau das, wonach ich gesucht habe. Es stimmt, dass ich Jobs meiden sollte, in denen ich hauptsächlich alleine arbeite. Ich funktioniere auf jeden Fall besser in einer Gruppe.“

    Literatur

    Simon, Violetta (2012). Warum Horoskope immer stimmen. Interview mit Katja Furthmann. Süddeutsche.de vom 27. Jänner 2012.
    http://www.personalitynet.de (12-08-21)
    http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/internet/PRESSEORD/dpa060717.html (12-08-21)
    https://lexikon.stangl.eu/829/self-fullfilling-prophecy/ (12-11-21)


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    Ein Gedanke zu „Barnum-Effekt“

    1. Ein klassicher Barnum-Text

      Du möchtest, dass andere dich mögen und schätzen und neigst dazu, kritisch mit dir selbst zu sein. Du hast einige charakterliche Schwächen, kannst die aber grundsätzlich mit deinen positiven Eigenschaften ausgleichen. In dir schlummert viel Potential, das du allerdings ungenutzt verstreichen lässt. Nach außen hin bist du diszipliniert und selbstbeherrscht, neigst aber dazu, dich innerlich ängstlich und unsicher zu fühlen. Du zweifelst öfter daran, ob dein Handeln und deine Entscheidungen richtig sind. Du magst Abwechslung und Veränderung und bist unzufrieden, wenn du von Verboten eingeengt wirst. Du bist stolz auf dein unabhängiges Denken und nimmst die Aussagen anderer Menschen nicht unkritisch hin. Außerdem findest du es unklug, sich anderen zu bereitwillig zu öffnen. Du bist manchmal extravertiert und aufgeschlossen, dann wieder skeptisch und zurückhaltend. Manche deiner Hoffnungen sind eher unrealistisch.

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