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Hirnorganoid

    Organoide sind aus pluripotenten Stammzellen abgeleitete Gewebekulturen, die in der Petrischale dreidimensional wachsen und die zelluläre Architektur und bestimmte funktionelle Aspekte eines Organs nachahmen. Mit den derzeitigen Möglichkeiten erreichen menschliche Organoide einen Durchmesser von fünf bis zehn Millimetern, was etwa der Größe einer Erbse entspricht. Trotzdem könnten menschliche Organoide vermutlich dazu beitragen, wichtige Erkenntnisse zu gewinnen, die mit zweidimensionalen Zellkulturen nicht zu erzielen wären. Solche Organoide gibt es für verschiedene menschliche Organe, also auch für das Gehirn, wobei Hirnorganoide, auch bezeichnet als zerebrale Organoidkulturen oder miniaturisierte Gehirnmodelle, wie das menschliche Gehirn, aus Nerven- und Gliazellen bestehen. Ein Hirnorganoid bildet jedoch nicht das gesamte menschliche Gehirn ab, sondern lediglich Strukturen, die für bestimmte Hirnregionen typisch sind.

    Hirnorganoide sind demnach komplexe dreidimensionale Zellmodelle, die im Labor hergestellt werden und gewisse Eigenschaften des menschlichen Gehirns nachahmen sollen, indem sie zu neuronalen Vorläuferzellen ausdifferenziert werden und dann zu einer Vielzahl von Gehirnzelltypen heranreifen. Diese Zellmodelle weisen strukturelle und funktionelle Ähnlichkeiten mit dem menschlichen Gehirn auf, obwohl sie bei weitem nicht so komplex sind. Hirnorganoide können aber verschiedene Areale des Gehirns repräsentieren und neuronale Netzwerke bilden, die grundlegende elektrische Aktivität aufweisen, wobei sie typischerweise verschiedene Arten von Neuronen, Astrozyten und anderen unterstützenden Zellen enthalten.

    Bei der Entwicklung und Funktion des menschlichen Gehirns laufen Prozesse ab, die bei vielen Tieren nicht vorkommen, sodass der herkömmliche Ansatz, Krankheiten und deren Heilung an Tiermodellen zu erforschen, daher an seine Grenzen stößt. Da es meist weder möglich noch ethisch vertretbar ist, am lebenden Gehirn eines Menschen zu forschen, bieten seit Neuestem Hirnorganoide vielversprechende Perspektiven für die Erforschung von Krankheiten des Gehirns außerhalb des menschlichen Körpers. Hirnorganoide werden daher in der Forschung eingesetzt, um die Entwicklung des Gehirns zu untersuchen, neurologische Erkrankungen zu erforschen und potenzielle Therapien zu testen. Sie ermöglichen es also den Wissenschaftlern, die komplexen Prozesse der Gehirnentwicklung und die zugrunde liegenden Mechanismen von Krankheiten wie Autismus, Schizophrenie und Alzheimer besser zu verstehen. Darüber hinaus können Hirnorganoide auch zur Prüfung der Wirksamkeit von Medikamenten verwendet werden, um personalisierte Medizinansätze zu entwickeln und ethische Bedenken bei der Verwendung von lebenden Tieren in der Forschung zu berücksichtigen.

    Zerebrale Organoide bieten darüber hinaus die Möglichkeit, die Evolution der frühen Gehirnentwicklung im Labor zu untersuchen. Um die Genexpressionsdynamik und die regulatorischen Besonderheiten menschlicher Organoide zu untersuchen, verfolgten Kanton et al. (2019) über vier Monate hinweg die Entwicklungsprozesse zerebraler Organoide aus menschlichen pluripotenten Stammzellen. Anschließend verglich man zerebrale Organoide von Schimpansen und Makaken mit denen der Menschen, wobei sich eine ausgeprägtere cortikale Neuronenreifung bei Schimpansen- und Makakenorganoiden im Vergleich zu menschlichen Organoiden des gleichen Entwicklungsstandes zeigte, was darauf hindeutet, dass die menschliche neuronale Entwicklung langsamer verläuft als bei anderen Primaten. Dieser Befund liefert eine mögliche Erklärung dafür, warum Menschen deutlich länger brauchen, um erwachsen zu werden, denn das Gehirn nimmt sich deutlich mehr Zeit, um zu reifen und dabei deutlich komplexere Strukturen auszubilden. Mehr Zeit bedeutet dabei auch mehr Platz für zusätzliche Informationen (Stangl, 2023).

    Literatur

    Kanton, Sabina, Boyle, Michael, He, Zhisong, Santel, Malgorzata, Weigert, Anne, Sanchís-Calleja, Fátima, Guijarro, Patricia, Sidow, Leila, Fleck, Jonas, Han, Dingding, Qian, Zhengzong, Heide, Michael, Huttner, Wieland, Khaitovich, Philipp, Pääbo, Svante, Treutlein, Barbara & Camp, J. (2019). Organoid single-cell genomic atlas uncovers human-specific features of brain development. Nature, 574, 418-422.

    Stangl, W. (2023, 20. Juni). Größe des Gehirns. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/Gehirn-Groesse.shtml


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