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Protobewusstsein

    Man weiß zwar wie, aber nicht warum das Gehirn im Schlaf aktiviert wird. Hobson (2009) vermutet, dass die Hirnaktivierung im Schlaf die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Schaltkreisen ermöglicht, die für höhere Hirnfunktionen, einschließlich des Bewusstseins, notwendig sind.

    Für Hobson ist das Protobewusstsein ein Urzustand des Gehirns, ähnlich wie das Bewusstsein von höher entwickelten Säugetieren, der für die Entwicklung des Wachbewusstseins eine wichtige Rolle spielt. Die beiden Bewusstseinszustande – das primäre- und sekundäre Bewusstsein – welche jeweils im Traum- und Wachzustanden auftreten, kooperieren und gewährleisten dadurch ein optimales Funktionieren ihrer jeweiligen Funktionen.

    Man vermutet übrigens, dass schon Föten irgendwann nach der 32. Woche zu träumen beginnen. Allerdings kann man daraus nicht ableiten, dass Föten im REM-Schlaf in der gleichen Weise träumen wie Menschen. Möglicherweise erzeugt die REM-Aktivität aber im Fötus ein Protobewusstsein inklusive eines Protoselbst, das sich durch einen vom Gehirn erzeugten Raum bewegt und dabei auch starke Emotionen erfährt. Das Protobewusstsein bereitet demnach das Gehirn schon vor der Geburt auf die wichtige Funktion der Integration verschiedene Bausteine des Wachbewusstseins vor. Im letzten Trimester der Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr nimmt dieser Zustand dann allmählich ab, während gleichzeitig der Wachzustand und der NREM-Schlaf zunehmen. Aus dieser Beobachtung schließt Hobson, dass der REM-Schlaf für die Entwicklung eine entscheidende Rolle spielen muss. Nach Hobson entsteht in der Entwicklung eines Menschen also zuerst der REM-Schlaf, erst später beginnen Menschen mit dem eigentlichen Träumen. Die Träume werden durch einen angeborenen virtuellen Realitätsgenerator erzeugt, der dabei eine Grundlage für die Integration des Bewusstseins liefert. Entwicklung ist für Hobson dabei ein zeitaufwändiger, lebenslanger und schrittweiser Prozess. Zur Untermauerung seiner Thesen stützt er sich auch auf empirische Daten, anhand derer gezeigt werden konnte, dass Menschen schon vor der Geburt einen erheblichen Anteil des Schlafs (zwischenzeitlich über Wochen während der Schwangerschaft) im REM-Stadium verbringen

    Hobson (2009) geht in seiner Theorie des Protobewusstseins davon aus, dass der REM-Schlaf einen Bewusstseinszustand erzeugt, eben das sogenannte Protobewusstsein. Dieser Zustand geht mit einem selbst konstruierten virtuellen Modell der Welt either, welches der realen Welt sehr ähnelt und die Grundlage bildet, das Wachbewusstsein bei seiner Entwicklung und der Aufrechterhaltung seiner Funktionen zu unterstiitzen. Hobsons ursprüngliche Aktivierungssynthese-Hypothese besagte, dass das Träumen durch chaotische Pons-Aktivität während des REM-Schlafs ausgelöst wird. Träumen ist nach seiner Ansicht die subjektive Wahrnehmung der Gehirnaktivierung im Schlaf, und die Schlafaktivierung des Gehirns führt zur Synthese bewusster Elemente wie Emotionen, Wahrnehmungen und Denken. Auf der Grundlage dieser Unterschiede im Gehirnzustand schlägt Hobson vor, dass REM-Schlaf und Wachsein qualitativ unterschiedliche mentale Prozesse mit unterschiedlichen neurochemischen Grundlagen und unterschiedlichen Abläufen sind. Hobson schlägt etwa vor, dass das verminderte selbstreflexive Bewusstsein und die Selbstüberwachung im Traum auf den REM-Schlaf des Gehirns zurückzuführen sind. Kognitive Prozesse wie Gedächtnis, selbstreflexives Bewusstsein, Einsicht und Urteilsvermögen sind im Traumbewusstsein aufgrund der Verschiebung des Gleichgewichts zwischen dem aminergen System (das im Wachzustand dominant, in der REM-Phase jedoch ineffektiv ist) und dem cholinergen System (das im Wachzustand unterdrückt, in der REM-Phase jedoch ungehindert ist) mangelhaft.

    Hobson geht in seiner Theorie des Protobewusstseins also davon aus, dass sich das Bewusstsein durch den Schlaf-Wach-Zyklus in seiner Intensität und Qualität verändert. Im Wachzustand ist der Fokus auf Aspekte des sekundären Bewusstseins gerichtet (Wahrnehmung, Emotionen, Abstraktes Denken und Metakognitionen). Während des Einschlafens werden diese Funktionen des Bewusstseins verringert, bis schließlich beim Träumen nur noch die Funktionen des primären Bewusstseins (Emotionen und Wahrnehmung) zur Verfügung stehen.

    Die Hirnaktivierung und der Schlaf treten schon früh in der Entwicklung von Säugetieren und Vögeln auf, wobei die Träume eine Erinnerung daran darstellen, dass auch Menschen einmal protobewusst waren bzw. es immer noch sind. In den Träumen sind Menschen immer sie selbst, denn sie fühlen, handeln und empfinden lebhaft in einer völlig fiktiven Welt, die das Gehirn erdacht hat. Dieser protobewusste Zustand des Träumens im REM-Schlaf ist ebenso sehr eine Vorbereitung auf das Wachbewusstsein wie eine Reaktion darauf. Menschen bereiten sich sowohl auf ihr Verhalten als auch auf die Auswirkungen ihres Verhaltens vor. Träume haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede zwischen den Menschen, denn als Spezies brauchen Menschen die REM-Schlaf-Träume, um gemeinsame Ziele zu erreichen, wie um etwa im Wachzustand bewusstseinsfähig zu sein. REM-Schlaf-Träume können nach Ansicht von Hobson als Mustergenerator für die virtuelle Realität betrachtet werden, mit dem das Gehirn seine Bereitschaft zur adaptiven Interaktion mit der Welt herstellt und erhält. So lernt der Mensch im Traum anhand der Reaktionen des Prototyps auf verschiedenste Situationen, Vorhersagen zu treffen und sein sekundäres Bewusstsein zu perfektionieren.

    Nach Hobson erzeugen Träume im REM-Schlaf einen Bewusstseinszustand, der ein grundlegender Baustein des Wachbewusstseins ist (Hobson, 2013, S. 162) und sowohl für höhere Hirnfunktionen als auch für allgemeine physiologische Funktionen wie die Wärmeregulation wichtig ist. Der REM-Schlaf hat dabei eine vielschichtige integrative Funktion, wobei das REM-Bewusstsein die Verbindung von Selbstgefühl, Beweglichkeit, Empfindung und Emotion gewährleistet, wonach dann auf dieser Grundlage das Wachbewusstsein aufgebaut wird. Die Theorie des Protobewusstseins vermutet daher auch, dass Träume vorwiegend eine adaptive Funktion haben, indem er ähnlich wie Freud vermutet, dass die Auswahl der Traumhandlung und des Trauminhalts zufällig ist und auf Konstruktionsfehlern und funktionalem Ungleichgewicht beruht.

    Im Wachzustand verstehen Menschen den Unterschied zwischen Wünschen und Bedürfnissen, können ihre Motorik koordinieren und nutzen aktiv das sekundäre Bewusstsein, also jenen komplexen Zustand, der abstraktes analytisches Denken beinhaltet, während das primäre Bewusstsein nur die Wahrnehmung äußerer Reize und die Empfindung von Emotionen umfasst. Beim Träumen ist das sekundäre Bewusstsein eher inaktiv, d. h., Träumende nehmen ihre Umwelt wahr und empfinden Emotionen, können diese aber oft nicht richtig einordnen und auch nicht logisch analysieren. Das primäre Bewusstsein ist aufgrund der Art seiner Entstehung eine Art erinnerte Gegenwart, sodass ein Lebewesen mit einem primärem Bewusstsein Dinge und Ereignisse über seine frühere, von Werten bestimmte Erfahrung durch sein Gedächtnis miteinander verbinden kann, wodurch ein Medium entsteht, das das gegenwärtige Handeln des Individuums zu früheren Handlungen bzw. Folgen dieses Handelns in Beziehung setzen kann.

    Literatur

    Hobson, J. Allan (2009). REM sleep and dreaming: towards a theory of protoconsciousness. Nature Reviews Neuroscience, 10, 803-813.
    Hobson, J. A. & Friston, K. J. (2012). Waking and dreaming consciousness: neurobiological and functional considerations. Prog. Neurobiol. 98, 82–98.
    Hobson, J. A. (2013). Ego ergo sum: toward a psychodynamic neurology. Contemp. Psychoanal. 49, 142–164.
    Stangl, W. (2014, 27. Oktober). Die Unterschiede zwischen dem Wachbewusstsein und dem Traumbewusstsein . Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4131/die-unterschiede-zwischen-dem-wachbewusstsein-und-dem-traumbewusstsein.


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