Oversharing bezeichnet ein kommunikatives Verhalten, bei dem es zur Offenlegung einer unangemessenen Menge an Details über das persönliche Leben kommt. Wann die Grenze von Offenheit zum Oversharing überschritten wird, ist individuell und subjektiv, denn manchmal bemerkt man es schon in dem Augenblick, dass man gerade doch ein wenig zu viel Privates geteilt hat, und manchmal merkt man es erst danach. Oft tritt das Phänomen des Oversharing unbewusst im Affekt auf und ist manchen Menschen danach einfach nur noch unangenehm. Studien zeigen übrigens, dass ältere Menschen eher zum Oversharing neigen als jüngere Erwachsene.
Dieses Verhalten ist einerseits auf narzisstische Tendenzen zurückzuführen, aber auch darauf, dass sich jemand unzulänglich fühlt und etwas beweisen haben möchte. Oft wird OversharerInnen erst später bewusst, dass sie zu viel von sich preisgegeben haben.
Ursache für Oversharing kann ein starkes Gefühl von Intimität sein, wie es etwa beim Besuch eines Friseurs auftreten kann, andererseits kann aber auch völlige Fremdheit dazu verleiten, zuviel von sich preiszugeben, denn in diesem Fall gibt es in der Regel keine Konsequenzen. Ein wesentlicher Grund ist bei vielen Menschen aber auch Einsamkeit, denn Oversharing stellt häufig auch einen Versuch dar, eine Bindung zu anderen Menschen herzustellen und die empfundene Einsamkeit zu kompensieren. Man erhofft sich dadurch eine gewisse Nähe, die man vielleicht aus dem Familien- oder Freundeskreis nicht erhält. Menschen, die selten ihr Herz ausschütten können und alles in sich hineinfressen, haben dann manchmal den Drang, sich auch irgendwann anderen Menschen mitzuteilen. Gibt es dafür nicht die passenden sozialen Kontakte, werden daher Personen des Alltags wie Verkäuferinnen in einem Laden, Kassiererinnen im Supermarkt oder Nachbarn zu diesen.
Nicht selten ist Oversharing auch eine Reaktion auf Menschen, die selber spontan viel von sich preisgeben, entweder aus Unbehagen oder Empathie. Man zieht in einer solchen Kommunikation insofern nach, wenn die gegenüberstehende Person etwas sehr Persönliches erzählt hat. Diesen Faktor kann man in einer Kommunikation insofern gezielt nutzen, indem man Informationen (echte oder fiktive) von sich preisgibt, um sein Gegenüber zu ermuntern, dies ebenfalls zu tun. Diese Methode wird häufig in Vernehmungssituationen eingesetzt, um die Befragten zu persönlichen Aussagen zu animieren.
Oversharing wird vor allem im Zusammenhang mit neuen Medien zum Problem, denn Facebook oder Twitter stellen intime Fragen, bevor man seinen Status veröffentlicht, was zu Überschreitung führen kann. Die sozialen Netzwerke sind nicht selten darauf konzipiert, dass NutzerInnen möglichst viel von sich preisgeben, denn diese werden zum Liken, Sharen oder Posten animiert und so zum Hochladen von noch mehr persönlichen Informationen verleitet. In diesen Medien entsteht oft ein gewisser sozialer Druck, sein Profil oder seine Bilder anderen Mitglieder zu präsentieren, die Familie und Freunde in Szene zu setzen oder das Bild einer neuen Anschaffung zu posten. Solche Veröffentlichungen können bei anderen NutzerInnen nicht nur Neid oder Anerkennung auslösen, sondern zusätzlichen Druck verursachen, noch mehr Informationen zur eigenen Person zu posten. Soziale Netzwerke begünstigen das Gefühl NutzerInnen, nicht zu einer Community dazuzugehören, wenn sie nur wenig posten, teilen oder liken.
Manche Menschen leben übrigens von Oversharing, etwa in Reality-TV-Shows, aber auch als YouTube-Vlogger und Influencer. Menschen, die zu viele Informationen über sich selbst und ihr Privatleben mit der Öffentlichkeit teilen, riskieren unter Umständen auch Opfer von Kriminellen, Stalkern oder Mobbern zu werden. Schon anhand weniger persönlicher Informationen lassen sich Rückschlüsse auf die Vermögensverhältnisse, auf den Wohnort, auf Besitz oder Beruf ziehen, sodass jemand, der seinen Urlaub öffentlich postet, Kriminelle dazu animieren kann, die Wohnung oder das Wohnhaus auszurauben. Für Jugendliche kann Oversharing bedeuten, Opfer von Mobbing in der Schule oder am Arbeitsplatz zu werden.
Siehe dazu das Stranger in the Train-Phänomen.
Literatur
Bertelt, H. (2021). Oversharing: Wenn Menschen zu viel preisgeben.
WWW: https://web.de/magazine/wissen/psychologie/oversharing-menschen-preisgeben-36285872 (21.11-09)
https://www.huffpost.com/entry/oversharing-why-do-we-do-it-and-how-do-we-stop_b_4378997 (13-04-12)