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Gähnen

    Das Gähnen ist ein bei Tieren und Menschen auftretendes reflexartiges Verhalten, und steht häufig im Zusammenhang mit Müdigkeit. Der Vorgang beginnt mit einem tiefen Atemzug, in dessen Verlauf der Mund weit geöffnet wird und endet mit Schließen des Mundes bei gleichzeitiger Ausatmung. Begleitet wird das Gähnen meist durch ein Zusammenkneifen der Augen, erhöhten Tränenfluss und häufig auch ein Strecken des Körpers. Menschen gähnen etwa fünf bis zehn Mal am Tag, wobei Menschen und Tiere spontan am häufigsten morgens nach dem Aufwachen und abends vor dem Schlafengehen gähnen. Wer in der Gegenwart anderer gähnt, erweckt oft unfreiwillig einen negativen Eindruck, so dass es verständlich ist, dass man versucht das Gähnen zu unterdrücken (s. u.).

    Warum gähnt man?

    Dabei ist weder mangelnder Sauerstoff noch schlechte Luft in der Lunge ein Grund für das Gähnen, sondern man geht heute davon aus, dass Gähnen dazu dient, die Temperatur des Gehirns zu regulieren, denn wird der Kopf zu warm, setzt der Körper Kühlmechanismen in Gang, um zur optimalen Temperatur zurückzukehren. Beim Gähnen atmet man kühlere Luft ein, die das Blut und dadurch auch das Gehirn abkühlen soll. Gähnen verändert demnach die Frequenz und die Temperatur des Blutstroms zum Gehirn. Morgendliches und abendliches Gähnen lässt sich dadurch so erklären, dass zu diesen beiden Zeitpunkten die Körpertemperatur am höchsten ist und Gähnen daher dabei hilft, den Übergang vom Wach- zum Schlafzustand bzw. umgekehrt reibungslos zu ermöglichen. Das würde auch erklären, warum Menschen im Sommer etwas mehr gähnen als in kühleren Jahreszeiten. Eine weitere Theorie ist übrigens, dass Gähnen den Druck auf die Ohren vermindern soll, denn neben dem bewusst ausgeführten Druckausgleich durch Zuhalten der Nase zur Unterdrückung ist Gähnen auch ein eher unbewusstes Mittel, um im Flugzeug den Druck, der auf den Ohren bei Start und Landung entsteht, zu verringern.

    Auch wenn der Akt des Gähnens bei allen Menschen sehr ähnlich aussieht, sind die Ursachen dafür oft vielfältig wie die Funktionen. Gähnen selber ist aber eine reflexartige Handlung, die im Gehirn auf mehreren Ebenen koordiniert wird. Das Gähnen, das meist rund fünf bis sechs Sekunden dauert und oft mehrmals hintereinander geschieht, wird durch Veränderungen der Gehirnchemie ausgelöst, und zeigt, dass ein sehr komplexes System dahintersteckt und dass Gähnen vermutlich viele verschiedene Funktionen hat. In einer Studie wurden zwei Gehirnrezeptoren entdeckt, die das Gähnen auslösen und beenden. Die Rezeptoren, die bei der Übermittlung von Informationen eine Rolle spielen, arbeiten mit Dopamin. Morgens ist das Dopamin-Level am höchsten, was erklären könnte, warum Menschen oft nach dem Aufwachen gähnen.

    Die Ansteckungsgefahr beim Gähnen hängt nach Untersuchungen auch von der Erregbarkeit eines Teils der Großhirnrinde ab, und zwar vom Motorcortex, der absichtliche Bewegungen steuert. Ansteckendes Gähnen ist somit ein Echophänomen, wobei Echophänomene auch bei bestimmten Krankheiten wie Epilepsie, Demenz, Autismus oder dem Tourette-Syndrom eine Rolle spielen, denn auch bei diesen Krankheiten wurde ein Zusammenhang mit der Erregbarkeit der Großhirnrinde hergestellt. Man konnte auch zeigen, dass schizophrene Menschen ebenfalls signifikant seltener vom Gähnen anderer angesteckt werden. Es gibt daher auch klinische, neurobiologische und psychologische Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen ansteckendem Gähnen und Empathie. Übrigens sind nach einer Untersuchung Kinder, bevor sie das Schulalter erreichen, weitgehend unempfänglich für ansteckendes Gähnen, denn erst bei Kindern mit vier bis fünf Jahren konnte ansteckendes Gähnen beobachtet werden.

    Übrigens wird der Gähndruck größer, sobald das Gähnen unterdrückt werden soll, denn wenn man Widerstand leistet, versucht einen Drang zu unterdrücken, dann wird dieser erst richtig spürbar.

    Übrigens gähnen bereits Föten ab dem sechsten Monat, d. h., sie bewegen Mund so, wie es Menschen beim Gähnen tun, doch gähnen sie umso seltener, je näher die Geburt rückt. Bei Babys ist das Gähnen noch nicht nicht gänzlich geklärt, auch wenn eine Studie der Universität Albany zeigte, dass Gähnen die Babys generell munterer macht und ihre Aufmerksamkeit steigert. Möglicherweise holt sich das Baby damit auch nur die Aufmerksamkeit der Menschen, denn sie können sich ja noch nicht besonders gut artikulieren und so müssen die Betreuungspersonen selbst entdecken, was sie brauchen, wobei das Gähnen von Babys einen sehr hohen Hinwendungsfaktor zeigt.

    Psychopathen und Psychopathinnen gähnen angeblich sehr wenig, denn ihnen fehlen die Spiegelneuronen, die das Einfühlungsvermögen der Menschen steuern.

    Gähnen bei Tieren

    Viele Tiere gähnen ebenfalls, wobei Hunde gähnen, um sich zu beruhigen, Katzen zur Begrüßung, Kaninchen nach dem Aufwachen und strecken sich dabei, wobei das Gähnen vermutlich eine Übersprungshandlung darstellt, denn ist das Tier unsicher, versucht es sich damit zu beruhigen, vor allem wenn es nicht weiß, ob es fliehen oder bleiben soll. Wann in der Evolution das Gähnen entstanden ist, lässt sich aber dennoch nicht eindeutig bestimmten. Das Gähnen von Schlangen ist vermutlich eine Fehlinterpretation, denn diese renken dadurch nur ihren Kauapparat wieder ein. Der Zusammenhang zwischen Empathie und Gähnen wurde übrigens bisher nur bei einer Handvoll Spezies untersucht, darunter Menschen, Haushunde, Wölfe und einige Primaten. Neueste Forschungen zeigen, dass gemeinsames Gähnen Vorteile für Säugetiere bringt, die in kooperativen Gemeinschaften leben, doch obwohl Gähnen unter Wirbeltieren ein leicht erkennbares Verhalten ist, weiß man immer noch nicht genug über dieses scheinbar simple Phänomen. Die meisten Forschungen zum spontanen Gähnen deuten ebenfalls auf die physiologische Funktion hin: Der Blutfluss zum Kopf wird erhöht, wodurch das Gehirn mit Sauerstoff versorgt und gekühlt wird, denn das macht ein Tier wacher, besonders wenn es sich schläfrig fühlt. Beim Menschen hat man herausgefunden, dass ansteckendes Gähnen eine Form der Empathie sein kann, denn Mitmenschen erleben beim Gähnen oft ein Gefühl, ob nun Stress, Angst, Langeweile oder Müdigkeit. In einer Studie hat man nun das ansteckende Gähnen bei Löwen in Südafrika untersucht, denn nachdem sie sich durch das Gähnen anderer anstecken ließen, neigten diese Löwen auch dazu, ihre Bewegungen mit dem Anstecker zu synchronisieren. Nach dem gemeinsamen Gähnen zeigten zwei Löwen ein auffallend synchrones Verhalten, was darauf hindeutet, dass ansteckendes Gähnen besonders bei sozialen Arten wie Löwen wichtig sein könnte, die zusammenarbeiten müssen, um zu jagen, Junge aufzuziehen und sich gegen Eindringlinge zu verteidigen. Die Wahrscheinlichkeit des Gähnens war mehr als hundertmal höher, wenn ein Löwe gerade ein Rudelmitglied gähnen sah, als wenn er dieses Verhalten nicht sah. Spontanes Gähnen war besonders häufig, wenn die Löwen entspannt waren und sich im Übergang zwischen Schlafen und Wachen befanden. Das unterstützt die Hypothese, dass bei Löwen, wie auch bei Menschen, das Gähnen die Durchblutung und die Abkühlung des Gehirns fördert und wahrscheinlich auch die Wachsamkeit. Eine der interessantesten Beobachtungen war, dass ein Löwe das gleiche Verhalten zeigte, nachdem er das Gähnen eines Artgenossen in der Nähe nachgeahmt hatte, denn wenn etwa zwei Löwen beieinander lagen und einer gähnte, gähnte auch der andere, und stand der erste Gähnende auf, tat das andere Tier es ebenfalls. Ansteckendes Gähnen könnte demnach Vorteile für das kollektive Bewusstsein und das Erkennen von Bedrohungen haben. Ansteckendes Gähnen könnte in einer kooperativen Tiergruppe aber auch noch andere unbekannte Funktionen erfüllen, denn so haben Dscheladas – eine seltene Form der Paviane – drei verschiedene Formen des Gähnens, die unterschiedliche Gemütslagen signalisieren, wie etwa Freundlichkeit oder Aggression.

    Massen et al. (2021) haben jüngst die Hypothese untersucht, ob größere Gehirne einen höheren Kühlbedarf haben und die Gehirntemperatur also zum Teil durch die Wärmeproduktion der neuronalen Aktivität bestimmt wird, d. h., dass also Tiere mit größeren Gehirnen und mehr Neuronen länger gähnen müssen, um einen vergleichbaren Kühleffekte zu erzielen. Dafür analysierte man über tausend Gähnvorgänge von etwa hundert Arten (Säugetiere und Vögel), die aus verschiedenen Videoportalen aber auch aus dem Tiergarten Schönbrunn, dem Zoo in Linz und dem Nationalpark Thayatal stammten. Dabei zeigten sich positive Zusammenhänge zwischen der Gähndauer und der Gehirnmasse, zwischen der Gähndauer und der Gesamtanzahl der Neuronen und zwischen der Gähndauer und der Anzahl der kortikalen/pallialen Neuronen sowohl bei Säugetieren als auch bei Vögeln. Diese Beziehungen waren dabei über alle Arten hinweg ähnlich, obwohl Säugetiere bei vergleichbarer Gehirn- und Körpermasse deutlich länger gähnen als Vögel. Das könnte daran liegen, dass die Körpertemperatur und somit auch die Bluttemperatur von Vögeln um etwa zwei Grad höher ist als bei Säugetieren, sodass bei Vögeln der Temperaturunterschied zur Umgebungsluft größer ist und somit der Wärmeaustausch schneller abläuft, d. h., für den gleichen Kühleffekt müssen sie nicht so lange gähnen wie Säugetiere. Hinzu kommt eine bei Vögeln besondere morphologische Struktur des Gehirns bzw. des Kopfes, die eine selektive Kühlung des Gehirns möglich macht. Übrigens gibt es eine Ausnahme: Nacktmulle, die eigentlich recht kleine Gehirne haben, gähnen aber ähnlich lange wie etwa ein Jaguar. Ein Grund dafür könnte sein, dass Nacktmulle als einziges Säugetier wechselwarm sind.

    Anmerkung: Da Gähnen von Menschen oft mit Langeweile oder Desinteresse verbunden wird, gilt es heutzutage als unhöflich, etwa bei einem Konzert, in einem Treffen oder bei einer Feier zu gähnen, sodass man das Gähnen zu verbergen sucht, indem man die Hand vor den Mund hält. Es gibt viele verschiedene Methoden, um zu verhindern, dass man gähnt. So verhindert Kühlung nachweislich den Drang zu gähnen, indem man etwa eine kalte Flasche an den Kopf presst, oder etwas kaltes Wasser auf die Stirn tupft. Auch durch ein Berühren der der Zungenspitze sollte sich der Gähnzwang reduzieren. Auch kann das Kauen von Kaugummi das Gähnen ein wenig einbremsen.

    Literatur

    Massen, Jorg J. M., Hartlieb, Margarita, Martin, Jordan S., Leitgeb, Elisabeth B., Hockl, Jasmin, Kocourek, Martin, Olkowicz, Seweryn, Zhang, Yicheng, Osadnik, Christin, Verkleij, Jorrit W., Bugnyar, Thomas, NÄmec, Pavel & Gallup, Andrew C. (2021). Brain size and neuron numbers drive differences in yawn duration across mammals and birds. Communications Biology, 4, doi:10.1038/s42003-021-02019-y.
    Stangl, W. (2014). Nonverbale Signale und das Erkennen der Persönlichkeit. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/KOMMUNIKATION/KommNonverbale4.shtml (2014-07-21).
    https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2021/04/ansteckendes-gaehnen-bringt-soziale-vorteile (21-04-12)
    https://notiert.stangl-taller.at/grundlagenforschung/das-grosse-gaehnen/ (21-09-09)


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    2 Gedanken zu „Gähnen“

    1. Gähnen wegatmen

      Man kann ein sich ankündigendes Gähnen wegatmen, indem man tief durch die Nase einatmet. Dabei kommt viel kühle Luft hinten im Rachen an, wie bei einem richtig schönen herzhaften Gähnen.

    2. Evolutionsbiologe Andrew Gallup

      In einem Magazin heißt es dazu: Wer oft gähnt, lebt länger, denn aus einer Untersuchung des Evolutionsbiologen Andrew Gallup lasse sich auch ableiten, dass es in einer sozialen Gruppe von Tieren oder frühen Menschen für das Überleben essenziell war, dass immer jemand in der Gruppe aufmerksam war. Es ergibt also evolutionär gesehen Sinn, dass, wenn ein Individuum ein erkennbares Zeichen dafür gibt, dass seine Aufmerksamkeit gesteigert werden muss, andere in der Gruppe es ihm nachtun.

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