Zum Inhalt springen

Langeweile

    Wie herrlich ist es, nichts zu tun und dann vom Nichtstun auszuruhn.
    Heinrich Zille

    Faulheit ist der Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit.
    Immanuel Kant

    Die Langeweile ist die Wurzel allen Übels.
    Søren Kierkegaard

    Langeweile ist ausgemacht die schmerzlichste Art von Anstrengung und gewiss auch die schädlichste.
    Annette von Droste-Hülshoff

    Ist es am Ende so mit uns, dass eine tiefe Langeweile in den Abgründen des Daseins wie ein schweigender Nebel hin- und herzieht?
    Martin Heidegger

    Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen.
    Blaise Pascal

    Und dann muss man ja auch noch Zeit haben, einfach dazusitzen und vor sich hinzuschauen.
    Astrid Lindgren

    Für den Denker und für alle empfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme »Windstille« der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muß sie ertragen, muß ihre Wirkung bei sich abwarten – das gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen können! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist.
    Friedrich Nietzsche in „Die fröhliche Wissenschaft“.

    Wenn der Schlaf der Höhepunkt der körperlichen Entspannung ist, so die Langeweile der geistigen. Die Langeweile ist der Traumvogel, der das Ei der Erfahrung ausbrütet. Das Rascheln im Blätterwalde vertreibt ihn. Seine Nester – die Tätigkeiten, die sich innig der Langeweile verbinden – sind in den Städten schon ausgestorben, verfallen auch auf dem Lande. Damit verliert sich die Gabe des Lauschens, und es verschwindet die Gemeinschaft der Lauschenden. Langeweile haben wir, wenn wir nicht wissen, worauf wir warten. Daß wir es wissen oder zu wissen glauben, das ist fast immer nichts als der Ausdruck unserer Seichtheit oder Zerfahrenheit. Die Langeweile ist die Schwelle zu großen Taten. Langeweile ist ein warmes graues Tuch, das innen mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen ist. In dieses Tuch wickeln wir uns wenn wir träumen. Dann sind wir in den Arabesken seines Futters zuhause.
    Walter Benjamin

    Langeweile (Fadesse, Ennui) ist psychologisch betrachtet ein Zustand, der entsteht, wenn Menschen ihre Aufmerksamkeit nicht auf etwas richten können, sodass der aktuelle Zustand als unbefriedigend erlebt wird und der Wunsch nach einer befriedigender Tätigkeit entsteht. Übrigens hat schon 1885 Francis Galton einen Bericht mit dem Titel The Measure of Fidget veröffentlicht, und darin seine Beobachtungen zum Verhalten eines unruhigen Publikums bei einer wissenschaftlichen Konferenz dargestellt. Übrigens empfinden auch Tiere Langeweile, denn Nerze, die in einem leeren Käfig gehalten werden, tendieren dazu, länger untätig wach zu sein und mehr zu fressen als Artgenossen mit Spielmöglichkeiten. Außerdem interessieren sie sich stärker für sonst uninteressante Objekte wie eine Plastikflasche oder eine Zahnbürste, was dafür spricht, dass es den Tieren tatsächlich langweilig ist und sie nicht unter Apathie oder Anhedonie leiden.

    Im Gegensatz zur Muße, die Menschen willkommen ist, wird Langeweile als erzwungen und unlustvoll erlebt. Langeweile lässt sich als biochemischer Prozess im Gehirn erklären, denn wenn jemand monotone Tätigkeiten verrichten muss, wird das Belohnungszentrum im Gehirn nur wenig aktiviert. Ist dies über einen längeren Zeitraum der Fall, entsteht Dopaminmangel, wodurch eine höhere Anfälligkeit für psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angstzustände, Aggressionen oder Suchterkrankungen gegeben ist. Es gibt bekanntlich auch Menschen, die bei einem langweiligen Vortrag oder einem langweiligen Theaterstück einfach einschlafen. Oishi et al. (2017) haben in einem Experiment mit Mäusen festgestellt, dass ein Bereich des Gehirns, der mit Motivation und Freude verbunden ist, auch eine Art von Schlaf herbeiführen kann. Wenn dieses Areal nicht stimuliert wird, sorgt es dafür, dass die Tiere einschlafen. Ob diese Erkenntnisse allerdings auf den Menschen übertragen werden können, ist allerdings zunächst fraglich. Nach neueren Untersuchungen gibt es keinen Unterschied zwischen den Strukturen in den Gehirnen von Menschen, die negativ auf Langeweile reagieren, und denen, die keine negativen Reaktionen zeigen. Daher ist die naheliegende Erklärung für unterschiedliche Auswirkungen von Langeweile auf Menschen, dass es manchen einfach schwerer fällt, mit Langeweile umzugehen als anderen (Perone et al., 2019).

    Langeweile setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen: Man empfindet bei Langeweile in der Regel ein unangenehmes Gefühl (affektive Komponente), man möchte die langweilige Situation verlassen (motivationale Komponente), man hat das Gefühl, dass die Zeit sehr langsam vergeht (kognitive Komponente), die körperliche Aktivität ist gering (physiologische Komponente) und auch der Körperausdruck wirkt entsprechend gelangweilt (expressive Komponente).


    Nach Ansicht eines Kolumnisten der Süddeutschen Zeitung fördert Langeweile die „Geburt blöder Ideen“, etwa in der Schule. Er schreibt: In manchen Fächern vergeht die Zeit quälend langsam, der Unterricht gleicht einer endlosen Windstille. Wenn dann auch noch die diensthabende Lehrkraft vor der Tafel mit eher gering ausgeprägter Autorität gesegnet ist, weckt das den Dämon in Schüler oder Schülerin, das dringende Bedürfnis, die bleierne Langeweile wenigstens für einen Moment zu unterbrechen, irgendwie. Die einfachste Lösung: dem Sitznachbarn auf die Nerven gehen, ihm mit dem Finger in die Seite zu piksen oder seine Schulsachen durcheinanderzubringen, damit er hoffentlich tüchtig zurückfoppt. Auf die Frage der Lehrer, was man sich dabei gedacht habe, lautet die ehrliche Antwort: „Nichts.“


    Langeweile lässt aber auch die Widerstandskraft gegen widrige Umstände sinken, also die Resilienz. Studien zeigen auch, dass neben Depression und Angstgefühlen Langeweile einer der häufigsten Auslöser für Essattacken ist (Ganley, 1989). Menschen, die zu Langeweile neigen, fahren übrigens in Fahrsimulatoren mit höherer Geschwindigkeit als andere Teilnehmer, außerdem haben sie dabei eine längere Reaktionszeit bei unerwarteten Gefahren und überquen häufiger als andere die Mittellinie der Fahrstrecke. Vor allem Jugendliche neigen mit etwa fünfzig Prozent höherer Wahrscheinlichkeit zum Rauchen, Trinken oder illegalen Drogenkonsum als andere Jugendliche. Auch vermutet man, dass bei Jugendlichen auch Schwankungen bei Schulleistungen auch auf Langeweile zurückzuführen sind.

    Ein besonderes Problem bei der Untersuchung von Langeweile stellt für die Psychologie die Schwierigkeit dar, in experimentellen Situationen Langeweile zu erzeugen. Meist wird Langeweile mithilfe von Fragebögen retrospektiv erfasst, etwa mit dem von Farmer & Sundberg (1986) entwickelten Boredom Proneness Scale, die das erste systematische Instrumente zum Messen von Langeweile darstellte, wobei die darin versammtelten Statements aus Interviews und Umfragen über Gefühle von Menschen mit Langeweile stammten. Der errechnete Gesamtscore gilt dabei als Maß dafür, inwieweit der Proband bzw. die Probandin zur Langeweile neigt. Da mit diesem wie anderen Fragebögen lediglich Selbstaussagen und damit  subjektive Ansichten erfasst werden, was abrt eher einem Persönlichkeitsmerkmal entspricht und wenig über die Intensität des Gefühls der Langeweile in einer konkreten Situation, also die situationsbedingte Langeweile (state boredom) aussagt.


    Übrigens wird in London sogar eine Boring Conference veranstaltet, die von James Ward vor acht Jahren eingeführt wurde. Die Menschen sitzen dann in London in der Conway Hall, einem traditionellen Vortragshaus, um bei der Boring Conference Vorträge über explizit uninteressante Themen zu hören. Vor diesem Publikum laufen dann auf einer Leinwand in Endlosschleife Fotos von Euro-Paletten, leeren Snackautomaten und Parkhäusern. James Ward selbst referiert stundenlang über Büroklammern oder über den ABBA-Song „The day before you came“. Es gibt von Ward übrigens auch in der BBC einen regelmäßigen Podcast: „The Boring Talks“.
    Link zum Download: https://www.bbc.co.uk/programmes/p05t3gr2/episodes/downloads


    Wirtschaftspsychologen sind der Ansicht, dass mindestens jeder fünfte Arbeitnehmer unterfordert ist, während der Arbeitszeit Privates erledigt, im Internet surft, Kollegen von der Arbeit abhält oder die eigenen Aufgaben nutzlos aufbläst. Die Symptome von Boreout beginnen dabei schleichend: Niedergeschlagenheit, Depression, wenig Energie, Schlaflosigkeit. Betroffene mögen sich manchmal über den Erholungswert ihrer Arbeitszeit zwar gelegentlich freuen und können sich selbst die Leere nicht eingestehen. Hinzu kommt, dass man Boreout kaum je in seinem persönlichen Umfeld zugibt, während sich mit Burnout fast schon prahlen lässt.

    Götz & Frenzel (2006) unterscheiden vier Formen der Langeweile:

    • Die indifferente Langeweile zeigt geringe Aktivation, schwach negatives Erleben, Desinteresse, Amotivation und innere Leere. Sie hat Ähnlichkeit mit Entspannungszuständen.
    • Die kallibrierende Langeweile öffnet für Neues, z.B. durch ein Abschweifen der Gedanken zu anderen Themen.
    • Die zielsuchende Langeweile geht mit Rastlosigkeit und einem Suchen nach Handlungsalternativen, Beschäftigungsdrang sowie höherer Aktivation und einer stärker negativ ausgeprägten Valenz einher.
    • Die reaktante Langeweile ist ebenfalls durch eine hohe Aktivation gekennzeichnet und durch teils stark negatives Erleben bis hin zu Ärger, Aggression und Hilflosigkeit.

    Langeweile definiert sich also nicht allein durch das Fehlen äußerer Reize, sondern vielmehr dann, wenn Menschen sich auf Reize der Umgebung nicht mehr konzentrieren können oder wollen. So kann schon das Fehlen von Hintergrundgeräuschen langweilen und einen Stresszustand erzeugen. Untersuchungen zeigen auch, dass Langeweile anfällig für Aggression, Depressionen, Angst, Alkoholmissbrauch und Süchte machen kann. Vermeiden kann man Langeweile durch eine gezielte Steuerung der Aufmerksamkeit, etwa indem man unspektakuläre Ereignisse konzentriert betrachtet, wie Atmen, Essen oder Menschen in seiner Umgebung. Während man langweilige Aufgaben erledigen muss, sollte man Häuser, Blumen oder Menschen auf ein Blatt Papier kritzeln. Man kann auch seine Gedanken bewusst abschweifen lassen und ihnen nachhängen. sychologen fanden heraus, dass solche Kritzeleien Achtsamkeit und Konzentration stärken und den Zeichnende helfenn, sich gedanklich von seiner langweilenden Umwelt abzukoppeln, sodass die Gedanken und Gefühle wieder in Fluss geraten und Kreativität fördern. Auf einer solchen Gedankenreise kann man sich u. U. von seinen kreativen Leerlaufgedanken überraschen lassen.


    Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, Kapitel 42, Arbeit und Langeweile: „Für den Denker und für alle empfindsamen Geister ist Langeweile jene unangenehme »Windstille« der Seele, welche der glücklichen Fahrt und den lustigen Winden vorangeht; er muß sie ertragen, muß ihre Wirkung bei sich abwartendas gerade ist es, was die geringeren Naturen durchaus nicht von sich erlangen können! Langeweile auf jede Weise von sich scheuchen ist gemein: wie arbeiten ohne Lust gemein ist.“

    Søren Kierkegaard, Entweder/Oder, S. 332: „Die Götter langweilten sich, also schufen sie die Menschen. Adam langweilte sich, weil er allein war, darum wurde Eva geschaffen. Von diesem Augenblick an kam die Langeweile in die Welt, wuchs an Größe in genauer Entsprechung zum Wachstum der Menge des Volks.


    Gedankliche Leere tritt nach Niels Birbaumer ein, wenn Menschen nicht mehr zielgerichtet in Wörtern oder Sätzen denken, sondern wenn ihre Gefühle nachlassen, ihre Wünsche sich abschwächen oder sie sich in einem Diskurs nicht mehr verteidigen wollen, d. h., dann ist ihr Verteidigungssystem, Effekt- oder katastrophische Gehirn weniger aktiv, es überwiegen Alpha- und Thetawellen in den Gehirnströmen, die sonst nur bei Entspannung, Schlaf oder Meditation auftauchen. Dieser Zustand findet sich etwa bei Locked-in-Patienten, die vollständig gelähmt sind, nicht mehr sprechen, aber noch immer wahrnehmen können. Je weiter diese in ihrem eingeschlossenen Zustand fortgeschritten sind, sich diese also der Hoffnungslosigkeit ergeben haben, desto mehr Leere entsteht.

    Es gibt für gesunde Menschen verschiedene Szenarien, in denen gedankliche Leere auftreten kann, etwa wenn man im Gleichschritt läuft, wandert, im Stadion brüllt, sich auf einer Technoparty bewegt. Solche gleichförmigen Tätigkeiten bewirken, dass die Hirnströme gleich getaktet werden und weniger gedacht wird.  Auch Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Meditation, bei der man nur sein Atmen bewusst wahrnimmt oder innerlich ein Wort wiederholt, helfen Menschen dabei abzuschalten. Beim Rhythmus bestimmter Musik werden viele Gehirnareale synchronisiert, was ebenfalls das problembezogene Denken stoppen kann. Die radikalste Methode ist Floaten, bei dem Menschen in ein abgedunkeltes Becken mit konzentriertem Salzwasser steigen und sich einfach treiben lassen. Durch die künstlich erzeugte Schwerelosigkeit fühlen diese allmählich ihren Körper nicht mehr so stark (Wilhelm, 2016).


    Leon Windscheid, der 2015 in der Millionenshow eine Million gewann – in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau: „Langeweile ist unglaublich schwierig auszuhalten. Dabei ist das Gefühl sehr wertvoll. Langeweile signalisiert mir, dass in meinem Kopf etwas nicht stimmt. Das Gute an ihr ist, dass man sie nicht suchen muss. Man muss sie nur zulassen und dann ertragen. Langeweile kommt von selbst und geht von selbst. Ich habe angefangen, bewusst mehr Langweile in meinem Alltag zuzulassen und nicht am Handy zu spielen, Musik zu hören oder Netflix zu schauen. Auf Zugfahrten gucke ich dann aus dem Fenster, bis mir richtig langweilig ist. Manchmal schlafe ich dabei ein. (…) Untersuchungen zeigen, dass man einen Kreativschub erhält, wenn man sich langweilt. Dieses Phänomen nennt sich Gedankenwandern. Man lässt dabei seine Gedanken von der Leine. Langeweile kann auch ein Kompass sein. Wenn ich etwas mache, was mich nicht erfüllt oder fordert, dann signalisiert mir mein Hirn diesen Zustand über Langeweile. Es wirkt wie ein Korrektiv. Ich merke, dass ich die Richtung ändern muss. Wenn ich Langeweile immer im Keim ersticke, indem ich mich ablenke, dann fehlt mir dieses Korrektiv und ich mache keinen Schritt vorwärts.“


    Langeweile ist daher für viele Menschen aber auch eine Triebfeder, denn Langeweile markiert für diese oft einen Startpunkt, gibt einen Motivationsschub, um aufzubrechen und etwas an der aktuellen Situation zu ändern. Zwar ist Langeweile zunächst nur ein höchst alltägliches Gefühl und ist eines unter anderen negativen Empfindungen wie Frustration, Erschöpfung oder Gleichgültigkeit, aber gelangweilte Menschen fühlen sich häufig zugleich einsam, wütend, traurig oder besorgt. Wie alle Empfindungen dient auch Langeweile einem selbstregulatorischen Zweck, denn wie andere Emotionen teilt sie mit, dass es Zeit ist, ein Bedürfnis zu befriedigen, in diesem Fall den Hunger des Geistes zu stillen. Langeweile kann daher ein Alarmsignal sein, dass es an der Zeit ist, die gegenwärtige Situation zu ändern. Erich Fromm bezeichnete das Gefühl der Langeweile einmal als Folter und führte aus, dass er sich die Hölle genau als jenen Ort vorstelle, an dem geistige Stille und Ödnis, somit Langeweile herrschten. Nach Søren Kierkegaard ist Langeweile sogar die Wurzel allen Übels im menschlichen Leben. Man hat auch empirisch entdeckt, dass dauerhaft gelangweilte Menschen mit größerer Wahrscheinlichkeit dem Glücksspiel verfallen, Drogen konsumieren, ungeschützte Sexualität betreiben und für Depressionen anfälliger sind.

    Dabei sollte man aber unterscheiden: Chronische Langeweile wirkt meist negativ auf die Situation eines Menschen, aber die gelegentlich auftretende akute ­Version dieses Gefühl wirkt hingegen eher positiv. Ein gewisses Ausmaß an Langeweile kann besonders für die Entwicklung von Kindern förderlich sein, d. h., Eltern oder andere betreuende Erwachsene sollten dem Kind nicht permanent vorgeben, was es zu tun hat, denn Langeweile fördert unter Umständen die Kreativität des Kindes. Ein Kind wird dadurch selbstständiger, entwickelt sich weiter, wobei aber wichtig ist, dass man das Kind ermuntert und ermutigt, in dem Augenblick der Langeweile eine Beschäftigung zu finden, die dem Kind Spaß macht, aber immer ohne sie direkt vorzugeben. Gelangweilte Kinder lernen dadurch, ihre Antriebskraft zu verbessern und ihre Energie auf neue Ziele und Beschäftigungen zu richten. Auch Erwachsene treibt der geistige Hunger zu kreativen Leistungen. Langeweile wohnt daher eine Kraft für Veränderung inne, denn Langeweile bekämpfen Menschen, indem sie nach für sie bedeutsamen und sinnstiftenden Erfahrungen suchen.


    Bernhard Heinzlmaier vom Österreichischen Institut für Jugendkulturforschung hat im Auftrag der Medienregulierungsbehörde erstmals eine umfangreiche, representative Studie zur Nutzung von Medien und Nachrichten bei der Generation der Digital Natives durchgeführt. Es zeigte sich, dass diese Generation der Digital Natives panische Angst vor der Langeweile hat, sich gern im Netz inszeniert und ist ihr eigener Programmchef sein möchte. Er sagt: „Der schlimmste Feind einer Erlebnisgesellschaft ist die Langeweile. Das ist Zeitverschwendung, da geht qualitativ hochwertige Lebenszeit verloren. Die Ruhe und die Gelassenheit, die Ereignislosigkeit ist das Fürchterlichste überhaupt und muss sofort ausgelöscht werden. Wenn sich nichts ereignet, sind die Jugendlichen melancholisch. Langeweile ist rufschädigend.“ Daher werden oft gleich mehrere Medien gemeinsam konsumiert, oberflächlich, schnell, nirgendwo in die Tiefe gehend. „Wenn junge Menschen mit einem Medium nicht genügend ausgelastet sind – da ist dann der Fernseher eingeschaltet und die Spielkonsole, im Hintergrund läuft Musik, und das Smartphone liegt griffbereit.“


    *** Hier KLICKEN: Das BUCH dazu! *** Danckert & Eastwood haben im Buch „Out of My Skull. The Psychology of Boredom“ ein Grundlagenwerk über das Phänomen langeweile geschrieben, wobei sie Langeweile als das unangenehme Gefühl definieren, etwas zu wollen, aber sich nicht auf befriedigenden Aktivitäten einlassen zu können. Langeweile kann demnach der Wunsch nach Wünschen sein, denn ein gelangweilter Mensch will verzweifelt etwas tun, aber schafft es nicht, zu wollen, was in diesem Moment greifbar ist, andererseits kann es sich auch um einen unbeschäftigter Verstand handeln, d. h., dann sind die mentalen Kapazitäten des Betroffenen unterfordert. Im Kern ist Langeweile aber eine Krise des Handelns, weshalb Langweile deshalb so unangenehm ist, weil sie die Menschen schützen will, in diesem Zustand des Nicht-Handels zu verharren. So wie es auch gut ist, dass man Schmerzen spürt, wenn dem Körper Schaden zugefügt wird, ist es ebenfalls nicht gut, wenn man nicht aktiv ist, und von der Langeweile davor gewarnt wird. Langeweile ist daher immer auch ein Signal und es ist entscheidend, wie Menschen auf dieses Signal reagieren. So verfallen manche Menschen, die eine Veranlagung für Depressionen haben, leicht ins Grübeln, wenn ihnen langweilig wird, sie sind dann in sich gekehrt, und dieses Grübeln kann vermehrt zu Depressionen führen. Ein anderes typisches Phänomen von Langeweile ist es, zu viel zu essen, aber es gibt auch einen Zusammenhang mit Drogen- und Alkoholmissbrauch. Man denke nur an den Griff zur Zigarette oder einem Glas Bier, weil man nichts Besseres zu tun hat und die Zeit füllen will. Langeweile hat auch eine dunkle Seite, denn nicht wenige Kriminelle sagen, sie hätten Verbrechen begangen, weil ihnen langweilig war. Oft rechtfertigen Jugendliche zerstörerische Aktivitäten damit, dass ihnen oft in der Gruppe einfach langweilig war. Vermutlich sind Menschen, die kriminelle Neigungen haben, auch etwas anfälliger für Langeweile, doch Langeweile ist natürlich nicht der einzige Grund für ihr abweichendes Verhalten. Manchmal sind es Menschen, die nach Aufregung und Nervenkitzel suchen (sensation seeking), wenn ihnen langweilig ist, andere Menschen wiederum haben das Gefühl, sich wehren zu müssen, wenn ihre Selbstständigkeit eingeschränkt wird, denn Langeweile ist genau ein solcher Zustand, in dem man nicht in der Lage ist, seine Selbstständigkeit zu artikulieren. Oft verhalten sich Menschen, wenn ihnen langweilig ist, gegenüber Menschen aus einer anderen Kultur feindseliger, denn wenn Menschen langweilig ist und sie das Gefühl haben, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren, dann suchen sie nach ihrer Bedeutung in der Feindseligkeit gegenüber anderen, um sich überlegen zu fühlen. „Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass Langeweile nicht das Ergebnis eingeschränkter Möglichkeiten ist. Langeweile kann aufgrund verschiedener Persönlichkeitszüge oder Umweltfaktoren auftreten. Wenn Ihnen langweilig ist, dann verfallen Sie nicht in Panik, es ist eine normale menschliche Emotion und erfüllt einen Zweck. Emotionen sollen uns helfen und liefern Orientierung. Langeweile bedeutet, dass wir unsere Zeit verschwenden und stagnieren. Wir nutzen unsere Möglichkeiten nicht und gestalten unser Leben nicht. Dieses Problem können wir aber beheben. Es ist wichtig, dieses Signal als einen Aufruf zum Handeln zu verstehen.“
    Zusammengefasst nach einem Interview in der SZ.


    Was zeichnet einen langweiligen Menschen aus?

    Manche Menschen werden als langweilig empfunden, doch trotz der potenziellen Relevanz, die diese Wahrnehmungen im Alltag haben könnten, sind die zugrundeliegenden psychologischen Prozesse und Konsequenzen der Wahrnehmung eines Menschen als „langweilig“ weitgehend unerforscht. Van Tilburg et al. (2022) untersuchten in mehreren Studien die stereotypen Merkmale von langweiligen Menschen, indem sie sie von Personen definieren und anschließend auch bewerten ließen. Man konzentrierte sich dabei auf Berufe wie Datenanalyse, Steuerwesen und Buchhaltung, Hobbys wie Schlafen, Religion und Fernsehen und persönliche Merkmale wie das Fehlen von Humor und Meinungen oder Negativität, die man stereotyp langweiligen Personen zuschreibt. Mehrere Experimente zeigten dann, dass diejenigen, denen langweilige Eigenschaften zugeschrieben wurden, als unzureichend in Bezug auf zwischenmenschliche Wärme und Kompetenz angesehen wurden, dass sie sozial gemieden wurden und dass ihre Gesellschaft einen Ausgleich erforderte. Die Studien zeigten aber auch, wie schwer verrückbar die Vorurteile gegenüber vermeintlich langweiligen Berufen oder Eigenschaften sind und welche Auswirkungen dies auf manche Menschen haben kann. Wahrnehmungen könnten sich zwar ändern, aber viele Menschen nehmen sich möglicherweise nicht genug Zeit und vergeben so die Chance, die negativen Stereotypen scheinbar uninteressanter Beschäftigungen und Lebensstile aufzubrechen. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Stereotypisierung als Langweiler mit erheblichen negativen zwischenmenschlichen Konsequenzen verbunden sein könnte.

    Siehe auch Boreout.


    Nicht zuletzt hat die Bezeichnung Langeweile polemisches Potenzial, denn es wurde historisch betrachtet immer anderen Gruppierungen vorgeworfen, etwa vom Adel dem Pöbel oder vom Arbeiter den Aristokraten. Dann diente Langeweile als Kampfbegriff.


    Literatur

    Farmer, R. & Sundberg, N.D. (1986). Boredom proneness–the development and correlates of a new scale. J. Pers. Assess., 50, 4–17
    Ganley, R. M. (1989). Emotion and eating in obesity: A review of the literature. Int. J. Eat. Disord., 8, 343–361.
    Gielas, A. (2013). Hat Langeweile einen Sinn? Psychologie Heute, 40, 40-44.
    Götz, T. & Frenzel, A. (2006). Phänomenologie schulischer Langeweile. Zeitschrift für entwicklungspsychologische und pädagogische Psychologie, 38, 149-154.
    Nietzsche, Friedrich (1954).  Werke in drei Bänden. Band 2 (S. 66-67). München.
    Oishi, Yo, Xu, Qi, Wang, Lu, Zhang, Bin-Jia, Takahashi, Koji, Takata, Yohko, Luo, Yan-Jia, Cherasse, Yoan, Schiffmann, Serge N., de Kerchove d’Exaerde, Alban, Urade, Yoshihiro, Qu, Wei-Min, Huang, Zhi-Li & Lazarus, Michael (2017). Slow-wave sleep is controlled by a subset of nucleus accumbens core neurons in mice. Nature Communications, doe: 10.1038/s41467-017-00781-4.
    Perone, S., Weybright, E. H., Anderson, A. J. (2019). Over and over again: Changes in frontal EEG asymmetry across a boring task. Psychophysiology, doi: 10.1111/psyp.13427.
    Stangl, W. (2022, 22. März). Welche Merkmale zeichnen einen langweiligen Menschen aus? Stangl notiert …
    https://notiert.stangl-taller.at/zeitgeistig/welche-merkmale-zeichnen-einen-langweiligen-menschen-aus/.
    Wilhelm, K. (2016). Die Leere gibt uns einen freien Blick auf die Welt. Niels Birbaumer im Interview. Psychologie heute, 43, 64-68.
    van Tilburg, Wijnand A. P., Igou, Eric R. & Panjwani, Mehr (2022). Boring People: Stereotype Characteristics, Interpersonal Attributions, and Social Reactions. Personality and Social Psychology Bulletin, doi:10.1177/01461672221079104. (Stangl, 2022).
    http://www.fr.de/panorama/leute/millionaer-leon-windscheid-langeweile-ist-sehr-wertvoll-a-1622418 (18-11-18)
    OÖN vom 7. Dezember 2015
    https://www.sueddeutsche.de/kultur/langeweile-das-fehlen-eines-wunschs-1.4918756 (20-05-25)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    3 Gedanken zu „Langeweile“

    1. Kann man sich langweilen, obwohl man ständig etwas zu tun hat?

      Langeweile ist nicht so sehr eine Frage mangelnder Quantität, sondern mangelnder Qualität, d.h. man kann viel zu tun haben, es aber als monoton oder sinnlos empfinden, sich unter- oder überfordert fühlen. So können sich Mütter und Väter, die sich ständig um ihr Kleinkind kümmern, trotzdem langweilen, weil sie keine Zeit für sich und ihre kognitiven Fähigkeiten haben. Auch Menschen mit vermeintlich spannenden Berufen wie Chirurg oder Anwalt können sich langweilen, wenn sie eigentlich etwas anderes werden wollten.

    2. Pädagogik

      In der pädagogischen Psychologie wird Langeweile als eine Emotion definiert, die sich wie jede Emotion aus verschiedenen Komponenten zusammensetzt. Langeweile ist ein negatives Gefühl, das sich in dem Wunsch äußert, die als langweilig empfundene Situation zu verlassen. Auch das Zeitempfinden ist verändert. Es gibt drei Hauptursachen für Langeweile, die auch in Prüfungen auftreten können. Das ist zum einen die Unterforderung, zum anderen die Überforderung, denn wenn man überfordert ist, schaltet man ab und langweilt sich, weil man keine Chance sieht, die Aufgaben gut bearbeiten zu können, aber man langweilt sich auch, wenn man keinen Sinn in der Prüfung sieht. Vor allem bei Überforderung ist Langeweile schädlich, denn eigentlich bräuchte man alle kognitiven Ressourcen, um die Aufgaben zu bearbeiten, aber Langeweile zieht Energie durch Abschweifen ab. Bei Unterforderung spielt es keine Rolle, ob man sich langweilt oder nicht, die Aufgaben kann man sowieso lösen, und wer unterfordert ist, verfügt über eine Fülle von Kompetenzen, so dass Langeweile kein schädlicher Faktor ist. Wenn man ein Fach mit Langeweile in Verbindung bringt, senkt das die Motivation, sich über die Schulzeit hinaus mit diesem Fach zu beschäftigen, selbst wenn man in diesem Fach sehr gut ist, d.h. Langeweile durch Unterforderung hält insbesondere sehr gute Schülerinnen und Schüler davon ab, ein bestimmtes Fach zu studieren.

    3. Autorenschaft

      Anmerkung: Nach anderer Lesart stammt das Zitat „Am schönsten ist es, nichts zu tun und dann vom Nichtstun auszuruh’n“ von
      Klaus Havenstein (1922-1998, dt. Schauspieler, Kabarettist, Autor) und nicht von Heinrich Zille (1858-1929; deutscher Grafiker, Maler und Fotograf).

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert