Die transkranielle Wechselstromstimulation – transcranial alternating current stimulation, tACS – ist ein nicht-invasives neurophysiologisches Verfahren, das in der kognitiven Neurowissenschaft und klinischen Psychologie zur Modulation neuronaler Aktivität eingesetzt wird. Dabei werden über auf der Kopfhaut platzierte Elektroden schwache elektrische Ströme mit sinusförmigem Verlauf in einem bestimmten Frequenzbereich durch das Gehirn geleitet. Die Stromstärken sind typischerweise sehr gering (zwischen 0,4 und 2 mA), und die Frequenz des Wechselstroms kann je nach Zielregion und Forschungsfrage variieren – häufig verwendet werden Frequenzen im Bereich der klassischen Hirnrhythmen, etwa Theta (4–7 Hz), Alpha (8–12 Hz), Beta (13–30 Hz) oder Gamma (30–100 Hz).
Das Ziel der transkraniellen Wechselstromstimulation ist es, neuronale Oszillationen – also rhythmische Aktivitätsmuster von Nervenzellen – gezielt zu beeinflussen. Da viele kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Wahrnehmung oder Entscheidungsfindung mit solchen Oszillationen in Verbindung stehen, verspricht sich die Forschung von tACS die Möglichkeit, diese Funktionen kausal zu untersuchen oder therapeutisch zu modulieren. Die Methode unterscheidet sich von verwandten Verfahren wie der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS), bei der ein konstanter Stromfluss zur Veränderung der neuronalen Erregbarkeit eingesetzt wird, und der transkraniellen Magnetstimulation (TMS), die mit Hilfe magnetischer Impulse arbeitet. Bei der tACS hingegen wird angenommen, dass durch die Überlagerung des externen elektrischen Wechselfeldes mit den endogenen Hirnrhythmen eine entrainment-ähnliche Synchronisation erreicht werden kann – vergleichbar mit dem Takt eines Metronoms, das die innere Uhr eines Musikers beeinflusst.
Ein klassisches Beispiel ist die Anwendung von Alpha-tACS über dem visuellen Cortex, um visuelle Aufmerksamkeit zu beeinflussen. Studien haben gezeigt, dass eine Stimulation mit 10 Hz in diesem Bereich die Erkennung visueller Reize verbessern oder verzögern kann, abhängig von der zeitlichen Abstimmung zwischen Stimulation und Reizdarbietung (Helfrich et al., 2014). Auch in der Gedächtnisforschung findet tACS Anwendung, etwa zur Förderung von Theta-Gamma-Kopplung, einem Mechanismus, der als wesentlich für das Arbeitsgedächtnis angesehen wird (Polanía et al., 2012).
Klinisch wird tACS zunehmend im Kontext neuropsychiatrischer Erkrankungen untersucht. Erste Studien deuten darauf hin, dass bestimmte tACS-Protokolle Symptome bei Depression, Schizophrenie oder chronischem Schmerz lindern könnten. So konnte etwa bei depressiven Patienten durch tACS im Alpha-Bereich eine Normalisierung aberranter Hirnrhythmen und eine damit verbundene Stimmungsverbesserung erreicht werden (Alexander et al., 2019). Trotz dieser vielversprechenden Befunde steht die Methode jedoch noch am Anfang ihrer klinischen Erprobung, und viele Wirkmechanismen sind bislang nicht vollständig verstanden.
Die Vorteile von tACS liegen in ihrer relativ hohen Verträglichkeit, geringen Kosten und einfachen Anwendbarkeit. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen leichte Hautreizungen an der Elektrode, ein Kribbeln auf der Kopfhaut oder Phosphene (Lichtwahrnehmungen), insbesondere bei Stimulation im höheren Frequenzbereich. Kritisch diskutiert wird die Frage, inwieweit der Strom tatsächlich tiefere kortikale Strukturen erreicht und in welchem Ausmaß die beobachteten Effekte auf direkte neuronale Modulation oder periphere (z. B. retinale oder somatosensorische) Reize zurückzuführen sind (Vöröslakos et al., 2018).
Insgesamt stellt die transkranielle Wechselstromstimulation ein vielversprechendes Werkzeug zur Erforschung und potenziellen Beeinflussung neuronaler Dynamiken dar. Aufgrund ihrer Fähigkeit, mit großer Frequenzspezifität in das rhythmische Zusammenspiel des Gehirns einzugreifen, wird sie in Zukunft vermutlich eine bedeutende Rolle in der experimentellen Neurowissenschaft und möglicherweise auch in der personalisierten Therapie neurologischer und psychischer Erkrankungen spielen.
Literatur
Alexander, M. L., Alagapan, S., Lugo, C. E., Mellin, J. M., Lustenberger, C., Rubinow, D. R., & Fröhlich, F. (2019). Double-blind, randomized pilot clinical trial targeting alpha oscillations with transcranial alternating current stimulation (tACS) for the treatment of major depressive disorder (MDD). Translational Psychiatry, 9(1), 106.
Helfrich, R. F., Schneider, T. R., Rach, S., Trautmann-Lengsfeld, S. A., Engel, A. K., & Herrmann, C. S. (2014). Entrainment of brain oscillations by transcranial alternating current stimulation. Current Biology, 24(3), 333–339.
Polanía, R., Nitsche, M. A., Korman, C., Batsikadze, G., & Paulus, W. (2012). The importance of timing in segregated theta phase-coupling for cognitive performance. Current Biology, 22(14), 1314–1318.
Vöröslakos, M., Takeuchi, Y., Brinyiczki, K., Zombori, T., Oliva, A., Fernández-Ruiz, A., … & Buzsáki, G. (2018). Direct effects of transcranial electric stimulation on brain circuits in rats and humans. Nature Communications, 9, 483.