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Objektwahrnehmung

    Unter dem Begriff Objektwahrnehmung versteht man in der Psychologie ganz allgemein Prozesse zur Identifizierung und Erkennung von Objekten und deren Einordnung in ihren Kontext bzw. ihr Objektumfeld. Visuell wahrgenommene Objekte werden dabei mit gespeicherten Repräsentationen verglichen und als bekannt oder unbekannt eingestuft. Die Objektwahrnehmung ist also Aspekt der räumlichen Wahrnehmung, der sich auf die Erkennung von dreidimensionalen Entitäten bezieht.

    Die Objektwahrnehmung basiert auf der Fähigkeit zur Verwendung räumlicher Tiefensignale, mit deren Hilfe die dreidimensionale Struktur eines Objektes hergeleitet wird. Die Objektwahrnehmung vermittels der unterschiedlichen räumlichen Tiefenhinweise baut sich im ersten Lebensjahr auf.

    Auch die unterschiedlichen Teilaspekte der Objektwahrnehmung, die Wahrnehmung von Objekteinheit, die Objektpermanenz, die Objektsegregation und -individuation und die Phänomene der Größen- und Formkonstanz entstehen ab dem Säuglingsalter. Im höheren Erwachsenenalter verschlechtern sich Aspekte der Objektwahrnehmung infolge eines Nachlassens der Fähigkeit, Tiefensignale zu verwenden.

    Die menschliche Objektwahrnehmung ist dabei äußerst robust gegenüber Veränderungen, denn sonst wäre es nicht möglich, dass Menschen Strichzeichnungen von Gegenständen ganz einfach als Haus oder als Tier erkennen, obwohl die Strichzeichnungen doch meist ganz anders als die Gegenstände geartet sind, die sie darstellen sollen, denn in der Regel haben sie keine Farbe, sind stark vereinfacht und weisen oft sogar eine ganz andere Form als das reale Objekt auf. In einer Studie wurden Versuchsteilnehmern Bilder von Objekten wie Hunden oder Autos in drei Varianten gezeigt: einmal als normales Foto, einmal als detaillierte Strichzeichnung des Fotos und einmal als schnell hingekritzeltes Bild. Die Hirnaktivität wurde mit funktioneller Magnetresonanztomographie und Magnetoenzephalographie aufgezeichnet, so dass es möglich war, die an der Wahrnehmung von Objekten beteiligten Hirnregionen zu bestimmen und auch den zeitlichen Verlauf von Veränderungen der Hirnaktivität aufzuzeichnen. Bei der Wahrnehmung von Zeichnungen waren die Hirnsignale denen, die bei Fotografien von Objekten gemessen wurden, sehr ähnlich, was darauf hindeutet, dass das Gehirn ganz automatisch mit Strichzeichnungen von Objekten umgehen kann. Die menschliche Wahrnehmung von Objekten ist offenbar besonders robust gegenüber Veränderungen in der Umgebung, was bedeutet, dass das Gehirn es den Menschen leicht macht, Objekte als Strichzeichnungen zu erkennen, selbst wenn diese Zeichnungen nicht besonders gut gemacht sind, weil das Gehirn dann automatisch bei der Erkennung hilft.

    Mehrdimensionale Objektverarbeitung

    Menschen nehmen Objekte nicht nur in Bezug auf Kategorien wahr, sondern erfassen eine Vielzahl an verhaltensrelevanten Dimensionen. Man geht allgemein davon aus, dass das Sehen von Objekten eine Hierarchie von Hirnregionen umfasst, die zunehmend komplexere Bildmerkmale verarbeiten, wobei der visuelle Cortex auf hoher Ebene die Objekterkennung und -kategorisierung unterstützt. Das Sehen von Objekten unterstützt jedoch verschiedene Verhaltensziele, was auf grundlegende Einschränkungen dieses kategoriezentrierten Rahmens hindeutet. Um diese Grenzen zu überwinden, haben Contier et al. (2024) eine Reihe von Dimensionen, die aus einer groß angelegten Analyse menschlicher Ähnlichkeitsurteile abgeleitet wurden, direkt auf das Gehirn abgebildet. Die Ergebnisse zeigten breit verteilte Repräsentationen verhaltensrelevanter Informationen, die eine Selektivität für eine Vielzahl neuartiger Dimensionen demonstrieren und gleichzeitig bekannte Selektivitäten für visuelle Merkmale und Kategorien erfassen. Aus dem Verhalten abgeleitete Dimensionen waren den Kategorien bei der Vorhersage von Hirnreaktionen überlegen, wobei eine gemischte Selektivität in weiten Teilen des visuellen Cortex und eine spärliche Selektivität in kategorie-selektiven Clustern festgestellt wurde. Man nimmt daher an, dass das visuelle System im Gehirn nicht nur die Objekterkennung und -kategorisierung vornimmt, sondern auch andere Eigenschaften wie Farbe, Form, Typikalität und Funktionalität verarbeitet. Die Studie zeigte deutlich, dass alle Verarbeitungsstufen des Sehsystems an der Erfassung dieser vielfältigen Objektmerkmale beteiligt sind. Damit kann man das menschliche reichhaltige Verhalten gegenüber Objekten besser erklären, als es der reine Ansatz der Kategorisierung vermag. Dieser Ansatz bringt auch scheinbar disparate Befunde bezüglich regionaler Spezialisierung in Einklang, indem er die Selektivität von Kategorien als einen Spezialfall spärlicher Antwortprofile zwischen Repräsentationsdimensionen erklärt und eine umfassendere Sicht auf die visuelle Verarbeitung im menschlichen Gehirn nahelegt. Die Ergebnisse liefern ein mehrdimensionales Verständnis dafür, wie das Gehirn die visuelle Welt wahrnimmt und interpretiert.

    Literatur

    Contier, Oliver, Baker, Chris I. & Hebart, Martin N. (2024), Distributed representations of behaviour-derived object dimensions in the human visual system. Nature Human Behaviour, doi: 10.1038/s41562-024-01980-y.
    Stangl, W. (2021 15. August). Die menschliche Objektwahrnehmung ist robust gegenüber Veränderungen. Stangl notiert ….
    https:// notiert.stangl-taller.at/grundlagenforschung/die-menschliche-objektwahrnehmung-ist-robust-gegenueber-veraenderungen/
    https://dorsch.hogrefe.com/stichwort/objektwahrnehmung-entwicklung (20-12-14)


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