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Habgier

    Gier bzw. Habgier, Raffgier, Habsucht oder Raffsucht ist das übersteigerte Streben nach materiellem Besitz, unabhängig von dessen Nutzen, und daher eng verwandt mit dem Geiz, der übertriebenen Sparsamkeit und dem Unwillen zu teilen, wobei Habgier dem Egoismus, der Eifersucht und dem Neid verwandt ist.

    Habgier ist unter psychologischer Perspektive nicht nur ein Persönlichkeitsmerkmal sondern auch eine Art Sucht, die Menschen völlig ausfüllen und gefangen nehmen kann, hat aber in der Forschung relativ wenig Beachtung gefunden. Das könnte auch dann liegen, dass das Phänomen des Habenwollens in der Konsumgesellschaft bzw. der Zeit der Schnäppchenjagd eher positiv konnotiert ist, d. h., als ein Aspekt der Leistungsbereitschaft mehr oder minder anerkannt wird. Je nach Standpunkt reichen die Auffassungen von Habgier bzw. Gier von einem wünschenswerten und unvermeidlichen Merkmal einer gut geregelten, ausgewogenen Wirtschaft bis hin zur Wurzel allen Übels, wobei gierige Individuen danach streben, die gewünschten Güter um jeden Preis zu erlangen.

    Mussel et al. (2014) haben einen Test für das Persönlichkeitsmerkmal Gier entwickelt, bei dem die Probanden Aussagen in verschiedenen Ausprägungen zu- oder nicht zustimmen können. Der Test erfasst den Wunsch nach mehr, koste es was es wolle, einschließlich eines exzessiven Strebens nach materiellen Gütern, wobei ein gieriger Mensch durch die Bereitschaft ausgezeichnet ist, dass das Streben nach mehr auf Kosten von anderen Menschen geht. In den Untersuchungen zeigte sich auch, dass gierige Menschen Schwierigkeiten haben, aus Fehlern zu lernen und ihr Verhalten anzupassen. Die Befunde legten auch nahe, dass riskantes Verhalten in verschiedenen Kontexten durch Gier als Persönlichkeitsmerkmal beeinflusst wird, denn das riskante Verhalten gieriger Mensch könnte daher kommen, dass sie negative Reize oder Warnsignale aus der Umwelt ignorieren.

    Gier zeigt sich übrigen auch im Gehirn, denn Mussel & Hewig (2019) konnten mithilfe eines Computerspiels zeigen, dass das Persönlichkeitsmerkmal Gier egoistische wirtschaftliche Entscheidungen vorhersagt, die in einem Ressourcendilemma auf Kosten anderer gehen. Die Probanden spielen ein Öffentlichse-Güter-Spiel, bei dem sie gemeinsam mit einem Partner eine gemeinsame Ressource (Fischteich) bewirtschaften. Wenn sich beide Partner an eine gemeinsame Absprache halten, ist der Ertrag insgesamt am höchsten, doch kann durch eigennützige Entscheidungen, also etwa mehr fischen als vereinbart, der individuelle Gewinn auf Kosten des Partners erhöht werden. Spielten die Probandinnen und Probanden um Geld statt um Punkte, war der Effekt noch deutlicher, denn hier zeigte sich, dass Geld das Persönlichkeitsmerkmal Gier aktiviert. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich auch in Bezug auf den Partner, d. h., der Effekt von Gier war höher, wenn die Probanden gegen eine reale Person spielten statt gegen einen Computer. Menschen, die sich als weniger gierig einschätzten, waren hingegen deutlich zurückhaltender, wenn sie gegen eine reale Person spielten. Auf neuronaler Ebene zeigte sich, dass Individuen mit hoher im Vergleich zu niedriger Habgier eine charakteristische Signatur im Elektroenzephalogramm aufwiesen, denn sie zeigen auf neuronaler Ebene eine verminderte Reaktion auf positive und negative Feedbackreize, was darauf hindeuten könnte, dass sie weniger gut in der Lage sind, ihr Verhalten an entsprechende Reize aus der Umwelt anzupassen. Diese Beziehungen zwischen Gehirn und Verhalten bestätigten die mangelnde Sensibilität für die Verhaltensanpassung als einen möglichen zugrunde liegenden neurokognitiven Mechanismus, der egoistisches und rücksichtsloses Verhalten erklärt, das auf Kosten anderer gehen kann. Das ist übrigens ein Muster, das auch bei Psychopathen beobachtet werden konnte.


    Das menschliche Gehirn ist nicht auf Sparen ausgerichtet, sondern zur Erreichung langfristiger Ziele musste unser Gehirn erst ein Kontrollsystem entwickeln, um der kurzfristigen Belohnung zu widerstehen. Evolutionsbiologisch betrachtet geht es zunächst darum, dass man im Hier und Jetzt überlebt, d. h., man isst, wenn man Hunger hat, man trinken, wenn man Durst hat. Diese Bedürfnisse befriedigt man, um zu überleben, und wenn das geschieht, werden vom Gehirn Dopamin und weitere Botenstoffe ausgeschüttet, die eine sofortige Belohnung und das Verlangen nach mehr signalisieren. Deshalb ist das menschliche Gehirn aus evolutionärer Sicht nicht auf Verhaltensweisen wie Sparen und Investieren ausgerichtet, weil dann die kurzfristige Belohnung zugunsten eines langfristigen Ziels entfällt. Um langfristige Sparziele zu erreichen, muss man jene Impulse, die eine sofortige Belohnung versprechen, unterdrücken. Diese Fähigkeit wird vom entwicklungsgeschichtlich jungen präfrontalen Cortex gesteuert, wobei dieses Kontrollzentrum auch der Teil des Gehirns ist, der am längsten für die vollständige Entwicklung und Reifung braucht und erst mit Mitte zwanzig voll vernetzt beziehungsweise funktionstüchtig ist. Vereinfacht gesagt geht es bei einer Entscheidung für oder gegen das Sparen also um einen Kampf zwischen Belohnungssystem und Kontrollzentrum. Studien haben gezeigt, dass Frauen einen größeren präfrontalen Cortex besitzen als Männer, sodass es diesen möglich ist, riskante und impulsive Käufe besser zu unterdrücken, was ebenfalls evolutionsbiologisch erklärbar sein könnte, da Frauen früher beispielweise Vorräte für die Versorgung der Kinder anlegen mussten, während die Männer draußen in der Wildnis jagten.

    Literatur

    Mussel, P., Reiter, A, M. F., Osinsky, R. & Hewig, J. (2014). State- and trait-greed, its impact on risky decision-making and underlying neural mechanisms. Social Neuroscience, 10, doi:10.1080/17470919.2014.965340.
    Mussel, P. & Hewig, J. (2019). A neural perspective on when and why trait greed comes at the expense on others. Scientific Reports, 9, doi:10.1038/s41598-019-47372-5.
    Stangl, W. (20192, 5. Mai). Carl Gustav Jung. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/WISSENSCHAFTPSYCHOLOGIE/PSYCHOLOGEN/Jung.shtml
    Stangl, W. (2022, 14. September). Sparen ist den Menschen nicht in die Wiege gelegt. Stangl notiert …
    https:// notiert.stangl-taller.at/grundlagenforschung/sparen-ist-den-menschen-nicht-in-die-wiege-gelegt/.
    Stangl, W. (2020, 1. Mai). Gier zeigt sich im Gehirn. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4183/gier-zeigt-sich-im-gehirn.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Habgier (17-11-21)
    https://www.fu-berlin.de/presse/informationen/fup/2019/fup_19_228-studie-gier-mussel-hewig/index.html (21-12-12)
    https://idw-online.de/de/news801111 (22-09-13)


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