Als Doppelblindversuch oder Doppelblindstudie bezeichnet man in der Psychologie aber auch in der Medizin jenes experimentelles Vorgehen, bei dem sowohl die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dem Versuch als auch die MitarbeiterInnen des Versuchsleiters nicht wissen, ob die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine Behandlung oder ein Placebo erhalten. Wird der Doppelblindversuch in psychologischen Untersuchungen eingesetzt, haben also weder der Versuchsleiter noch die Versuchspersonen Kenntnis vom Untersuchungsgegenstand, wodurch verhindert werden soll, dass der Versuchsleiter etwa. durch seine Erwartungen die Ergebnisse des Experiments beeinflusst. Die Doppelblindstudie dient also der Verhinderung einer Verzerrung von Studienergebnissen durch die Ausschaltung von Rosenthal-Effekt und Hawthorne-Effekt.
Der Doppelblindversuch (double-blind procedure/study) ist eigentlich ein in der pharmazeutischen Forschung übliches Forschungsdesign, bei dem zur Vermeidung von Erwartungseinflüssen weder die Probanden, noch der Versuchsleiter zum Zeitpunkt der Datenerhebung wissen, ob ein wirksames Präparat (Experimentalgruppe) oder ein Placebo (Kontrollgruppe) verabreicht wurde. Auf diese Weise sollen störende Erwartungseffekte auf Seiten des Versuchsleiters und auf Seiten der Versuchspersonen ausgeschaltet werden. Doppelblindstudien werden vor allem bei placebokontrollierten Studien zur Wirksamkeit eines Verfahrens eingesetzt, wobei weder Versuchsleiter noch Proband wissen, wer die versuchsrelevante Bedingung und wer die Placebo-Bedingung erhält. Diese Methode wird meist bei der Evaluation von Studien zur Wirkung von psychologischen Interventionen eingesetzt.
Beispiele einer Doppelblind-Studie
In einer Doppelblind-Studie von Ni Lochlainn et al. (2024) bekamen 36 Zwillingspaaren im Alter von über 60 Jahren zu, 12 Wochen lang täglich entweder ein Placebo oder ein Nahrungsergänzungsmittel, wobei weder das Analyseteam noch die Teilnehmer wussten, welches Präparat sie erhielten, bis die Analyse abgeschlossen war. Parallel dazu führten alle Studienteilnehmer Widerstandsübungen durch und nahmen ein Proteinpräparat zu sich, das die Muskelfunktion verbessern sollte. Man überwachte dabei die Probanden aus der Ferne per Video und führte Online-Fragebögen und kognitiven Tests durch. Dabei konnte man feststellen, dass die Ballaststoffergänzung zu signifikanten Veränderungen in der Zusammensetzung des Darmmikrobioms der Teilnehmer führte, insbesondere zu einem Anstieg der Anzahl nützlicher Bakterien wie Bifidobacterium. Während bei der Muskelkraft kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen festgestellt werden konnte, schnitt die Gruppe, die das Ballaststoffpräparat erhielt, bei Tests zur Bewertung der Gehirnfunktion besser ab, darunter der Paired Associates Learning Test, der ein früher Marker für Alzheimer ist, sowie Tests zur Reaktionszeit und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Diese Merkmale sind für das tägliche Leben wichtig, etwa um auf den Verkehr zu reagieren oder zu verhindern, dass ein einfaches Stolpern zu einem Sturz führt.
Reed et al. (2021) führten eine sechswöchige Doppelblind-Studie zu selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) mit achtzig gesunden Probanden und Probandinnen durch. Mittels Magnetresonanztomografie wurden die Mikrostruktur, die funktionelle und strukturelle Konnektivität sowie die Interaktion und Aktivität von Gehirnarealen gemessen, die bei Gedächtnisprozessen von besonderer Bedeutung sind, wie etwa der Hippocampus und die Insula. Zusätzlich wurde mitttels Magnetresonanzspektroskopie die Konzentration des wichtigsten erregenden Neurotransmitters, Glutamat, sowie des wichtigsten hemmenden Neurotransmitters, Gamma-Aminobuttersäure, in verschiedenen Gehirnregionen quantifiziert. Zunächst wurden bei allen Teilnehmenden die unbeeinflusste Vernetzung und die Aktivität der betreffenden Gehirnareale als auch die Konzentration von Neurotransmittern in einer Ausgangsuntersuchung gemessen. Anschließend lernte eine Gruppe täglich in einer konzentrierten Aufgabe, unbekannte Gesichter paarweise zusammenzuführen, und die andere Gruppe, chinesische Schriftzeichen mit Worten zu verknüpfen. Nach einer Vergleichsmessung begann die Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern bzw. Placebos über drei Wochen samt begleitendem Umlernprogramm mit neuen Gesichtspaaren und Zeichen-Wort-Paaren. Bei der abschließenden Messung zeigte sich, dass Serotonin-Wiederaufnahmehemmer bewirken, dass neue Zusammenhänge leichter gespeichert werden.
Historisches: Das Design der Doppelblindstudien geht auf den Militärarzt Henry Beecher, der auch ein amerikanischer Pionier der Anästhesie und Hochschullehrer an der Harvard Medical School war, zurück. Beecher wertete nach dem 2. Weltkrieg die medizinischen Versuche in deutschen Konzentrationslagern aus, insbesondere zu Meskalin als Wahrheitsdroge durch Kurt Plötner im KZ Dachau. Im Nachkriegsdeutschland war Beecher dann als wissenschaftlicher Leiter an medizinischen Experimenten der CIA zu Wahrheitsdrogen wie Meskalin und LSD beteiligt.
Literatur
Ni Lochlainn, Mary, Bowyer, Ruth C. E., Moll, Janne Marie, García, María Paz, Wadge, Samuel, Baleanu, Andrei-Florin, Nessa, Ayrun, Sheedy, Alyce, Akdag, Gulsah, Hart, Deborah, Raffaele, Giulia, Seed, Paul T., Murphy, Caroline, Harridge, Stephen D. R., Welch, Ailsa A., Greig, Carolyn, Whelan, Kevin, & Steves, Claire J. (2024). Effect of gut microbiome modulation on muscle function and cognition: the PROMOTe randomised controlled trial. Nature Communications, 15, 2-15.
Reed, M. B., Vanicek, T., Seiger, R., Klöbl, M., Spurny, B., Handschuh, P., Ritter, V., Unterholzner, J., Godbersen, G. M., Gryglewski, G., Kraus, C., Winkler, D., Hahn, A. & Lanzenberger, R. (2021). Neuroplastic effects of a selective serotonin reuptake inhibitor in relearning and retrieval. NeuroImage, 236, doi:10.1016/j.neuroimage.2021.118039.
Stangl, W. (2024, 6. März).
Ballaststoffe verbessern die Gehirnfunktion bei über 60-Jährigen. arbeitsblätter news.
https:// arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/ballaststoffe-verbessern-die-gehirnfunktion-bei-ueber-60-jaehrigen/
https://www.stangl-taller.at/TESTEXPERIMENT/experimentdefinition.html (97-11-21)