Das Broca-Zentrum ist Teil des Frontalcortex, ist meist in der linken Hemisphäre des Gehirns angesiedelt und steuert die Muskelbewegungen, die an der Lautbildung beteiligt sind, bestimmt somit die sprachlichen Ausdrucksfähigkeit eines Menschen. Die Sprachzentren bilden sich während der frühen Sprachentwicklung der Kindheit aus. Schon kurz nach der Geburt produzieren Kinder Sprache: Zunächst wird gegurrt (ab einem Monat), dann gebrabbelt und gelallt (ab drei bis fünf Monaten), es werden Silben verdoppelt (ab sieben bis acht Monaten) und Kauderwelsch geredet (Jargoning), bevor dann um den ersten Geburtstag herum, manchmal aber auch erst Monate später, das erste Wort fällt, meist „Mama“. Aber schon vorher, im Kauderwelschstadium mit zehn bis zwölf Monaten, besitzt das Baby einen passiven Wortschatz von ungefähr sechzig Wörtern, die es versteht und wiedererkennt. Übrigens unterstützt jede Form der Bewegung den Spracherwerb, da Bewegung Kindern sinnliche Erfahrungen verschafft, die sich als Worte besonders gut im Gehirn festsetzen. Manche Laute wie t, s, sch, k sind besonders schwer zu lernen, sodass noch Vierjährige Schwierigkeiten damit haben, doch auch andere Fehler gehören zur Sprachentwicklung und geben sich in den allermeisten Fällen von allein. Sehr frühes Sprechen deutet auf spätere gute Intelligenzleistungen hin.
Übrigens wurden jüngst an der Universität Leipzig die neuroanatomischen Details der Broca-Region von Menschen und Schimpansen mit modernster MRT-Technik aufeinander abgebildet, also das Gebiet im menschlichen Gehirn, das für das sinnvolle Verknüpfen von Wörtern und Sätzen zuständig ist. Die Sprache ist bekanntlich ein wichtiger Aspekt, der Menschen zu Menschen macht, denn die Fähigkeit, eine unendliche Anzahl von Äußerungen auf der Grundlage der Wörter im mentalen Lexikon und einer kleinen Anzahl von syntaktischen Regeln zu erzeugen, ist nur beim Menschen zu beobachten. Tiere können zwar Wörter oder Rufe lernen und kommunizieren, aber die Sprachfähigkeit des Menschen ist einzigartig. Beim Menschen wird der Aufbau syntaktischer Strukturen durch eine Unterregion des Broca-Areals im Frontallappen (Inferior frontal cortex) unterstützt, wobei dieses Areal im Vergleich zu dem Bereich beim Schimpansen wesentlich größer ist, woraus man schließen kann, dass dies die Basis für die Fähigkeit zur Sprache sein könnte.
Übrigens: Beim Sprachenlernen sind entgegen landläufiger Vorstellungen kleine Kinder wesentlich langsamer als Erwachsene, und das Einzige, was kleine Kinder besser und schneller lernen, ist die richtige Aussprache, denn wenn Kinder eine Sprache lernen, hören sie sich wesentlich deutlicher an wie Native Speaker als Erwachsene.
Neben dem Wernicke-Areal, das für das Sprachverständnis verantwortlich ist, ist das Broca-Areal für die motorische Erzeugung der Sprache zuständig. Erstmals beschrieben wurde dieser Zusammenhang vom französischen Neurologen Paul Pierre Broca, da einer seiner Patienten mit einer Läsion im entsprechenden Hirnareal Störungen bei der Sprachproduktion zeigte. Es gilt inzwischen als gesichert, dass noch einige weitere Gehirnareale Anteil an der Sprachentstehung und Verarbeitung haben.
Das Broca-Areal ist also für die Produktion von Sprache, das Finden von Wörtern und das Bilden von Sätzen zuständig. Ist diese Region verletzt, kann der Mensch zwar meist noch alles verstehen, er hat aber Schwierigkeiten, Wörter und Sätze zu bilden. In leichteren Fällen können davon Betroffene noch in einem stakkatoartigen Telegrammstil kommunizieren.
Die Broca-Aphasie ist eine Form der Aphasie, die also hauptsächlich die Sprachproduktion beeinträchtigt, und sich durch Artikulationsprobleme, Anomie und Agrammatismus auszeichnet. Die Betroffenen sprechen Worte falsch aus, wobei ausgesprochene Worte zumeist bedeutungshaltig sind. Die Anomie zeigt sich bei Betroffenen in Wortfindungsschwierigkeiten, so dass der Sprachfluss langsam, unflüssig, angestrengt und mühevoll erscheint. Durch den Agrammatismus bestehen große Schwierigkeiten beim Benutzen grammatikalischer Konstruktionen, wie beispielsweise bei Passivsätzen oder beim Benutzen von Funktionswörtern (Präpositionen, Artikel). Auch das Nachsprechen von Sätzen bereitet den Betroffenen Probleme.
Ergebnisse empirischer Studien (Zimmer, 2009) zeigen auch den positiven Einfluss sportlicher Aktivitäten auf die kindliche Entwicklung im Hinblick auf Sprachentwicklung. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen motorischer und sprachlicher Leistung, denn je ausgeprägter die motorischen Fähigkeiten eines Kindes sind, desto besser ist die Leistung beim Verstehen von Sätzen und beim Satzgedächtnis. Zudem gibt es eine Übereinstimmung zwischen dem phonologischen Arbeitsgedächtnis und der Gedächtnisspanne für Wortfolgen mit der feinmotorischen Geschicklichkeit. Daraus kann abgeleitet werden, dass die feinmotorische Ausprägung und die Sprachentwicklung bei Kindern parallel laufen.
Während des Schlaf werden kognitive und sprachliche Fähigkeiten entwickelt
Babys sind einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt, und da keine Situation der anderen gleicht, ist jede für diese eine völlig neue Erfahrung, in die das kindliche Gehirn Ordnung bringen muss, um diese neuen Informationen auch im Langzeitgedächtnis zu speichern bzw. ähnliche Erfahrungen in Kategorien abzubilden. Untersuchungen haben nun gezeigt, dass für diesen Prozess ausreichender Schlaf notwendig ist, wobei dabei Wörtern erstmals eine Bedeutung gegeben wird. So gelingt es Babys im Schlaf bereits im Alter von sechs bis acht Monaten, Wörtern eine Bedeutung zuzuordnen, wobei das Gedächtnis, das für die Bedeutung von Wörtern zuständig ist, im Schlaf die gleichen Phasen durchläuft, wie sie auch in der typischen lexikalischen Entwicklung ablaufen: Aus sogenannten Protowörtern, die lediglich gleichzeitig auftretende visuelle und akustische Reize miteinander assoziieren, entstehen echte Wörter, die bereits mit Bedeutungen verbunden werden. Untersucht hat man diese Zusammenhänge, indem man sechs bis acht Monate alte Babys Fantasieobjekte lernen ließ und diese mit Fantasiewörtern, wie „Bofel“ oder „Zuser“ benannte. Dabei wurden Objekte, die sich jeweils nur leicht in Form und Farbe unterschieden, mit dem gleichen Namen benannt. Anhand der kindlichen Hirnreaktion zeigte sich, dass die Babys in dieser Lernphase neue Objekte der gleichen Kategorie noch nicht mit den entsprechenden Namen verbanden. Sie sahen also einen neuen Bofel nicht als „Bofel“ an, obwohl er den bisherigen Bofel-Objekten sehr ähnlich sah. Für die Babys war jedes neue Objekt–Wort Paar noch unbekannt und einzigartig, sie erkannten die allgemeine Beziehung der ähnlichen Paare nicht. Das änderte sich jedoch nach einem Mittagsschlaf, denn bei Babys, die nach der Lernphase geschlafen hatten, konnte das Gehirn in der anschließenden Testphase zwischen den richtigen und falschen Benennungen neuer Objekte unterscheiden, d. h., sie hatten während des Schlafes Wissen verallgemeinert, was Babys, die wach geblieben waren, nicht gelang. Offenbar können Kinder bereits deutlich früher als bisher angenommen über echte Wortbedeutungen in ihrem Langzeitgedächtnis verfügen, auch wenn die für diese Gedächtnisform relevanten Hirnstrukturen noch nicht vollständig ausgereift sind. Offenbar werden erst im Schlaf, wenn das kindliche Gehirn von der Außenwelt abgekoppelt ist, die wesentlichen Zusammenhänge herausgefiltert und gespeichert, sodass sich im Zusammenspiel aus wachem Erleben und den ordnenden Prozessen während des Schlafs sich die frühen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten entwickeln.
Das musikalische Broca-Zentrum
Es gibt nach neuesten Forschungen (Cheung et al., 2018) ein musikalisches Pendant des für die Sprachverarbeitung verantwortlichen Broca-Areals auf der rechten Gehirnseite, das aktiv wird, wenn einmal gelernte Strukturregeln von Musik verletzt werden. Neben der emotionalen und kommunikativen Funktion hat Musik bekanntlich sehr viel mit Sprache gemeinsam, denn auch diese basiert auf einem System, in dem sich Einzelelemente wie Töne zu immer komplexeren hierarchisch strukturierten Sequenzen zusammensetzen. Man lud Musiker zum Musikhören ein, wobei die verwendeten Kompositionen speziell für diese Zwecke entwickelt worden waren. Entscheidend an diesen Stücken war, dass darunter Sequenzen waren, die einer vorgegebenen musikalischen Grammatik folgten, andere aber ohne diese Vorgaben konstruiert worden waren. Die Musiker sollten die verwendeten Strukturregeln erkennen und lernen, und anschließend anhand dieser neuen musikalischen Grammatik entscheiden, ob es sich bei einem Stück um grammatikalisch richtige oder falsche Abfolgen handelte. Tatsächlich war dieses Musikareal bei grammatikalisch falschen Sequenzen aktiver als bei richtigen, wobei das die Probanden die Verletzung der Strukturregeln der Musik umso besser erkennen konnten, je stärker bei ihnen die funktionellen Verknüpfungen zwischen dieser Region und dem Arbeitsgedächtnis ausgeprägt waren. Das Arbeitsgedächtnis war dabei vor allem dann aktiver, wenn die grammatikalischen Strukturen der Komposition länger und komplizierter wurden.
Historisches zu Paul Broca
Paul Broca, geboren 1824, erlangte durch sein medizinisches und anthropologisches Wirken Ruhm und Anerkennung. Neben seinen medizinischen Errungenschaften beschäftigte er sich intensiv mit Anthropologie und gründete bedeutende Organisationen auf diesem Gebiet. Seine Entdeckung des Sprachzentrums im Gehirnerfolgte durch die Beobachtung und Untersuchung des Patienten „Monsieur Tan“, der nur die Silbe „Tan“ artikulieren konnte. Brocas Beobachtungen und Schlussfolgerungen führten zu bahnbrechenden Erkenntnissen in der Neuroanatomie und legten den Grundstein für die moderne Gehirnforschung. Brocas humanitären Werte spiegelten sich in seinem Engagement für ein öffentliches Gesundheitswesen und die Bildung von Frauen wider. Sein Wirken erstreckte sich von der Anthropologie bis zur Neuroanatomie und schuf einen bedeutenden Einfluss auf die medizinische Geschichte.
Literatur
Cheung, Vincent K. M., Meyer, Lars, Friederici, Angela D. & Koelsch, Stefan (2018). The right inferior frontal gyrus processes nested non-local dependencies in music. Scientific Reports, 8, doi:10.1038/s41598-018-22144-9.
Gallardo, G., Eichner, C., Sherwood, C.C., Hopkins, W.D., Anwander, A & Friederici A.D. (2023). Morphological evolution of language-relevant brain areas. PLoS Biol, 21, doi:10.1371/journal.pbio.3002266.
Klein, Cheslie C., Berger, Philipp, Goucha, Tomás, Friederici, Angela D. & Grosse Wiesmann, Charlotte (2022). Children’s syntax is supported by the maturation of BA44 at 4 years, but of the posterior STS at 3 years of age. Cerebral Cortex, doi:10.1093/cercor/bhac430.
Sagan, Carl (1979). Broca’s Brain: Reflections on the Romance of Science. New York: Random House.
Stangl, W. (2022, 1. Dezember). Wann Kinder die Syntax eine Sprache erlernen. arbeitsblätter news.
https://arbeitsblaetter-news.stangl-taller.at/wann-kinder-die-syntax-eine-sprache-erlernen/.
Stangl, W. (2023, 19. September). Warum Schimpansen nicht sprechen können.
https:// bemerkt.stangl-taller.at/warum-schimpansen-nicht-sprechen-koennen.
Zimmer, R. (2009). Handbuch Sprachförderung durch Bewegung. Freiburg: Herder.
https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/GEHIRN/GehirnSprache.shtml (09-12-12)
http://www.biologische-psychologie.de/entries/301 (10-12-12)
https://idw-online.de/de/news679078 (17-08-03)