Als Pareidolie versteht man das Phänomen, in völlig abstrakten Dingen und Mustern vermeintliche Gesichter und vertraute Wesen oder Gegenstände erkennen zu können, wobei das bekannteste Beispiel dafür die Wolken-Bilder darstellen. Die Pareidolie ist eine Variante der Clustering-Illusion, die die menschliche Tendenz beschreibt, zufälligen Mustern, die in ausreichend großen Datenmengen zwangsläufig vorkommen, Bedeutungen und Sinn zuzuschreiben. Im Gegensatz zu Illusionen sind Pareidolien nicht von Affekt getragen und verschwinden bei intensivierter Aufmerksamkeit eher nicht.
Hinweis: Der Mensch hat generell die Neigung, immer und überall nach verborgenen Mustern zu suchen, sodass er letztlich auch dazu tendiert, Zusammenhänge zu vermuten, wo in Wahrheit nur der Zufall am Werk ist. Diese Eigenschaft führt Menschen unter anderem zu Wahrsagern oder lässt sie auch vorschnell Verschwörungstheorien auf den Leim gehen.
Besonders typisch ist das Phänomen, in Mustern Lebewesen und insbesondere Gesichter zu erkennen, etwa in Wolkenformationen, wobei es nicht so einfach ist, das zu vermeiden, denn das menschliche Gehirn ist darauf eingestellt, überall Muster zu erkennen. Die Aktivierungsbedingungen für das biologisch vorgegebene Konzept Gesicht sind offenbar sehr breit angelegt und umfassen auch manchmal geometrische Konstellationen, die nur sehr wenig mit einem Gesicht zu tun haben. Nach einer neueren Studie wird sogar vermutet, dass Menschen, die in zufällig angeordneten Punkten Gesichter, Pflanzen oder Tierformen ausmachen, mit eher neurotischen Persönlichkeitsstrukturen einhergehen. Demnach tendieren eher nervöse und angespannte Menschen dazu, Gesichter zu sehen und auch dort Gefahren zu vermuten, wo gar keine sind. Übrigens sollen Frauen viel häufiger Gesichter in Objekten erkennen als Männer, wobei man vermutet, dass Frauen ein größeres Interesse an sozialer Interaktion zeigen und dadurch auch Emotionen im Gesichtsausdruck eines Gegenüber besser wahrnehmen können. Auch religiöse Menschen sollen viel öfter Gesichter in Dingen finden als andere weniger Gläubige.
Pareidolien sind das Resultat meist unbewusst entstehender Fehldeutungen durch das menschliche Gehirn, denn dieses neigt dazu, diffuse und scheinbar unvollständige Wahrnehmungsbilder und -strukturen zu komplettieren und vertrauten Mustern und Formen anzugleichen. Dieses Gesichtererkennen liegt nach Ansicht von Experten zwischen optischer Täuschung und Erwartungshaltung des Gehirns, sodass Menschen auch deshalb Gesichter sehen, weil sie diese erwarten. Bekanntlich gehen Menschen generell mit einer Erwartungshaltung durch die Welt, sodass sie die Welt mit ihrer Erwartungshaltung und ihren Denkkonzepten scannen. Daher scheinen die Art und Gestalt von Trugbildern von der Erwartung des Gehirns abzuhängen, wobei eben auf Grund der Erfahrung besonders häufig menschliche Gesichter erwartet und daher auch wahrgenommen werden. Möglicherweise beruht das auf einer natürlichen Alarmfunktion, die sicherstellen soll, dass der Mensch im Alltag auch sich versteckende Personen und Gesichter ausfindig machen kann, denn das vermittelt die Sicherheit, alles unter Kontrolle zu haben. Für den Menschen und soziale Interaktionen ist es extrem wichtig, Gesichter auch als solche zu erkennen, diese Fähigkeit ist somit für sozial organisierte Lebewesen das wichtigste Konzept zum Kontakt mit Seinesgleichen.
Der Irrtum der Pareidolie ist im menschlichen Gehirn wohl evolutionsbiologisch besonders tief verankert, wobei Pareidolie auch bei anderen Primaten zu finden ist, wenn diese Bilder von unbelebten Objekten betrachten. Gerade unechte Gesichter werden dabei besonders häufig erkannt. Berühmt wurde das Marsgesicht, das 1976 die Sonde Viking 1 lieferte, ein verschwommenes Foto eines Gebirges auf dem roten Planeten, das unverkennbar einem menschlichen Gesicht ähnelte und zahlreiche Verschwörungstheorien begründete. Als Jahre später diese Stelle der Marsoberfläche erneut fotografiert wurde, entpuppte sich das vermeintliche Antlitz dank höherer Auflösung nur noch als schroffe Tafelbergformation. Auch das Erkennen von Gesichtern an Orten, wo eindeutig kein menschliches Gesicht existiert, ist im Gehirn tief verankert, denn im Gehirn werden die selben Strukturen aktiv, wenn man mit einem menschlichen oder einem unechten Gesicht konfrontiert wird. Schon der leiseste Hinweis auf ein Gesicht kann dazu führen, dass ein Gesicht als Gesicht erkannt wird. Dabei werden solche Gesichter nicht nur erkannt, sondern auch so bewertet, als handle es sich um echte Menschen, etwa indem man ihm sofort Emotionen zuschreibt. Offenbar ist das Erkennen der Stimmung des Gegenübers anhand seines Gesichtsausdrucks wichtiger als die Tatsache, ob es sich dabei überhaupt um einen Menschen handelt. Aus evolutionärer Perspektive ist es wohl ein größerer Vorteil, Gesichter überhaupt zu erkennen, als ein Gesicht fälschlicherweise dort zu erkennen, wo gar keines ist. Das Gehirn verfügt dabei offenbar um einen großen Toleranzbereich und ist nicht an spezielle menschliche Merkmale gebunden. Solche Erkenntnisse sind auch im Zusammenhang mit Gesichtsblindheit wichtig.
Schon Säuglinge sind unmittelbar nach der Geburt in der Lage, Gesichter wahrzunehmen, wobei bereits Ungeborene im Mutterleib eine Präferenz für Gesichter zeigen. In einem Experiment hatte man Schwangeren im letzten Drittel der Schwangerschaft mit Licht schematisierte Muster eines Gesichts auf die Bauchdecke gestrahlt, wobei die Ungeborenen die Gesichter durch Drehung ihres Kopfes verfolgten, wenn die Projektion über die Bauchdecke der Mutter bewegt wurde. Das menschliche Gehirn ist für die Gesichtserkennung auch speziell vorbereitet und besitzt im Gyrus fusiformis (Spindelwindung) in der Großhirnrinde des Schläfenlappens ein Areal dafür, wobei der Teil im rechten Schläfenlappen die besondere Funktion hat, Gesichter zu erkennen. Dieser Teil des Gehirns ist daher schon sehr früh voll entwickelt, denn neugeborenen Kinder reagieren bereits zwei Tage nach der Geburt intensiver auf einfache Gesichtsbilder als auf andere Bilder. Die rechte und die linke Gehirnhälfte müssen für eine Pareidolie zusammenarbeiten, denn nachdem auf der linken Seite die Spindelwindung der Großhirnrinde eingeschätzt hat, wie sehr ein Bild einem Gesicht ähnelt, entscheidet die Spindelwindung auf der rechten Seite darüber, ob das Gesicht tatsächlich ein Gesicht ist. Je näher das Muster einem Gesicht ähnelt, desto aktiver wird die linke Gehirnhälfte.
Die Fähigkeit, Männer und Frauen grundsätzlich am Gesicht zu unterscheiden, ist ebenfalls sehr früh vorhanden, denn Untersuchungen haben gezeigt, dass drei bis vier Monate alte Babys weibliche Gesichter bevorzugt betrachteten, es sei denn, sie wurden hauptsächlich von einem Mann versorgt, denn dann ändert sich diese Vorliebe. Diese initiale Neigung könnte daher den Grundstein für die unterschiedliche Verarbeitung von männlichen und weiblichen Gesichtern im sich entwickelnden Gehirn legen, denn mit zunehmendem Alter wird die Fähigkeit, das Geschlecht eines Menschen am Gesicht abzulesen, immer besser. Normalerweise kann das menschliche Gehirn innerhalb weniger Millisekunden nicht nur korrekt erkennen, dass ein Objekt ein Gesicht ist, sondern darüber hinaus Geschlecht, Alter und auch Stimmungslage des Gegenübers bewerten, ohne dass man sich dessen bewusst wird. Übrigens werden illusorische Gesichter ähnlich komplex bewertet wie richtige Gesichter, denn auch ihnen wird häufig ein emotionaler Ausdruck und ein Alter zugeschrieben. Beim Geschlecht hingegen gibt es eine Tendenz zum männlichen Gesicht, denn illusorische Gesichter werden etwa viermal so oft als männlich erlebt denn als weiblich. Diese Tendenz zum Männlichen lässt sich nicht durch das Geschlecht des Betrachters erklären, denn auch Frauen sehen häufiger Männer als Frauen in illusorischen Gesichtern, und auch die empfundene Stimmung des Gesichts hängt nicht mit dem wahrgenommenen Geschlecht zusammen. Man vermutet, dass das menschliche Gehirn eher die Kategorie männlich vergibt, wenn nur ganz grundlegende Informationen vorhanden sind, doch ob das sozial erworben ist oder etwa auf Vorgänge in der Entwicklung zurückgeht, ist noch unklar. Denkbar ist, dass männlich sozusagen das Standardgeschlecht darstellt, und erst zusätzliche Informationen die Kategorie weiblich öffnen, etwa durch geschwungene Augenbrauen, lange Wimpern oder lange Haare (Wardle et al., 2020, 2022).
Die Präferenz für das Maskuline könnte auch daran liegen, dass die Verzerrung nicht auf der Wahrnehmungsebene stattfindet, sondern darin, wie Menschen über das Konzept Geschlecht generell nachdenken. Gesichter sind grundsätzlich männlich, und ein weibliches Gesicht definiert man in Bezug auf das männliche, d. h., aus Mann wird Frau, indem ein Antlitz bestimmte Merkmale wie lange Haare, rote Lippen oder lange Wimpern bekommt. Offenbar wird das weibliche Gesicht als Erweiterung eines männlichen Standards verarbeitet, wonach es Menschen nach Untersuchungen auch leichter fällt, eine Ellipse zwischen Kreisen zu erkennen als Kreise zwischen Ellipsen, denn mit der Existenz einer Art Schablone eines Standardkreises im Gehirn stellen Ellipsen davon eine Abweichung dar, was es leichter macht, diese zu erkennen, sodass feminine Gesichter bloß eine Abweichung vom Maskulinen darstellen. Einen möglichen Grund dafür sehen manche Wissenschaftler auch im Erziehungsmodell westlicher Gesellschaften, denn dort kümmern sich in den ersten Jahren Frauen zu einem weit größeren Anteil um ihren Nachwuchs als Männer. Aus diesem Grung könnten sich Kinder eine detailliertere Vorstellung eines weiblichen Gesichts machen, und was dann nicht diesem mütterlichen Typ entspricht, sortieren Menschen daher vielleicht automatisch in die Kategorie Mann. Im Gehirn sind diese besonderen Merkmale, die eine Frau ausmachen, nicht vorhanden, also muss dieses Ding oder Zeichen eher ein Mann sein. Offenbar entscheidet das Gehirn getreu dem Motto: Im Zweifel für den Mann.
Pareidolien kommen so wie Illusionen hauptsächlich bei Gesunden vor, und werden auch im Rahmen der Psychodiagnostik etwa beim Rorschach-Test genutzt. Pareidolie wird auch als Ursache von Fehlwahrnehmungen und massenhaft auftretenden Illusionen wie bei UFO-Sichtungen vermutet.
Eine extremere Form der Pareidolie ist die Apophänie, die sich häufig bei schizophrenen Menschen findet. Man versteht darunter das grundloses Sehen von Verbindungen, begleitet von der besonderen Empfindung einer abnormen Bedeutsamkeit. Während die Pareidolie sich auf Muster von Formen und manchmal auch Tönen beschränkt, sehen Menschen mit Apophänie nahezu überall Verbindungen und Zusammenhänge, seien es Zahlenreihen oder banale Ereignisse.
Tipp: Auf Twitter folgen mehr als eine halbe Million Menschen dem Account Faces in Things (https://twitter.com/facespics?lang=de), auf dem Bilder von Kirchtürmen, Teekannen oder Rucksäcken veröffentlicht werden.
Aktueller Hinweis: Dieser Account ist derzeit gesperrt, da er gegen die Twitter Regeln verstoßen haben soll!
Pareidolie in der Höhlenmalerei?
Der Einfluss der Pareidolie wurde oft anekdotisch in der Höhlenkunst des Jungpaläolithikums beobachtet, wo topografische Merkmale der Höhlenwände in die Bilder integriert wurden. Im Rahmen einer umfassenderen Untersuchung der frühesten bekannten Kunst untersuchten Wisher et al. (2023) drei Hypothesen zur Pareidolie in Fällen spätpaläolithischer Kunst in den Höhlen Las Monedas und La Pasiega (Kantabrien, Spanien). Unter Anwendung aktueller Forschungsmethoden aus der visuellen Psychologie stützen die Ergebnisse die Vorstellung, dass die Topographie der Höhlenwände eine starke Rolle bei der Platzierung von figurativen Bildern spielte, was als ein Hinweis auf den Einfluss der Pareidolie auf diese Kunstproduktion sein kann, wenngleich sie eine geringere Rolle dabei spielte, ob die resultierenden Bilder relativ einfach oder komplex waren. Die genaue Analyse ergab, dass bei 71 Prozent der Abbildungen in Las Monedas und bei 55 Prozent von La Pasiega die natürlichen Gegebenheiten der Höhlenwände genutzt wurden, d. h., auf kurvenförmige Erhebungen malten man etwa den Rücken von Pferden und natürliche Risse dienten als Vorlage für die Hörner von Bisons. Darüber hinaus waren große Teile der Wände leer geblieben. sodass es kein Zufall sein kann, dass ausgerechnet jene Stellen bemalt wurden, die so gut zu den abgebildeten Tieren passten.
Diese Ergebnisse deuten auch darauf hin, dass die Beleuchtungsbedingungen im Gegensatz zu früheren Annahmen nur eine geringe oder gar keine Rolle bei der Bestimmung der Form oder Platzierung der Bilder spielen. Insgesamt gab es wohl auch ein Wechselspiel zwischen den natürlichen Gegebenheiten in der Höhle und dem Schaffen der frühen Künstler, denn vermutlich hat man einerseits nach Stellen gesucht, die an bestimmte Tiere erinnern, aber anderseits auch die eigene Kreativität ausgelebt.
Ein eigenes Beispiel ist etwa der Koala im folgenden Bild der Wand in einer Kellergasse in Niederösterreich:
[Quelle: Werner Stangl; https://foto.stangl.eu/]
Wardle, S. G., Paranjape, S., Taubert, J. & Baker, C. I. (2022). Illusory faces are more likely to be perceived as male than female. PNAS, 119, doi:10.1098/rspb.2021.0966.
Wisher, Izzy, Pettitt, Paul & Kentridge, Robert (2023). Conversations with Caves: The Role of Pareidolia in the Upper Palaeolithic Figurative Art of Las Monedas and La Pasiega (Cantabria, Spain). Cambridge University Press, doi:10.1017/S0959774323000288.
https://www.tagesspiegel.de/wissen/ dinge-mit-gesicht-punkt-punkt-komma-strich/27411262.html (21-07-15)
https://bemerkt.stangl-taller.at/mustererkennung-und-intuition (14-11-21)
https://de.wikipedia.org/wiki/Pareidolie (19-03-07)
https://www.spektrum.de/news/warum-wir-ueberall-die-gesichter-von-maennern-sehen/2063622 (22-10-10)