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innocent victim paradigm

    Das innocent victim paradigm ist ein sozialpsychologisches, experimentelles Paradigma, das Lerner & Simmons (1966) entwickelten, bei dem Studentinnen ein gleichaltriges Opfer beobachten, das ähnlich wie im Milgram-Experiment an einer Lernaufgabe teilnahm und für jeden Fehler bestraft wurden. Dabei zeigte sich, dass die Beobachterinnen das Opfer abwerteten (victim blaming), wenn sie glaubten, dass sie dieses Schicksal nicht ändern konnten. Die Abwertung war dann geringer, wenn die Beobachterinnen das Schicksal des Opfers ändern, etwa ihm wenigstens eine Belohnung zukommen lassen konnten. Offensichtlich haben Menschen das Bedürfnis zu glauben, dass es in der Welt gerecht und gut zugeht, soferne sie selber einen Einfluss darauf zu haben glauben.
    Der unter diesem Paradigma beobachtete Effekt, dass gerade das Bedürfnis nach Gerechtigkeit Ungerechtigkeit in einigen Fällen noch verstärken kann statt diese zu beseitigen, wird als just world fallacy oder Gerechtigkeitsparadoxon bezeichnet: Bedroht ein Ereignis die eigene intuitive Vorstellung davon, dass es in der Welt im Großen und Ganzen gerecht zugeht (Gerechte-Welt-Glaube), sind Menschen bestrebt, diese Bedrohung abzuwenden. Das Gerechtigkeitsmotiv ist umso stärker, je ausgeprägter der Gerechte-Welt-Glaube ausfällt, der einen Aspekt der Persönlichkeit darstellt. Menschen haben ofensichtlich ein Bedürfnis Ungerechtigkeit zu beenden, nach Möglichkeit durch aktives Handeln. Stehen aber solche Möglichkeiten zur aktiven Reduktion von beobachteter Ungerechtigkeit nicht zur Verfügung, setzen kognitive Relativierungsprozesse ein, die auf die erlebte Unabänderlichkeit derart reagieren, dass sie das Erleben selbst umdeuten. Gerechtigkeit wird dann dadurch kognitiv wiederhergestellt, indem man die Opfer abwertet oder sich selbst davon zu überzeugen versucht, dass man selber und das Opfer einfach in verschiedenen Welten leben, die Gerechtigkeit der eigenen Welt durch dieses Geschehen gar nicht bedroht ist. Oder man verleugnet die Ungerechtigkeit bzw. normalisiert sie, dass solche Dinge einfach in der Welt eben passieren, wobei religiöse Menschen zusätzlich davon ausgehen, dass Gerechtigkeit ohnehin spätestens im Jenseits wiederhergestellt wird.
    Die Gerechtigkeitsmotivation entsteht nach Lerner (1977) übrigens in jener Entwicklungsphase, in der sich ein Kind zunehmend weg vom Lustprinzip und hin zum Realitätsprinzip orientiert.

    Literatur
    Lerner, M. J. & Simmons, C. H. (1966). Observer’s reaction to the „innocent victim“: Compassion or rejection? Journal of Personality and Social Psychology, 4, 203-210.
    Lerner, M. J. (1977). The justice motive in social behavior. Some hypotheses as to its origins and forms. Journal of Personality, 45, 1–52.
    Lerner, M. J. (1980). The belief in a just world – a fundamental delusion. New York: Plenum.
    Lerner, M. J. (1998). The two forms of belief in a just world: Some thoughts on why and how people care about justice. In L. Montada & M. J. Lerner (Eds.), Responses to victimizations and Belief in a Just World (pp. 247-269). New York: Plenum.


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