Zum Inhalt springen

Attraktivitätsstereotyp

    Man spricht in der Psychologie vom Attraktivitätsstereotyp, wenn schönen Menschen deutlich positivere Eigenschaften zugeschrieben werden als nicht so attraktiven. Dieses Attraktivitätsstereotyp führt dazu, dass schöne Menschen in den meisten Bereichen des gesellschaftlichen Lebens positiver behandelt werden, d. h., hübsche Kinder bekommen in der Schule bessere Noten, attraktive Erwachsene können vor Gericht mit milderen Strafen rechnen, finden in Notlagen auf mehr Hilfsbereitschaft, und erhalten nach Untersuchungen auch höhere Gehälter. Das Attraktivitätsstereotyp lässt sich bereits im Alter von sechs Monaten nachweisen. Die Vermengung des Schönen mit dem Guten zeigt sich in allen Kulturen, Sprachen und Mythen, was gegen eine rein kulturelle Tradierung des Attraktivitätsstereotyps im Sinne von Sozialisation spricht.

    Wissenschaftler untersuchten jüngst, welche Rolle das Aussehen bei der Auswahl von Führungskräften spielt, und zwar auf dem Hintergrund, dass es keine nachweisbaren Zusammenhänge zwischen der Attraktivität und dem Charakter eines Menschen gibt. Studien haben gezeigt, dass Menschen sich aufgrund des Gesichts einer Führungskraft einen Eindruck über deren mögliche Eigenschaften bilden, und dass bestimmte Gesichtsmerkmale den Aufstieg in eine Führungsposition begünstigen. Es scheint sogar Gesichtsstereotype für bestimmte Professionen zu geben, die bei der Auswahl einer Führungskraft eine Rolle spielen (Olivola et al., 2014).

    Ein anderes Forschungsergebnis stützt allerdings das Attraktivitätsstereotyp in Bezug auf moralische Vorstellungen: Nach Urbatsch (2018) passen attraktive Menschen ihre Moralvorstellungen an ihre jeweiligen Lebensumstände an, was indirekt bestätigt, dass Menschen im Grunde ethische Opportunisten sind, d. h., sie passen ihre Moralvorstellungen an unsere jeweiligen Lebensumstände an, was vor allem für das Themenfeld Sexualität gilt. Attraktive Menschen akzeptieren eher Geschlechtsverkehr vor der Ehe und stimmen auch der gleichgeschlechtlichen Ehe oder einem liberalen Abtreibungsrecht eher zu, wobei zu berücksichtigen ist, dass diese Daten aus einer amerikanischen Studie stammen. Bei außerehelichen Beziehungen neigen sie nach Urbatsch (2018) auch dazu, diese nicht besonders verwerflich zu finden. Indirekt folgt daraus, dass unattraktive Menschen strengere sexuelle Moralvorstellungen vertreten, weil sie weniger Gelegenheiten zu körperlicher Nähe bekommen. Grundsätzlich empfinden Menschen Situationen als unfair und fragwürdig, in denen sie weniger als andere bekommen, und versuchen, diese Ungleichheit zu verändern, was auch in der Sexualität so sein könnte.

    Menschen leben nach Ansicht von Experten mit einem steinzeitlichen Gehirn in einer modernen Umwelt, wobei dieses mit alten aber bewährten Mechanismen Attraktivität und Schönheit bewertet. Zwar weiß man, dass etwa in Modezeitschriften nur bearbeitete Bilder zu sehen sind, dennoch wird das Belohnungszentrum aktiviert und der Eindruck wird als echt verarbeitet. Beim Anblick attraktiver Menschen steigt etwa der Dopaminspiegel im Blut, denn sehen etwa Männer Bilder solcher attraktiver Frauen, sind sie unzufriedener mit ihrer eigenen Beziehung und fühlen sich nicht mehr so gebunden. Vor Shootings werden Models stundenlang geschminkt, doch nach der Fotosession kommt Photoshop: Beine länger und dünner, Taille-Hüft-Verhältnis anpassen und betonen, Füße kleiner, Augen und Lippen größer, Nase schmaler und kleiner, Hals länger. Solche manipulierten Körperteile haben Signalwirkung, d. h., wenn Frauen Schuhe kaufen, kaufen sie diese eher eine halbe Nummer zu klein, doch je älter eine Frau wird, desto größer werden ihre Füße. Kleine Füße stehen nämlich für die Jugend. Die Augen hingegen werden aber mit der Zeit kleiner. Große und volle Lippen stehen vermutlich für eine höhere Konzentration des weiblichen Hormons Östrogen und dadurch für Fruchtbarkeit. Daher schminkt auch keine Frau Lippen oder Augen kleiner, die Beine werden schlanker gemacht und verlängert, denn das vermittelt Gesundheit und das Ideal, schlank zu sein. Bei Männern bearbeitet man vor allem Oberarme, macht die Schultern breiter und die Augen eher kleiner.


    Die Attraktivität eines Individuums wird von vielen Menschen als maßgeblicher Faktor für den Erfolg sowohl im Berufsleben als auch in der Ausbildung erachtet. Adamopoulou & Kaya (2024) haben den Einfluss der eigenen Attraktivität sowie der Attraktivität von Gleichaltrigen auf diverse Messgrößen der schulischen Leistung untersucht. Die Datenbasis der Untersuchung bildet der National Longitudinal Survey of Adolescent Health, wobei der Fokus auf High-School-Schülern in den Vereinigten Staaten liegt. Die körperliche und persönliche Attraktivität der Jugendlichen wird durch den Interviewer bewertet und dient als Grundlage für die Analyse zufälliger Schwankungen innerhalb von Schulen über Kohorten hinweg. Die Untersuchung demonstrierte, dass männliche Schüler mit einer attraktiveren Peergroup geringere Noten aufweisen. Dies ist auf ein geschwächtes Selbstbewusstsein zurückzuführen, insbesondere wenn die Jungen in ihrer körperlichen Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten waren wie ihre Mitschüler. Dies hatte wiederum negative Auswirkungen auf ihre schulischen Leistungen. Bei männlichen Schülern spielten sowohl die charakterliche als auch die körperliche Attraktivität eine Rolle. Dabei wiesen attraktive Schüler tendenziell bessere Leistungen auf. Bei weiblichen Schülerinnen hingegen zeigt sich ein anderes Bild: Die Attraktivität der Peers hatte keinen Einfluss auf die schulischen Leistungen. Bei den Mädchen hingegen korrelierte die charakterliche Attraktivität, also die Sympathie, die ihnen entgegengebracht wurde, mit besseren Noten. Bei der Untersuchung der Attraktivität von Jungen zeigte sich, dass sowohl charakterliche als auch körperliche Attraktivität eine Rolle spielen. Dabei wiesen attraktive Schüler tendenziell bessere Leistungen auf. Es konnte festgestellt werden, dass bei Mädchen lediglich die persönliche Attraktivität einen positiven Einfluss auf die schulischen Leistungen ausübt. Bei Jungen hingegen wirkt sich sowohl die körperliche als auch die persönliche Attraktivität positiv auf die Leistungen aus. Zudem spielen die Eigenschaften der Gleichaltrigen eine Rolle. Ein Anstieg des Anteils körperlich attraktiver Gleichaltriger in der Highschool führte bei Jungen in späteren Jahren zu einer Verringerung der schulischen Leistungen. Die Forscher konnten zudem nachweisen, dass dieser Effekt durch weniger reife Jungen mit einem geringeren Selbstbewusstsein verursacht wird.


    Die Wahrnehmung der körperlichen Attraktivität ist in den verschiedenen Kulturkreisen auch unterschiedlich, insbesondere in Bezug auf die Körpergröße und Körperform von Frauen. Boothroyd et al. (2020) haben Hypothesen untersucht, ob visuelle Medien westliche schlanke Ideale in andere Kulturkreise transportieren können. Sie lieferten dabei sowohl einen Querschnitts-, Längsschnitt- als experimentellen Nachweis mittels Feldforschung, dass die Medienexposition Veränderungen in der Wahrnehmung der weiblichen Attraktivität bewirken kann. Dabei wurde der Einfluss des Medienzugangs auf weibliche Körperideale in einer abgelegenen Region Nicaraguas überprüft, indem man Stichproben aus Dörfern (300 Männer und Frauen) mit und ohne regelmäßigen Fernsehzugang miteinander verglich. Es zeigte sich dabei, dass ein höherer Fernsehkonsum ein signifikanter Prädiktor für die Präferenz für schlankere, kurvigere Frauenfiguren ist. Während die erste Gruppe Frauen mit einem Body-Mass-Index von 22 am ansprechendsten fand, lag der durchschnittlich bevorzugte Body-Mass-Index bei der Vergleichsgruppe um fünf Punkte höher. Innerhalb eines Dorfes zeigten die Analysen über drei Jahre hinweg auch einen Zusammenhang zwischen dem erhöhten Fernsehkonsum und den Präferenzen für schlankere Figuren. Schließlich zeigt eine experimentelle Studie in zwei medienarmen Dörfern, dass sich der Kontakt mit Medienbildern von Modellen direkt auf die Ideale der Teilnehmerinnen und Teilnehmer auswirkte. In einer Befragung hatte man nämlich manchen Dorfbewohnern Fotos von sehr schlanken Frauen gezeigt, anderen hingegen Aufnahmen von Frauen mit deutlich mehr Körperfülle, wobei sich danach die Einstellung der Probanden und Probandinnen in Richtung des ihnen präsentierten Schönheitsideals verschob.


    Siehe auch Halo-Effekt.

    Literatur

    Adamopoulou, Effrosyni & Kaya, Ezgi (2024). Beautiful inside and out: Peer characteristics and academic performance. Journal of Economic Behavior & Organization, 217, 507-532.
    Boothroyd, L.G., Jucker, J.-L., Thornborrow, T. Barton, R., Burt, D.M. Evans, E.H. Jamieson, M. & Tovee, M.J. (2020). Television Consumption Drives Perceptions of Female Body Attractiveness in a Population Undergoing Technological Transition. Journal of Personality and Social Psychology, doi:10.1037/pspi0000224.
    Olivola, C. Y., Eubanks, D. L., & Lovelace, J. B. (2014). The many (distinctive) faces of leadership: Inferring leadership domain from facial appearance. The Leadership Quarterly, 25, 817-834.
    Stangl, W. (2024, 20. August). Ist Attraktivität wichtig für die Schulleistung? – was stangl bemerkt ….
    https:// bemerkt.stangl-taller.at/ist-attraktivitaet-wichtig-fuer-die-schulleistung
    Urbatsch, R. (2018). Things are looking up: Physical beauty, social mobility, and optimistic dispositions. Social Science Research, 71, doi:10.1016/j.ssresearch.2018.01.006.
    https://www.idowa.de/inhalt.gephotoshopt-wie-uns-bildbearbeitung-beeinflusst.3da1a17a-a06c-43f9-aedf-36d940621f7d.html (19-06-13)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert