Saccaden oder Sakkaden sind kleine ruckartige Bewegungen der Augen, die von wenigen Winkelminuten (Mikrosaccaden, Augentremor) bis zu Willkürbewegungen von über 90° reichen, und treten bei der Fixierung eines Objektsauf. Saccaden werden durch sechs außerhalb der Augen lokalisierte Muskeln verursacht und verlaufen ballistisch, d. h., haben sie einmal begonnen, laufen sie ohne Korrekturen bis zu ihrem vorher beabsichtigten Endpunkt ab. Schon kurz vor der Auslösung einer sakkadischen Blickbewegung und über den Zeitraum ihres Andauerns hinweg tritt eine herabgesetzte Sehempfindlichkeit auf („saccadic suppression“). Die extreme Geschwindigkeit der sakkadischen Blickbewegungen minimiert die Zeitspanne eines beeinträchtigten Sehens kaum, wobei die neuronalen Prozesse, die zur Auslösung führen, im frontalen Cortex ihren Abschluss zu finden. Eine elektrische Stimulation dieses Areals bewirkt sakkadische Blickbewegungen, wobei die linkshemisphärische Reizung nach rechts gerichteten sakkadischen Blickbewegungen erzeugen, während eine rechtshemisphärische Stimulation linksgerichtete Blickbewegungen nach sich zieht. Die mittlere Dauer für die Verarbeitung von visuellen Informationen beträgt etwa 300 ms, d.h., pro Sekunde finden im Durchschnitt drei Fixationsphasen statt.
Als besonders einfache Augenbewegungen gelten die reflexiven Sakkaden zu einem Blickziel (Prosakkaden), während Memory-Sakkaden, also Gedächtnis-Sakkaden, als rasche Blicksprünge zu einem erinnerten, vormals kurz präsentierten Blickziel hin darstellen.
Auch wenn noch weitgehend unklar ist, wie die Reizverarbeitung eines Objekts in einer Sakkade mündet – eher automatische, unwillkürliche Sakkaden oder willkürliche als das Resultat eines komplexen, geordneten Prozesses der Informationsverarbeitung – spielen die auch während des Schlafs ablaufenden sakkadischen Blickbewegungen in den oft mit Träumen verbundenen REM-Phasen eine wichtige Rolle. Sakkadische Augenbewegungen eignen sich besonders für die Untersuchung unbewusster motorischer Lernvorgänge im Schlaf, da sie sich sehr präzise messen lassen.
Da die menschlichen Augen über eine spezialisierte, zentrale Region mit hoher Sehschärfe und gutem Farbsehen verfügen, müssen sie ihren Blick auf einen konkreten Fixationspunkt fokussieren, um das Umfeld mit den Augen erfassen zu können. Das Objekt wird dabei fixiert, sodass die Abbildung auf die Stelle des schärfsten Sehens, die Fovea centralis, projiziert werden, wozu diese kleinen Augenbewegungen erforderlich sind. Auch zum Abtasten eines ausgedehnten Objektes sind Augenbewegungen nötig. Trotz dieser Bildverschiebungen auf der Netzhaut kommt es zu einer stabilen, kontinuierlichen, visuellen Wahrnehmung, wobei diese kleinsten Augenbewegungen bei der Wahrnehmung der Umwelt eine wichtige Rolle spielen, wobei das Paradoxon auftritt, dass diese Bewegungen des Auges in jenem Moment auftreten, in dem man versucht, den Blick auf ein bestimmtes Objekt zu fixieren, also genau dann, wenn man eine Augenbewegungen eigentlich zu verhindern versucht. Hafed (2013) vermutet auf Grund von Untersuchungen, dass diese Saccaden ein unbewusste Vorbereitung ein Sehen aus dem Augenwinkel ermöglichen, denn er entdeckte, dass das Gehirn im Vorlauf einer Mikrosakkade die visuelle Verarbeitung in einer Art und Weise reorganisiert, die eine Veränderung der folgenden perzeptiven Vorgänge bewirkt. Hafed untersuchte die Fähigkeit von Versuchspersonen, zwei verschiedene Punkte innerhalb des Blickfelds zeitgleich zu erfassen, und fand heraus, dass die Mikrobewegungen der Augen in der Peripherie effektiv die Fähigkeit verbesserten, visuellen Input vom Bereich des Fixierpunktes aus zum Gehirn zu steuern.
Saccaden spielen auch beim Erlebnis einer konstanten Umwelt eine Rolle, denn dass die Umwelt Menschen auch dann stabil erscheint, wenn sie sich in ihr bewegen, liegt daran, dass das Gehirn einen ständigen Abgleich der Sinne vornimmt, indem visuelle Reize mit dem Gleichgewichtssinn, der relativen Stellung von Kopf zu Körper oder der Rückmeldung von ausgeführten Bewegungen in Einklang gebracht werden. Verantwortlich ist dafür ein Areal im posterioren insularen Cortex, das offenbar für die Koordination verantwortlich ist.
Als sakkadische Maskierung bezeichnet man das Phänomen, dass das Gehirn die bewusste Wahrnehmung der visuellen Informationen unterbricht, wenn sich das Auge bewegt, sodass man, wenn man vor einem Spiegel steht, nicht sehen kann, dass sich der Augapfel bewegt. Während der sakkadischen Maskierung ist man zwar nicht blind, doch wenn man dabei ein 60Hz flackerndes Licht betrachtet, wird man bei der direkten Betrachtung dieses Flackern nicht bemerken, doch wenn man die Auge bewegt, kann man das Licht ein eine Spur von Lichtpunkten sehen. Das liegt daran, dass das Gehirn während der sakkadischen Maskierung immer noch Informationen des Auges verarbeitet.
Während des Sehvorgangs nehmen Menschen immer ein stabiles Bild wahr, obwohl sich die Augen bei der Suche nach neuen Eindrücken ständig hin und her bewegen und dabei ein verwackeltes Bild auf die Netzhaut werfen. Diese enthält aber schon eine Form von Bildstabilisator, die dem übrigen Gehirn ein ruhiges Bild präsentiert. Bisher gab es zwei konkurrierende Hypothesen für dieses verwacklungsfreie Sehen: Nach der ersten sollte die Unterdrückung der Wackelbewegungen von den Motorsignalen ausgehen, die auch die Bewegung der Augen auslösen, nach der zweiten sollte die Unterdrückung rein visuell bedingt sein und von der Bildfolge auf der Netzhaut verursacht werden, was dann bedeutet, dass sich die verwackelten Bilder selbst korrigieren. Idrees et al. (2020) haben nun die zweite Hypothese bestätigt, wobei aber auch motorische Signale bei der Bildstabilisation eine Rolle spielen. Man präsentierte Probanden hochaufgelöste, computergenerierte Aufnahmen von groben und feinen Oberflächen und blendeten kurze Lichtblitze unterschiedlicher Stärke ein, während die Probanden ihre Augen bewegten, wobei ab einer bestimmten Schwäche der Lichtblitze diese nicht mehr wahrgenommen wurden. Es zeigte sich, dass die messbare ultrakurze Blindheit von der angezeigten Textur abhing, denn bei einer groben Textur war die Unterdrückung stärker, setzte früher ein und dauerte länger als bei einer feinen Textur. Dass die Stärke und die Länge der Unterdrückung von den abgebildeten Texturen abhängig waren, kann nur bedeuten, dass der Auslöser visueller Natur sein muss. Auch ließ sich nachweisen, dass das Sehsignal bereits unterdrückt ist, wenn es das Auge verlässt, d. h., die Netzhaut trägt also direkt zu einem stabilen Seheindruck bei, d. h., sie erkennt, dass die Welt vorbeirauscht und reguliert die Empfindlichkeit für kurze Zeit herunter. Die Forscher schließen daraus, dass das Bewegungssignal einen Unterschied bei der Dauer der sakkadischen Unterdrückung macht, d. h., das Bewegungssignal ist also noch relevant. Aus Tierexperimenten (Morris & Krekelberg, 2019) weiß man auch, dass manche Zellen im Scheitellappen der Großhirnrinde ihr rezeptives Feld bereits vor Beginn einer Sakkade an ihren neuen Ort im Raum verlagern, d. h., sie können gewissermaßen in die Zukunft schauen und die Neuronen antworten schon kurz vor dem Blicksprung auf Reize an dem Punkt, für den sie eigentlich erst nach der Blickrichtungsänderung empfindlich sein sollten. Wahrscheinlich trägt auch dieser Prozess entscheidend zum Phänomen der Raumstabilität bei.
Damit das Gehirn Stabilität in die Wahrnehmung der Umwelt bringt, müssen Neuronen daher in sensorischen Systemen mehrere Merkmale gleichzeitig erfassen, was dem Gehirn das Auslesen einzelner Merkmale erschwert. Das ist etwa der Fall, wenn Menschen sich in Bewegung befinden, in der das Gehirn ständig die Bewegung der Blickrichtung überwacht, um gegebenenfalls mit Bewegungen der Augen gegenzusteuern. Bei der Überwachung der Blickrichtung spielen etwa Neuronen im Sehsystem eine zentrale Rolle, die aktiv werden, wenn sich das Bild im Auge in eine bestimmte Richtung verschiebt, sodass ihre Signale als Auslöser gegensteuernder Augenbewegungen agieren können. Kühn & Gollisch (2019) haben jüngst solche Nervenzellen im Auge von Salamandern entdeckt und fanden heraus, dass die Zellen ihre Richtungspräferenz unter dieser Stimulation beibehalten, ihre Richtungscodierung jedoch aufgrund der gleichzeitigen Aktivierung durch Luminanzänderungen mehrdeutig wird. Diese Mehrdeutigkeiten können aufgelöst werden, indem man Populationen von richtungsselektiven Zellen mit unterschiedlichen Vorzugsrichtungen betrachtet, was zu einer synergistischen Bewegungsdekodierung führt, die mehr Informationen aus der Population liefert als die summierten Informationen der Einzelzellantworten. Um daher etwa Bewegungen von Helligkeitsänderungen zu unterscheiden, müssen die Nervenzellen im Verbund agieren, und leiten nicht nur Informationen zur wahrgenommenen Bewegung weiter, sondern liefern auch ein Korrektursignal an die Nachbarzellen, die dadurch jene Informationen erhalten, um Signale von Bewegungen und Helligkeitsänderungen getrennt zu verarbeiten. Also nicht die Signale einzelner Zellen zeigen an, in welche Richtung eine Bewegung stattgefunden hat, sondern dafür ist vielmehr die Differenz der Signale zweier Zellen entscheidend, d. h., dass Gruppen von Nervenzellen mehr Information über die beobachtete Bewegung übertragen, weil sie sich gegenseitig korrigieren. Daher ist auch schon auf dieser niederen Ebene der Informationsverarbeitung das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Diese Synergie zwischen Nervenzellen wird noch durch gleichzeitige, also synchrone Aktivität der Nervenzellen. erhöht, was zu einer genaueren Repräsentation der Bewegungsrichtung führt.
Die Aufmerksamkeitslenkung im Gehirn reagiert auf Reize nicht immer gleich, wobei bei hoher Aufmerksamkeit im Wahrnehmungsapparat die Reaktion schnell und intensiv erfolgt (Attentional Capture), während bei langsamer und gedämpfter Reaktion hingegen die Inhibition of Return besteht. Attentional Capture und Inhibition of Return erfolgen in schnellem Wechsel und zwar in einem Rhythmus mit etwa zehn Ausschlägen pro Sekunde. Bei der visuellen Wahrnehmung sind dafür die Mikrosakkaden verantwortlich, wobei diese Feinjustierungen auftreten, wenn man den Blick auf einen Gegenstand richtet und diese dabei ständig die Blickachse nachkorrigieren. Diese Mikrosakkaden folgen einem festen Rhythmus, der jeweils neu beginnt, wenn ein neuer Reiz ins Blickfeld kommt, und sie wechseln dabei jedesmal die Richtung. Forscher wiesen nun nach, dass Attentional Capture und Inhibition of Return direkt mit Mikrosakkaden einhergehen, sodass man nun vermutet, dass das Gehirn wichtige Reize ganz einfach über sakkadiale Korrekturen der Blickrichtung herausfiltert. Diese Befund legen nahe, dass der Mechanismus der Aufmerksamkeit auf einem sehr einfachen Prinzip beruht.
Sakkaden spielen auch beim Lesen einer Wortsprache eine wichtige Rolle, denn das erfordert Vorwärtssprünge des Auges während des Lesens zu einem folgenden Textabschnitt, wobei es neben Fixationen auch Regressionen (Regressionssakkaden) gibt. Sakkaden sind im Vergleich zu den Fixationen ein relativ kurzer visueller Prozess beim Lesen einer Schrift, wobei eine Informationsaufnahme während des Sakkadenprozesses nicht stattfindet, sondern nur während der Fixationen. Sakkaden besitzen je nach Lesekompetenz eine unterschiedliche Länge besitzen, wobei acht bis neun Buchstaben von einer Fixation zur nächsten in der Leseforschung als ein Normalwert angesehen werden. Die Sakkaden werden bei zunehmender Textschwierigkeit kürzer, während die Fixationen und Regressionen merklich zunehmen. Ungeübte, erwachsene Leser schaffen im Durchschnitt 90 bis 160 Wörter pro Minute (WpM), ein geübter Leser mit ähnlichen geistigen Fähigkeiten dagegen 500 WpM und er erfasst dabei noch mehr von dem Gelesenen. Möglich sind nach einem gewissen Training sogar rund 900 WpM. Beim Lesen von schwierigen Texten werden die sakkadischen Blickbewegungen im Vergleich zu leichteren Passagen verkürzt (Augenbewegungen, Aufmerksamkeit) (Stangl, 2009).
Literatur
Beinert, W. (2011). Sakkaden.
WWW: http://www.typolexikon.de/s/sakkaden.html (13-02-21)
Hafed, Ziad M. (2013). Alteration of Visual Perception prior to Microsaccades. Neuron, 77, 775-786.
Hafed, Ziad M., Chen, Chih-Yang & Tian, Xiaogang (2015). Vision, Perception, and Attention through the Lens of Microsaccades: Mechanisms and Implications. Frontiers in Systems Neuroscience, doi: 10.3389/fnsys.2015.00167.
Idrees, S., Baumann, M. P., Franke, F., Münch, T. A., & Hafed, Z. M. (2020). Perceptual saccadic suppression starts in the retina. Nature Communications, 11, doi:10.1038/s41467-020-15890-w.
Morris A. P. & Krekelberg B. (2019). A stable visual world in primate primary visual cortex. Current Biology, 29, 1471–1480.
Kühn, N. K. & Gollisch, T. (2019). Activity Correlations between Direction-Selective Retinal Ganglion Cells Synergistically Enhance Motion Decoding from Complex Visual Scenes. Neuron, doi:10.1016/j.neuron.2019.01.003.
Morris, A. P., Kubischik, M., Hoffmann, K.-P., Krekelberg, B. & Bremmer, F. (2012). Dynamics of eye-position signals in the dorsal visual system. Current Biology, 22, 173–179.
Stangl, W. (2009). Schnelllesen, Photoreading und andere Wundermethoden.
WWW: https://www.stangl-taller.at/ARBEITSBLAETTER/LERNTECHNIK/Schnelllesen.shtml (09-03-17)
Tian, Xiaoguang, Yoshida, Masatoshi & Hafed, Ziad M. (2016). A Microsaccadic Account of Attentional Capture and Inhibition of Return in Posner Cueing. Frontiers in Systems Neuroscience.