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Zwangsstörung

    Kurzdefinition: Zwangsstörungen zeichnen sich durch bestimmte sich wiederholende Gedankeninhalte oder Handlungen aus, die sich dem Betroffenen aufdrängen, obwohl diese als sinnlos erlebt werden. Zwangsstörungen können nicht vermieden oder unterdrückt werden, denn beim Versuch, sich den Gedanken oder Handlungen zu widersetzen, treten dem Zwangskranken intensive innere Spannungen und Angst auf.

    Zwangsstörungen (obsessive-compulsive disorder – OCD) sind meist mit großem Leidensdruck verbunden, denn die Betroffenen wenden oftmals mehrere Stunden am Tag dafür auf, ihren Zwängen nachzukommen, sodass sie einen normalen Tagesablauf nicht mehr bewältigen können und dadurch handlungsunfähig werden. Der englische Begriff Obsessive Compulsive Disorder beschreibt dabei das Krankheitsbild einer chronischen Zwangsstörung recht treffend, denn Obsession (Besessenheit) bezeichnet sich wiederholende Gedanken oder einen Drang, während Compulsions (Zwänge) sich wiederholende Handlungen bezeichnen, die aus obsessiven Gedanken resultieren.

    Aus Scham verheimlichen Betroffene lange ihre Erkrankung, denn es dauert durchschnittlich zehn bis fünfzehn Jahre, bis Betroffene mit einer Zwangsstörung professionelle Hilfe aufsuchen. Bei der Abgrenzung zwischen der Marotte eines Menschen und einer Zwangsstörung sind somit zwei Faktoren entscheidend: Der Leidensdruck und die Funktionsbeeinträchtigung. Beispiel: Wenn jemand sicher gehen möchte, dass seine Wohnungstür verriegelt ist, die Tür gründlich abschließt und anschließend noch einmal am Türknauf ruckelt, leidet er oder sie nicht unter diesem Verhalten. Schwierig wird es, wenn ein solches Kontrollritual jeden Morgen immer mehr Zeit verschlingt und intensiver ausfällt, sodass der Betroffene etwa auf dem Weg zur Arbeit umkehren muss, um zu überprüfen, ob tatsächlich alles ordentlich verschlossen ist. Dann lässt sich der Alltag mit der Zwangserkrankung kaum noch bewältigen, aber auch Beziehungen leiden, wenn eine solche Kontrollsucht immer mehr Raum einnimmt. Viele Menschen leben jahrelang mit solchen merkwürdigen Verhaltensweisen, aber in einer Lebenskrise jedoch bricht plötzlich die Zwangserkrankung aus, die in extremen Fällen von einer permanenten Anspannung, von Zittern, Schweißausbrüchen und Angstattacken begleitet werden kann. Zwar wissen die Betroffenen meist, dass ihr Handeln sinnlos oder übertrieben ist, dennoch können sie sich nicht gegen ihre innere Stimme wehren, die ihnen das Zwangsritual aufzwingt. Solche Verhaltensweisen helfen den Betroffenen auch zunächst, mit ihren eigenen Ängsten zurechtzukommen, denn Kontrollfreaks sind häufig auch Menschen, die in ihrem tiefsten Inneren verunsichert sind. Generell ist die Trennlinie zwischen normal und pathologisch bei Zwangsstörungen nicht scharf zu ziehen, jedoch entscheidend ist daher das subjektive Befinden und die Beeinträchtigung der Lebensführung durch den jeweiligen Zwang. Charakteristisch für pathologische Zwangsideen und -verhaltensweisen ist das imperatives Erleben von Ideen oder Denk- und Handlungsimpulsen und das wiederholte Auftreten immer gleicher Gedanken und Handlungsmuster. Die Zwänge werden von den meisten selber auch als sinnlos und zweckentfremdet empfunden, doch bei einem Versuch, sich den Zwängen zu widersetzen, kommt es zu einer großen inneren Anspannung und Angst, die letztlich nur das Ausführen der Zwänge lindern kann.

    Zwangsstörungen zählen zu den Neurosen und sind allgemein dadurch gekennzeichnet, dass die Betroffenen einen  inneren Drang verspüren, bestimmte Dinge immer wieder und zwanghaft tun oder denken zu müssen. Die Betroffenen sind sich der Sinnlosigkeit zwar bewusst und leiden irgendwann unter diesem Zwang, d. h., dass diese Störung deutliche Beeinträchtigungen im Alltagsleben mit sich bringt. Den Betroffenen ist die Unsinnigkeit ihres Verhaltens meist bewusst, wobei diese Gewissheit je nach Person unterschiedlich ausgeprägt sein und je nach Situation wechseln kann. Nur bei einem kleinen Teil der Betroffenen und bei Kindern besteht wenig oder gar keine Einsicht, dass ihr Verhalten übertrieben und unbegründet ist. Zwanghafte Vorstellungen oder Handlungen kennen zwar die meisten Menschen von sich selbst, etwa das Überprüfen, ob die Haustür wirklich geschlossen ist, obwohl man eigentlich weiß, dass man sie gerade erst abgeschlossen hat. Ähnlich wie Süchtige müssen viele Zwangserkrankte immer mehr die Dosis steigern, d. h., ihre Rituale werden zeitaufwändiger und intensiver, aber auch die anschließende Befriedigung und Erleichterung hält nur noch kurz an. Doch aus diesem Teufelskreis auszusteigen, fällt ihnen schwer, denn in gewisser Weise profitieren Zwangserkrankte auch von ihrem Leiden, da diese Rituale ihrem Leben Struktur geben und negative Emotionen wie Niedergeschlagenheit können sie dadurch erfolgreich verdrängen.

    Von einer Zwangserkrankung oder Zwangsstörung spricht man erst dann, wenn sich derartige Verhaltensweisen stereotyp wiederholen und ein solches Ausmaß annehmen, dass die Betroffenen daran leiden und ihr Alltag massiv beeinträchtigt ist. Von einer Zwangserkrankung sind nach Schätzungen zwei bis drei Prozent der Bevölkerung im Laufe ihres Lebens betroffen. Die Zwangserkrankung wird von der zwanghaften Persönlichkeitsstörung abgegrenzt, wobei etwa bis zu einem Viertel der Menschen mit Zwangserkrankungen auch eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung aufweisen. Man unterscheidet bei Zwangsstörungen zwischen

    • Zwangsgedanken
      • Ständig wiederkehrende Gedanken, z.B. dass dem Partner etwas Schlimmes zugestoßen ist, dass man etwas falsch gemacht hat.
      • Zwangsimpulse: Wiederkehrende Befehle und Ideen, etwas tun zu müssen, z.B. das eigene Kind zu töten. Zwangsimpulse sind sich zwanghaft aufdrängende, unwillkürliche Handlungsimpulse, bei denen die Betroffenen in der ständigen Angst leben, diese Handlung tatsächlich auszuführen, was aber in der Regel nicht geschieht. Die Angst vor der Ausführung ist bei aggressiven Zwangsimpulsen häufig sehr hoch. Zwangsimpulse können auch sexueller Natur sein, wie der Impuls zu unkontrollierten sexuellen Handlungen, oder gegen sich selbst gerichtete Aggressionen, wie etwa den Impuls, von einer Brücke oder einem Hochhaus springen zu müssen. Viele Betroffene entwickeln daher
      • Zwangsrituale, durch die der Impuls abreagiert werden kann, etwa indem sie sich um die eigene Achse drehen,  einige Schritte rückwärts gehen oder einen bestimmten Satz sprechen.
      • Grübelzwang: Endloses Grübeln über eine Sache, ohne eine Lösung zu finden.
    • Zwangshandlungen, Handlungen, die immer wieder ausgeführt werden müssen, z.B.
      • Reinlichkeitszwang: Händewaschen, bis die Haut wund wird.
      • Kontrollzwang: Zehnmal nachschauen, ob die Herdplatte auch wirklich ausgeschaltet ist.
      • Ordnungszwang: Alle Dinge werden symmetrisch angeordnet oder es wird versucht, in der Umgebung Ordnung oder Gleichgewicht herzustellen, indem Bücher, Kleidung oder Nahrungsmittel nach strengen Regeln aufgestellt werden.
      • Zählzwang (Arithmomanie): alle Dinge, die im Alltag auftauchen, werden gezählt und immer wieder überprüft.
      • Verbale Zwänge: Ausdrücke, Sätze oder Melodien werden immer wiederholt.
      • Berührzwang: der innere Druck, Dinge anfassen oder nicht anfassen zu müssen.

    Auch Zwangshandlungen werden oft in Form eines Zwangsrituals oder Zwangszeremoniells vorgenommen, das in bestimmter Form und Häufigkeit ausgeführt werden muss, etwa das Beten einer bestimmten Anzahl an Vaterunser. Zwangsgedanken und Zwangshandlungen treten oft gemeinsam auf.

    Zwangserkrankungen sind meist mit einer großen Belastung für Betroffene und deren Umfeld verbunden, vor allem in der Bewältigung des Alltags und bei Aktivitäten in Beruf und Freizeit. Erfolglose Versuche, sich von den Zwängen zu befreien, haben manchmal bei den Betroffenen auf Grund des Misserfolges ein Gefühl der Hilflosigkeit zur Folge. Im Übrigen sind nach jahrelanger Erkrankung die Zwänge manchmal so stark Teil des Lebens geworden, dass das Gefühl für die Sinnlosigkeit verloren gegangen ist. Die Betroffenen leiden an den Zwängen und an deren Folgen und schämen sich nicht selten für die Zwänge, sodass eine Verheimlichungstendenz besteht, weshalb man auch die Bezeichnung als die „heimliche Krankheit“ findet.

    Menschen mit einer Zwangsstörung quälen sich nach Auskunft von Expertinnen oft viele Jahre mit ihren Ängsten und den Symptomen, bevor sie sich helfen lassen, und zwar aus Scham. Doch ohne Therapie ist eine Besserung der Symptome nicht möglich. Ein erster Schritt ist daher der Weg aus der Isolation ist, wenn die KlientInnen ihr Problem erkennen und bereit sind, sich mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin von ihren Zwängen zu lösen. Dies wiederum verlangt von dem Erkrankten einiges ab, denn die zwang- und kontrollhaften Mechanismen einer solchen Erkrankung s nehmen ehr viel Zeit in Anspruch und behindern Alltagsaktivitäten, sodass die Betroffenen kaum in der Lage sind, ein normales Leben zu führen und aus dem Haus zu gehen. Auf der Site www.zwaenge.de der Deutschen Gesellschaft für Zwangserkrankungen finden Betroffene und Angehörige Informationen rund um die Erkrankung und ihre Behandlung. Wenn die Betroffenen es geschafft haben, sich ihrer Krankheit zu stellen, müssen sie erst einmal einen Therapeuten finden, der Erfahrungen bei der Diagnose und Behandlung von Zwangsstörungen hat. Zwangsstörungen lassen sich mittlerweile sehr gut therapieren, denn siebzig Prozent der Betroffenen kann mit einer Kombination von Medikamenten und Verhaltenstherapie sehr gut geholfen werde, und zwar in ambulanter und stationärer Behandlung, mit achtsamkeitsbasierter kognitiver Gruppentherapie, psychotherapeutischen Einzelgesprächen und in Selbsthilfegruppen. Vor allem die Gruppentherapie hat sich bewährt, in der maximal fünf bis sechs Teilnehmerinnen und Teilnehmer zusammenkommen, in denen mit Hilfe von Achtsamkeitsübungen die Betroffenen lernen, sich von störenden Gedankenschleifen und Zwangsgedanken zu distanzieren, mit ihren Emotionen besser umzugehen und ihren Körper bewusster wahrzunehmen.


    Theorien zur Erklärung von Zwangsstörungen

    In der Psychologie geht man davon aus, dass biologische, soziale und psychische Komponenten einen Einfluss haben können. Psychoanalytische Theorien begreifen Zwänge vorwiegend als Abwehrmaßnahmen gegen verbotene Impulse des Unbewussten, wobei oft  Zusammenhängen zwischen elterlicher Erziehung etwa im Rahmen der Sauberkeitserziehung und der Entstehung von Zwangssymptomen hergestellt werden. Es wird auch der Bezug auf Ähnlichkeiten zwischen zwanghaften und religiösen Ritualen gesucht, die nach Ansicht der Psychoanalyse dazu beitragen, einen positiven Umgang mit Gefühlen zu ermöglichen. Die Lerntheorie geht davon aus, dass die Beziehung zwischen Zwängen und Angst erlernt wurde, wobei die Entstehung von Zwangshandlungen als eine Form der Angstbewältigung betrachtet wird. Leidet jemand an der Angst, sich zu beschmutzen oder durch das Anfassen schmutziger Gegenstände eine ansteckende Krankheit zu bekommen, wird diese Angst dadurch bewältigt, indem man sich die Hände wäscht. Durch diese Handlung wird die Angst reduziert, und die Handlung wird allein deshalb wiederholt, weil durch diese das erneute Auftreten der Angst vermieden werden kann. Bei manchen Zwangsneurosen vermutet man auch biologische Ursachen, die durch einer Veränderung der Impulsübertragung in den Nervenbahnen des Gehirns zustande kommen. Eine Hypothese deutet etwa auf Veränderungen im Cortico-Stratio-Thalamo-Corticalen Netzwerk im Gehirn hin, wobei dieses Netzwerk die Verbindung zwischen Hirnrinde und subcortikale Strukturen wie Basalganglien beschreibt, das an verschiedenen motorischen, kognitiven und emotionalen Prozessen beteiligt ist. Dazu gehören etwa die Entscheidungsfindung, zielgerichtete Handlungen und die Impulskontrolle. Studien weisen darauf hin, dass dieses Netzwerk bei von Zwangsstörungen Betroffenen hyperaktiv ist, was eben zu typischen Symptomen einer Zwangsstörung führt, wie Impulsivität und das Nichtunterlassenkönnen von Handlungen. Dabei sind Glutamat, Serotonin und Dopamin einige der Neurotransmitter in diesem Netzwerk, sodass man als Ursache ein Ungleichgewicht dieser Neurotransmitter vermutet. Möglicherweise wird auch durch Vererbung von Merkmalen wie Ängstlichkeit oder Unsicherheit eine Grundlage für eine spätere Zwangserkrankung gebildet. Ein solches vererbbares Merkmal ist etwa die Vulnerabilität, auf das Erleben bestimmter belastender Lebensereignisse mit der Ausbildung eines Zwanges zu reagieren.

    1. Definition
    „FREUDSCHER Begr. für die vor allem durch Zwangssymptome charakterisierte Form der Psychoneurose. Die Z. ist aber außer durch Zwangssymptome noch durch eine Reihe weiterer Symptome gekennzeichnet, von denen die wichtigsten sind: Abnorm gesteigerte Schuldgefühle, gesteigerte Gewissenhaftigkeit, gesteigerte Gefühlsambivalenz, schwere Entschlußunfähigkeit [sic!]. Der dynamische Faktor im Hintergrund dieser Symptome besteht in einer unvollständigen Verdrängung starker Aggressionen“ (Dorsch 1976, S. 681).

    Anmerkung: Zwangsstörungen wurden von Sigmund Freud als Zwangsneurose beschrieben („Der kleine Hans“). Er ging davon aus, dass die Zwangsneurose hauptsächlich aus einer Störung der analen Entwicklungsphase resultiert, doch heute weiß man, dass neben diesen klassischen psychologischen Entwicklungs- und Verhaltensstörungen genetische und komplexe neurobiologische Faktoren bei der Krankheitsentstehung eine zentrale Rolle spielen.

    2. Definition
    Die Zwangsneurose tritt hervor durch starke Abwehrhaltungen bzw. -handlungen, sowie durch eine geistig geschwächte, unbewegliche und wenig selbstbewusste Persönlichkeit. Autoren wie H. Quint gehen davon aus, dass die Zwangsphänomene Folge eines Zwistes sind, der in der frühkindlichen Phase auftritt und die psychischen Kräfte hemmt. Die auftretenden Symptome eines Erkrankten zeugen von einer inneren Zerrissenheit zwischen dem Gewissen auf der einen Seite („Über-Ich“) und den Trieben auf der anderen Seite („Es“) (vgl. o.A. 1974, S. 778).

    3. Definition
    „Die Z. […] gehört zur Psychoneurose-Gruppe mit entsprechenden Zwangsbefürchtungen […] in frühester Kindheit nach sexueller Verführung entstanden; sie ist deshalb Kernneurose im Sinne von J. H. Schultz.“ Eine Behandlung von Patienten mit Zwangsneurosen erweist sich als äußerst schwierig, da die Krankheit nur schwer beeinflussbar ist und sich die Erkrankten nicht von der Starrheit ihrer Zwänge lösen können. „Die Z. tritt besonders häufig bei schizoiden Jugendlichen in der Pubertät auf“ (vgl. Kurth zit. nach Horney, Ruppert & Schultze 1971, S. 1438).

    4. Definition
    Zwangsneurotiker können im frühen Kindesalter ihr „Ich“ nicht ausreichend entwickeln, da es durch das „Über-Ich“ und „Es“ unterdrückt wird. Folge davon ist ein gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit, welches die Betroffenen dazu treibt, schwierigen und unangenehmen Situationen durch Ersatzhandlungen schon im Voraus aus dem Weg zu gehen, um eigene Unsicherheiten und Ängste zu verbergen. Daher führen Zwangsneurotiker die Zwangshandlungen quasi als Vorsorge aus, obwohl sie sich deren Unsinnigkeit bewusst sind (vgl. Benedetti & Fenichel zit. nach Köck & Ott 1994, S. 814).

    5. Definition
    Zwangsneurosen sind Repräsentationen nicht erfolgreich verdrängter Wünsche oder aber auch Abwehrhandlungen gegen ebendiese Wünsche. Somit ist erkennbar, dass Zwangsneurosen oft zwei Seiten haben, wobei die Abwehr-Seite oftmals überwiegt. Die Zwangsstörungen selbst äußern sich beispielsweise im Überprüfen bestimmter Dinge, wie etwa, ob die Tür abgesperrt wurde oder aber auch im Zählen bestimmter Dinge (vgl. Toman zit. nach Arnold, Eysenck & Meili 1972, S. 808).


    Therapie bei Zwangsstörungen

    Menschen mit Zwangsstörungen weisen oft mehr Sozialangst und Unsicherheit auf, als durch ihr pseudo-selbstsicheres Verhalten zu vermuten wäre, denn ohne das Mittel der Zwänge fehlt oft die soziale Durchsetzungsfähigkeit. Die Erkenntnis der systemisch-interaktionellen Funktionalität von Zwängen bedeutet daher, dass neben der Technik der Reizkonfrontation mit Reaktionsverhinderung auf der partnerschaftlichen, familiären, sozialen und beruflichen Ebene ebenfalls interveniert werden muss. Das Hauptziel bei Zwangsstörungen ist nicht einfach nur die Symptombeseitigung, sondern der Aufbau von sozial adäquatem und effektivem Alternativverhalten (Morschitzky, 2009).

    Die meisten Zwangsstörungen lassen sich  verhaltenstherapeutisch behandeln, etwa mit Habituationstraining oder der klassischen Konfrontationsmethode. Allerdings setzt die Behandlung von Zwangsstörungen eine gute Planung und ein gezieltes Wissen über das Störungsbild voraus.

    • Beim Habituationstraining lernen die Betroffenen, sich an die Zwangsgedanken zu gewöhnen, bis diese schließlich ihren Schrecken verlieren.
    • In der Konfrontationsmethode lernen Betroffene, Situationen auch ohne Zwangshandlungen auszuhalten. der Klient wird mit Angstauslösern konfrontiert, ohne die Möglichkeit zur Flucht zu haben oder den Angstauslöser abzuwehren = Reizüberflutung mit gleichzeitiger Reaktionsblockade -> erhöhte Erregung, die nach bestimmter Zeit abnimmt. Wird nur bei massiven Angstproblemen angewandt, die auf schonendere Methoden nicht ansprechen. Durch abrupte Konfrontation mit der Angst kommt es zu einer Abreaktion, zu emotionaler Erschöpfung, daneben aber auch zum ersten Mal zu Angstwahrnehmung, die früher nicht möglich war, weil der Klient immer sofort Vermeidungsreaktion durchführte. Diese Methode ist nicht bei Kindern anzuwenden, weil sie dadurch an ihre emotionale Belastungsgrenze geführt werden.
    • Bei manchen Zwangsstörungen ist auch eine medikamentösen Behandlung mit Antidepressiva angebracht.

    Bei Menschen mit einer ausgeprägten Zwangsstörung sind im Alltag häufig auch ihre sozialen Kontakte in vielfältiger Weise betroffen, sodass neben der Behandlung der Zwangssymptomatik auch ein soziales Adaptationstraining als Ergänzung wichtig sein können.

    Abgrenzung: Zwänge sind häufig Bestandteil der Symptomatik bei affektiven oder schizophrenen Psychosen, beim Tourette-Syndrom sind sie mit Tics verbunden, doch nur wenn Zwänge als Symptom deutlich im Vordergrund stehen, spricht man von der Zwangsstörung. Im Gegensatz zur zwanghaften Persönlichkeit werden die Zwänge von Zwangskranken als irrational oder ich-fremd erlebt. Der Zwangskranke kann sich kaum gegen die Ausübung der Zwänge wehren, ein Mensch mit einer zwanghaften Persönlichkeit empfindet seine Zwangshandlungen als normal.

    Zu stark aktivierte Amygdala als Ursache von Zwangsstörungen?

    Ullrich et al. (2017) haben an einem Mausmodell nachgewiesen, dass ein Fehlen des Proteins SPRED2 ein übersteigertes Sauberkeitsverhalten auslösen kann. Das ist deshalb bedeutsam, weil für Zwangsstörungen bisher noch kein klarer biogener Auslöser identifiziert werden konnte. Bislang deute alles darauf hin, dass es immer mehrere Faktoren sind, die zu einer Zwangsstörung führen, doch nun zeigte sich, dass wenn ein molekularer Signalweg in der Gehirnregion Amygdala zu stark aktiviert ist, dies zu Zwangsstörungen führen kann. Durch die nun entdeckte Verbindung von Zwangserkrankungen mit der Ras/ERK-MAP-Kinase-Signalkaskade ergeben sich neue Ansatzpunkte für Therapiemöglichkeiten, denn es gibt Medikamente, die diese Kaskade hemmen und die teils zur Behandlung des Menschen zugelassen sind.


    Kurioses zu Zwangsstörungen

    In Personalabteilungen und unter Arbeitspsychologen ist es kein Geheimnis, dass man gerne zwanghafte Menschen einstellt, denn vor allem Angstgestörte sind besonders für die Bereiche Finanzen, Controlling und Compliance geeignet. Man weiß in der Psychologie, dass bestimmte psychische Auffälligkeiten für bestimmte Aufgaben prädestinieren, denn so sorgt etwa im Rechnungswesen die Pedanterie eines Angstgestörten dafür, dass die Zahlen stimmen.


    Literatur

    Arnold, W., Eysenck, H.-J. & Meili, R. (1972). Lexikon der Psychologie (S. 808). Freiburg im Preisgau: Verlag Herder KG.
    Dorsch, F. (1976). Psychologisches Wörterbuch. Bern: Verlag Hans-Huber.
    Horney, W., Ruppert, J.-P. & Schultze, W. (1971). Pädagogisches Lexikon (S.1438). Gütersloh, Berlin, München: Bertelsmann Fachverlag.
    Köck, P. & Ott, H. (1994). Wörterbuch für Erziehung und Unterricht (S.814). Donauwörth: Verlag Ludwig Auer.
    Morschitzky, H. (2009). Angststörungen. Diagnostik, Konzepte, Therapie, Selbsthilfe. Wien: Springer.
    Ohne Autor (1974). Brockhaus Enzyklopädie. Wiesbaden: F.A. Brockhaus.
    Ullrich, M., Weber, M., Post, A M., Popp,S., Grein,J., Zechner, M., Guerrero Gonzalez, H., Kreis, A., Schmitt,A G.,Uceyler, N., Lesch, K-P. & Schuh,K. (2017). OCD-like behavior is caused by dysfunction of thalamo-amygdala circuits and upregulated TrkB/ERK-MAPK signaling as a result of SPRED2 deficiency. Mol Psychiatry, doi: 10.1038/mp.2016.232.
    http://flexikon.doccheck.com/de/Zwangsst%C3%B6rung (15-11-21)


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    2 Gedanken zu „Zwangsstörung“

    1. Fragen, ob eine Zwangsstörung vorliegt

      Die Diagnose für eine Zwangsstörung kann zwar nur ein Therapeut stellen, doch einen Anhaltspunkt können diese Fragen geben:
      Müssen Sie bestimmte Dinge oft mehrfach kontrollieren?
      Waschen oder putzen Sie sehr häufig und lange?
      Drängen sich Ihnen oft Gedanken auf, die Sie trotz aller Anstrengung nicht loswerden?
      Empfinden Sie Ihre Handlungen selbst oft als sinnlos oder halten Sie sie für übertrieben?

      Für eine Zwangsstörung spricht, wenn Betroffene es selbst als quälend empfinden, etwas immer wieder tun zu müssen, und beim Versuch, es bleiben zu lassen, treten Angst und Anspannung auf. Zwanghafte Handlungen oder Gedanken halten zudem für mehr als zwei Wochen an, bestimmen täglich mehrere Stunden das Leben und beinträchtigen den Alltag erheblich.

    2. Kontrollfreak

      Kontrollierende Menschen, oft als bezeichnet, folgen gern Routinen, bevorzugen Berechenbares und Vorhersehbares, sie halten wenig von Überraschungen, denn dann fühlen sie sich gestresst oder sind verärgert, wenn das Leben eine unerwartete Wendung nimmt. Ein kontrollierender Mensch verspürt oft Angst und ein Gefühl der Über-Verantwortung, d. h., er oder sie hat Angst davor, Fehler zu machen, und gibt sich die Schuld für Ereignisse, für die sie oder er gar nicht verantwortlich ist. Wenn man alles und jeden kontrollieren will, dann stößt man andere Menschen häufig vor den Kopf, denn damit kann man sich sehr schnell unbeliebt machen, besonders in Beziehungen ist ein solches Verhalten toxisch. Wenn man alles selbst in die Hand nimmt, denken andere oft, dass man sie nicht braucht.

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