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Stereotyp

    ist ein bestimmtes verallgemeinerndes Urteilsmuster, mit man meist soziale Informationen (Eigenschaften, Erwartungen) klassifizieren und automatisch mit den dazu passend erscheinenden Informationen ergänzen kann. Sehr beliebt sind in diesem Zusammenhang vereinfachende Typologien, denn wer sich für den Einsatz von Typologien entscheidet, kann sich der Illusion hingeben, dass er die Komplexität der Welt durchschaut hat. Die Sozialpsychologie versteht unter einem Stereotyp ein übervereinfachtes Bild von Personen, Institutionen oder Ereignissen, das in seinen wesentlichen Merkmalen von einer großen Zahl von Personen geteilt wird.

    Stereotype sind demnach Urteilssimplifizierungen, bei denen sich der Wahrnehmende bzw. Erkennende eines quasi-ökonomischen Sparsamkeitsprinzips bedient. Erleichtert wird die Orientierung, indem mit Hilfe einer Selektion von wenigen Merkmalen aus allen vorhandenen Merkmalen die komplexe Wahrnehmungssituation verarbeitet wird. Stereotype sind somit Einstellungen, die die Aufmerksamkeit auf bestimmte Klassen von Informationen richten und von anderen wegrichten. Eine Stereotypisierung bringt zwei Effekte hervor, eine Dichotomisierung und eine Generalisierung, d.h.,  der Unterschied zwischen den Kategorien (Gruppe, Organisation, Nation) wird größer gemacht, der Unterschied innerhalb der Kategorie kleiner. Das Stereotypisieren ist somit durch drei Kennzeichen zu identifizieren: das Feststellen einer passenden Personenkategorie, die Einigkeit über das Zuordnen einer Reihe von Persönlichkeitseigenschaften zu dieser Personenkategorie, und das Zuweisen dieser Eigenschaften an jede Person, die dieser  betreffenden Kategorie angehört. Stereotypisierungen sind letztlich Wirklichkeitskonstruktionen, die der Komplexitätsreduktion dienen und Identität vermittels der Konstruktion von Alterität stabilisieren.

    Stereotype gehen häufig, aber nicht notwendigerweise, mit Vorurteilen einher, d. h., mit positiven oder negativen Prädispositionen gegenüber den Mitgliedern der jeweiligen Kategorie. Als textuelle, bildhafte oder symbolische Umsetzung des Wahrnehmungsmusters dient das Stereotyp nämlich der diskursiven Konstruktion kollektiver Identität und gehört damit in jenen Bereich sozialer Prozesse, die es aufzudecken gilt, will man die Funktion von Identität und Alterität besser verstehen (vgl. Ahbe, 2006). Nach Tajfel (1981) erfüllen sie als soziale geteilte Konstrukte folgende Funktionen: Positive Differenzierung, kausale Erklärung und soziale Rechtfertigung. Sterotypisierungen sind Teil der sozialen Identität, denn Menschen definieren sich nicht ausschließlich als Individuen, sondern auch als Mitglieder von Gruppen.

    Wie man aus repräsentativen Studien weiß, stecken hinter Stereotypen bzw. Vorurteilen nur selten negative persönliche Erfahrungen hinter dem negativen Bild, das man sich von einer Personengruppe macht, sondern es handelt sich bei der Ablehnung einer bestimmten Personengruppe um das Syndrom einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Wer etwa Vorurteile gegenüber Muslimen hat, pflegt mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch Vorbehalte gegenüber Juden, Schwarzen, Einwanderern, Frauen, Homosexuellen, Obdachlosen, Behinderten und Langzeitarbeitslosen. Es sind in der Regel also nicht spezielle Besonderheiten wie etwa das Kopftuch, die von den Menschen abgelehnt werden, sondern die fremde Gruppe an sich, solange sie sich von der eigenen abgrenzen lässt.

    Man vermutet, dass die Grundlage für die Neigung zum Schubladendenken angeboren ist, denn Menschen müssen, um in ihrer komplizierten Umwelt zurechtzukommen, alles um sich herum inklusive ihrer Mitmenschen in Kategorien einordnen, denen automatisch und unbewusst typische Eigenschaften zugeschrieben werden. Es entsteht so ein Stereotyp, wobei man in vielen Situationen jedoch auch gezwungen ist, sich selbst einer Kategorie zuzuordnen, d.h., man wird vom Individuum zum Gruppenmitglied, und in diesem Augenblicken beginnen zwei Mechanismen zu greifen: die Gruppendynamik und eine Veränderung des eigenen Selbstkonzeptes. Im Alltag reicht es schon aus, eine Nationalität zu erwähnen, und schon sind für das Gehirn „die Türken“ eine ganz homogene Gruppe, die sich deutlich von „den Deutschen“ unterscheidet. Hinzu kommt, dass man, sobald man sich selber einer Gruppe zuordnet, diese Gruppe automatisch zur Konstruktion des Selbstbildes herangezogen wird, wobei es für ein positives Selbstbild wichtig ist, die eigene Gruppe so gut wie möglich dastehen zu lassen. Das geschieht entweder dadurch, indem man seine eigene Gruppe aufwertet oder, indem man alle anderen Gruppen abwertet, ihnen unangenehmen Eigenschaften zuschreibt oder Gutes abspricht. Man vermutet, dass die Angst dahinter steckt, dass die Stellung der eigenen Gruppe in Frage gestellt wird, dass Ressourcen oder auch kulturelle Werte verloren gehen könnten, dass eine potentielle Überlegenheit anderer das eigene Selbstkonzept gefährdet. Einmal entwickelt sind Vorurteile nur sehr schwer abzubauen, vor allem, wenn sie gesellschaftlich toleriert werden (vgl. Lehnen-Beyel, 2011).

    Feindbilder sind Stereotype besonderer Qualität, denn sie sind solche Stereotype, die die Relation des Eigenen und Vertrauten zum Anderen bzw. Fremden als eine Bedrohungs-Relation konstruieren. Das oder die Anderen werden nicht mehr nur in ihrer Alterität konstruiert, also als eine Andersheit, deren Funktion vor allem in der Profilierung des Eigenen besteht, nichtsdestotrotz aber die parallele Existenz des Eigenen nicht in Frage stellt, sondern hier wird die Alteritätskonstruktion noch weiter zugespitzt zum Feind. Feindbilder dienen dazu, der Alteritätsrelation solche Qualitäten wie Unvermittelbarkeit und Bedrohung zu unterstellen. Innerhalb einer solchen durch Feindschaft geprägten Relation kann das Eigene langfristig nur durch Atiflösung oder Vernichtung des feindlichen Anderen und kurzfristig nur durch seine Eindämmung und Abschreckung bewahrt werden. Feindbilder sind Stereotype von hoher appellativer, manipulativer und mobilisierender Wirkung. Basis für diese Funktion ist oft – nicht immer – die inhaltliche Vagheit und kognitive Widersprüchlichkeit von Feindbildkonstruktionen, die sie für taktische Neuarrangements offen hält (vgl. Ahbe, 2006).

    Kollektive Selbst- und Fremdwahrnehmungen sind wie alles andere auch historisch und kulturell determiniert, denn wer in einer Kultur als anders, seltsam oder bedrohlich wahrgenommen wird, hängt auch von der jeweiligen eigenen kulturellen Prägung ab, die aber einem permanenten Wandel unterliegt.

    Vorurteile und negative Einstellungen entstehen sehr schnell, denn Untersuchungen zeigen, dass etwa schon ein kurzer Aufenthalt in einem derangierten Stadtviertel ausreicht, um die soziale Einstellung in Richtung Misstrauen zu ändern. Studenten der Newcastle University mussten in zwei unterschiedlichen Gebieten der Stadt Fragebögen in Briefkästen an vorgegebenen Adressen werfen. Danach wurden sie gebeten, die Gegend, die sie gerade erlebt hatten, zu bewerten. Tatsächlich reichte die knappe Dreiviertelstunde Fußmarsch durch die jeweilige Gegend, um die Gefühlslage der StudentInnen in den Kategorien „social trust“ und „paranoia“ an das Level der Bewohner anzupassen. Welche äußeren Faktoren die Psyche so drastisch beeinflussen, das ist aus vielen früheren Arbeiten zum Thema bekannt – und es erfüllt alle Klischees: Herumliegender Müll, überquellende und bekritzelte Briefkästen, beschmierte Wände, Glasscherben, trotz Verbotsschildern an einen Zaun gekettete Fahrräder: das bringt Menschen dazu, sich unsicher zu fühlen. Das bewirkt aber auch, dass man selber weniger Rücksicht nimmt und eher Papier auf die Straße wirft, andererseits neigt man eher zu Law-and-order-Einstellungen und Vorurteilen.


    Image ist eine maßgeschneiderte Zwangsjacke.
    Robert Lembke

    1. Definition
    ste|reo|typ <Adj.>: feststehend, unveränderlich, ständig [wiederkehrend]: ein schlechter Roman mit stereotypen Phrasen, Figuren. sinnv.: abgedroschen, abgeleiert, erstarrt [fest]stehend, ↑ formelhaft, phrasenhaft (Duden, 1985, S. 612).

    2. Definition
    „Neben den Reflexen tritt ab der viertel Lebenswoche eine andere typische Form von Bewegungen auf, die THIELEN (1979) als Stereotypien bezeichnet hat: Wiederholt und nahezu identisch ausgeführte Beugungen, Streckungen oder Drehungen von Teilen des Körpers. Sie treten zuerst an den Beinen und Füßen auf (Strampeln). Etwas später folgen stereotype Bewegungen von Armen und Händen. Diese Stereotypien dürften Vorläufer von reiferen Formen motorischen Verhaltens sein“ (Schenk-Danzinger, 2006, S. 91).

    3. Definition
    „…bewusst und definierte ein Stereotyp als <ein übervereinfachtes geistiges Bild von (normalerweise) einer Kategorie von Personen, Institutionen oder Ereignissen, das in seinem wesentlichen Merkmalen oder Ereignissen, das in seinem wesentlichen Merkmalen von einer großen Zahl von Personen geteilt wird. … Stereotype gehen häufig, aber nicht notwendigerweise, mit Vorurteilen einher, d. h. mit positiven oder negativen Präpositionen gegenüber Mitgliedern der jeweiligen Kategorie>“ (Stroebe, 1981, S. 39).

    4. Definition
    Der Begriff „Stereotypie“ entstammt der Buchdruckersprache und wurde 1798 zum erstenmal erwähnt (Ashmore & Del Boca, 1981). „Stereotyp“ war ursprünglich die Bezeichnung für eine Druckmaschine, in welcher Schrifttypen (Stereotype) verformt wurden, um sich der Druckmaschine anzupassen. 1922 übernahm Walter Lippmann (1961) den Begriff „Stereotyp“ zur Beschreibung und Charakterisierung von Alltagsbeobachtungen im Zusammenhang mit menschlichen Verhaltensweisen. Er führte den Begriff „Stereotyp“ im sozialen und politischen Kontext ein. Stereotypie wurde von ihm als ein hauptsächlich kulturell bestimmtes, gedankliches Bild definiert, das mit der Wirkung eines Filters objektiv wahrgenommene Situation subjektiv der sozialen Umwelt und somit als kognitive Schemata, die der effektiven Informationsverarbeitung in einer komplexen Umwelt dienen (vgl. Frey, 1995, S. 56).

    5. Definition
    „Das Stereotyp soll weiters eine wertende Vorstellung von Menschen oder Menschengruppen(5) sein, das Vorurteil ein wertend-moralisches und darüber hinaus noch voreiliges und unzuverlässiges Urteil über Personen oder Kollektive darstellen.“ „Sie [die Stereotype] sind in erster Linie Images in einer Kategorie, die vom Individuum gebildet wird, um sein Liebes- oder Haßvorurteil zu rechtfertigen“ (Guilarte, 2007, S. 5).


    Allport-Skala

    Gordon Allport entwickelte 1954 eine Skala zur Erfassung von Vorurteilen in einer Gesellschaft, bei der er fünf eskalierende Stufen unterschied:

    • Abschätzige Bemerkung (Verleumdung): Die Vorurteile werden gegenüber anderen (Gleichgesinnten aber auch Fremden) uneingeschränkt geäußert.
    • Vermeidung: Der Kontakt mit der abgelehnten Gruppe wird vermieden, auch wenn dafür Unannehmlichkeiten in Kauf genommen werden müssen.
    • Diskriminierung: Es gibt Bestrebungen Mitglieder der abgelehnten Gruppe von jeglichen öffentlichen Einrichtungen (z.B. Erziehungs- und Erholungseinrichtungen, soziale Einrichtungen) fernzuhalten und ihnen Zugänge zu gewissen Privilegien und Rechten, aber auch Berufen und Wohngegenden zu verwehren. Die institutionalisierte Form der Rassendiskriminierung ist die Rassentrennung.
    • Körperliche Gewaltanwendung: Mit steigender Intensität der Emotionen steigt auch die Gewaltbereitschaft gegen die abgelehnte Gruppe (z.B. Zerstörung von Eigentum, körperliche Attacken, etc.)
    • Vernichtung: z.B. Massenmorde und Völkermord

    Literatur

    Ahbe, Th. (2006). Der Kleinbürger als Froschkönig.
    WWW: http://www.thomas-ahbe.de/Kleinbuergerstereotype.pdf (09-11-21)
    Allport, Gordon W. (1954). The Nature of Prejudice. Perseus Books.
    Der Duden, (1985). Das Bedeutungswörterbuch. Wortbildung und Wortschatz. Mannheim: Mannheimer Morgen Großdruckerei und Verlag GmbH.
    Frey, C. (1995). Die intrapersonelle Balance-Theorie im Führungsverhalten. Voraussetzung für die Entwicklung von Führungspersönlichkeiten. Wiesbaden: Deutscher Universitäts Verlag.
    Guilarte, Pawel, (2007). Diplomarbeit. Das „Polen-Stereotyp“. Eine qualitative Untersuchung an ausländischen Studierenden in Krakau. Universität Linz: Institut für Soziologie, Abteilung für Politik- und Entwicklungsforschung.
    Lehnen-Beyel, Ilka (2011). Angst schürt Islamophobie und Fremdenfeindlichkeit, Die Welt vom 19. 2. 2011.
    Schenk-Danzinger, Lotte (2006). Entwicklungspsychologie. Wien: G & G Verlagsgesellschaft mbH.
    Stroebe, W. (1981). Gruppenkonflikt und Vorurteil. Entstehung und Funktion sozialer Stereotypen. Gießen. Bern Stuttgart Wien: Verlag Hans Huber.
    Tajfel, H. (1981). Menschliche Gruppen und Sozialkategorien. Cambridge: University Press.


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