Unter einem Bindungsverhaltenssystem versteht man in der Entwicklungspsychologie wechselseitige Beziehungen, bei denen sowohl Mutter als auch Kind die Verhaltensmuster des anderen an Signalreizen wie Aussehen oder Verhalten erkennen. Daraus entsteht auch ein inneres Arbeitsmodell, das eine mentale Repräsentation der Welt mit allen Beziehungen schafft. Dabei entwickeln sich besonders im Alter von 9 – 18 Monaten komplexe Regelungssysteme, die die Nähe der Pflegeperson sicherstellen sollen.
Ein Kind kommt mit Verhaltensweisen auf die Welt, die es ihm vom Moment der Geburt an ermöglichen, Beziehungen zu anderen Menschen einzugehen und aufrecht zu erhalten. Zu diesen Verhaltensweisen gehören direkt nach der Geburt vor allem das Weinen und das Anblicken, aber bald ist das Baby auch in der Lage zu lächeln (wenn auch nur reflexiv und nicht sozial), zu brabbeln, sich anzuklammern, und später kann es auch durch Robben, Krabbeln und Laufen Kontakt herstellen. Die Entwicklung dieser Verhaltensweisen ist im Kleinkind angelegt, und Erwachsene reagieren nahezu automatisch auf solche Kontaktwünsche, d.h., das Kleinkind ist genetisch dafür ausgerüstet, eine Beziehung zu Menschen herzustellen und ihnen ohne Worte seine Bedürfnisse mitzuteilen, um im Laufe des ersten Lebensjahres die lebenswichtige Bindung zu ihnen aufzubauen. Bindung entsteht in der regelmäßigen Begegnung von Eltern und Kind im Alltag, also während das Kleinkind versorgt, gepflegt und beschützt wird, findet auch ein gefühlsmäßiger und spielerischer Austausch zwischen ihm und seinen Eltern statt, der ähnlich wie intensive Gespräche zwischen Erwachsenen dazu führt, dass Kleinkind und Eltern sich immer besser kennenlernen. Die so entstehende persönliche Bindung des Kleinkinds an seine Eltern ist nicht einfach übertragbar auf andere Personen, d.h., das Baby bindet sich genau an jene Menschen, die seinen körperlichen, aber vor allem seinen gefühlsmäßigen Bedürfnissen zuverlässig und regelmäßig nachkommen. Zwar kann das Kleinkind durchaus zu mehr als einem Menschen eine Bindung aufbauen und auch zu Menschen, die nicht seine leiblichen Eltern sind, aber in den meisten Fällen sind es aber natürlich zunächst einmal seine beiden Elternteile, an die es Bindungen entwickelt, und darüber hinaus vielleicht noch an ein oder zwei weitere Menschen wie Geschwister oder Großeltern, die sich ihm regelmäßig zuwenden. Diese Bindungen stehen in einer Hierarchie, d.h., das Kleinkind bevorzugt möglicherweise eine bestimmte Person, wenn es Trost braucht, und eine andere, wenn es spielen möchte. Die aus dem intensiven Zusammensein und auch aus der Abhängigkeit des Kleinkinds entstehende Bindung bleibt normalerweise lange erhalten, manchmal ein Leben lang, und ist mit so intensiven Gefühlen verbunden.
Eine Bindung zwischen dem Kleinkind und den Menschen, die es versorgen, verbunden mit den ersten Gefühlen, entwickelt sich unabhängig davon, ob diese Menschen „gut“ oder „schlecht“ zu dem Kleinkind sind, es lieben oder es vernachlässigen. Das Kleinkind kommt mit der Anlage und entsprechenden Verhaltensweisen zum Bindungsaufbau zur Welt und kann sich nicht aussuchen, ob und an wen es sich binden möchte. Obwohl jedes Kleinkind daher zwangsläufig eine Bindung an eine Bezugspersonen entwickelt, unterscheiden sich die Qualitäten dieser Bindungen. Ein Kleinkind, das von seinen Eltern eher vernachlässigt wird, wird demnach eine andere Art von Bindung zu ihnen entwickeln, als eines, das zuverlässig und liebevoll versorgt wird. Es sind also die ersten Erfahrungen, die das Kleinkind im Laufe seines ersten Jahres mit seinen Bezugspersonen gemacht hat, die die Qualität seiner Bindung an sie beeinflussen. Eine solche Bindungsqualität lässt sich gegen Ende des ersten Lebensjahres des Kleinkind feststellen, denn zu diesem Zeitpunkt unterscheiden sich Kinder mit verschiedenen Bindungsqualitäten untereinander bereits in Ver- halten und Gefühlsäußerung.
Quelle
Lerch, Melanie (o.J.). Die frühe Eltern-Kind-Beziehung. Bindungsaufbau im alltäglichen Austausch.
WWW: http://www.kleinkindpaedagogik.knetfeder.de (12-01-03)