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Bindung

    Das erste Glück eines Kindes ist das Bewusstsein, geliebt zu werden.
    Don Bosco

    Wenn du zur Welt kommst und geliebt wirst und wenn du geliebt wirst, wenn du sie wieder verlässt, dann ist alles in Ordnung. Mit allem, was dir dazwischen passiert, kannst du dann fertig werden.
    Michael Jackson

    Bindung (attachment) ist das emotionale Band zwischen einem sehr kleinen Kind und seiner Bezugsperson, wobei das Kind  die Nähe zur Bezugsperson sucht und  auf Trennung mit Kummer und Schmerz reagiert. Man nahm früher an, dass mit etwa sechs Monaten  die Bindung an eine primäre Bezugsperson beginnt. Der britische Arzt und Psychoanalytiker John Bowlby war der erste, der die kindliche Entwicklung konsequent aus evolutionärer, darwinistischer Sicht betrachtete. Dass Darwin so kränklich war, erklärte Bowlby durch den frühen Verlust seiner Mutter. Bowlby selbst klagte, dass seine Mutter ihn jeden Tag nur eine Stunde zum Tee gesehen und mit sechs Jahren ins Internat gesteckt hatte.

    Bindung beginnt aber letztlich bei der Geburt und ist dann gegeben, wenn sich ein Kind sicher und beschützt fühlt, wenn es die Umwelt erkundet, selbstständig wird und sich in psychologisch Sinn positiv entwickelt. Eine sichere Bindung fördert nach den Ergebnissen bisheriger Forschung die soziale Kompetenz, das Selbstvertrauen und auch die Selbstregulation, also alles Faktoren, die auch einen Schutz vor aggressivem Verhalten darstellen. Die emotionale Bindung eines Kleinkinds zu einer Bezugsperson bzw. zu seinen Eltern hat also eine hohe Bedeutung für dessen weitere Entwicklung, denn diese ist die beste Voraussetzung für ein Kind, auch im Jugend- oder Erwachsenenalter Vertrauen zu anderen Menschen aufbauen zu können. Bindung bedeutet, dass das Kind ein Urvertrauen zu einer einzigen Person aufbaut, die nicht austauschbar ist, wobei dieses Bedürfnis des Kindes biologisch verankert ist und zu einer hohen Qualität der Beziehung führen kann, wenn die erwachsene Person darauf mit dem richtigen Verhalten antwortet. Eine früh erworbene und verfestigte Bindung ist manchmal so fest, dass sie selbst gegenüber der betreffenden Person auch dann hält, wenn sie das Kind schlecht behandelt bzw. sogar misshandelt.

    Man vermutet, dass das Zeitfenster für soziale Kompetenz oder emotionale Entwicklung mit einem bestimmten Kindesalter abgeschlossen ist, wobei solche verpassten Zeitfenster später nur mit einem erheblich höheren Aufwand nachzuholen sind. Die Trennung von der Bindungsperson bedeutet für jedes Kind großes seelisches Leid, sodass die Erschütterung und Trauer etwa beim Verlust der Eltern schon bei Kleinkindern feststellbar ist, wobei nach Studien die Trennung von der Mutter bei Säuglingen zur Regression und sogar zum Tod führen kann.

    Diese Bindung, wie sie Bowlby etwa in „The Nature of the Child’s Tie to his Mother“ (1958) konstatierte, bildet sich also wesentlich früher, aber im Alter von sechs bis 18 Monaten findet  jene massive Entwicklung von Regionen in den Stirnlappen des Gehirns statt, die zum für Emotionen zuständigen limbischen System gehören. So beginnen Kinder mit frühestens sechs Monaten, Zeichen echter Zuneigung zu zeigen, denn erst sechs Monate nach der Geburt wird der Mensch „kommunikativ„, da zu diesem Zeitpunkt der Stirnlappen aktiviert wird und es zur ersten echten wechselseitig empfundenen Beziehung kommt. Jetzt wird die Welt erstmals eingeteilt in nah und fern, in dazugehörig und fremd. Und fremd ist unangenehm. Das typische Fremdeln dauert etwa bis zum Alter von eineinhalb Jahren. Zwar können Kinder dieses Alters einem vollkommen Unbekannten durchaus ein Lächeln schenken, Hirnmessungen aber zeigen, daß dieses Lächeln nicht Ausdruck echt empfundener Zuneigung ist.

    Auch wenn das Kind das aktive Element in dieser Bindung darstellt, haben Eltern für die Voraussetzungen zu sorgen, dass die Bindung aufrecht erhalten werden kann. Es handelt sich dabei um keine symmetrische Beziehung, denn die Eltern müssen den Kindern Schutz bieten und auf deren Bedürfnisse reagieren. Jede andere Haltung würde ein Kind überfordern. Frühe Trennungserfahrungen von Kindern führen zu einem Anstieg der Stresshormone, die ihrerseits hohen Einfluss auf Strukturveränderungen im Gehirn haben, sodass eine traumatische Erfahrung oder ein Übermaß an Stress in frühen Entwicklungsphasen später zu Verhaltens- und Lernstörungen führen kann bis hin zu psychischen Erkrankungen wie etwa Depressionen.


    Ein Mensch, der keine Nestwärme erfahren hat, friert sein Leben lang.
    Gisela Schäfer

    Man unterscheidet verschiedene Formen der Bindung:

    • Sichere Bindung: Je sicherer und geschützter sich ein Kind in dieser Phase fühlt, desto leichter fallen ihm später sinnvolle, notwendige Ablösungsprozesse. Solche Kinder entwickeln ein stabiles Urvertrauen. Sie kommen beim Spielen kurz bei der Mutter vorbei zum Kuscheln und ziehen dann wieder los, um auf dem Spielplatz die Welt zu erkunden. Bindung und Neugier sind zwei Grundbedürfnisse, die gekoppelt sind. Verlustangst etwa behindert die kindliche Entdeckerlust.
    • Unsichere Bindung: Wer als Kleinkind viele Zurückweisungen erlebt hat, dessen Bedürfnisse nach Nestwärme und Nähe nicht gestillt wurden, kann zu einem Vermeider werden. Man hat gelernt, das Anlehnungsbedürfnis, die Ängste zu unterdrücken. Diese Kinder gebärden sich so, als seien sie sehr selbstständig und bräuchten keine Nähe, sie funktionieren perfekt. Solche Erwachsenen haben aber oft Probleme, sich später auf Beziehungen einzulassen, wirken beweglich und unabhängig. Beim Loslassen zeigen sie oft Coolheit und Gelassenheit nach außen, sehnen sich aber nach innerer Verbundenheit.
    • Unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten: Diese Gruppe von Menschen tut sich am schwersten, denn solche Menschen haben in der frühen Kindheit vielleicht eine Mutter erlebt, die zwischen Zuwendung und Zurückweisung, zwischen Gehenlassen und Festhalten schwankte. So wird das Verhalten der Bezugsperson unberechenbar, das Kind beginnt zu klammern, denn es kann sich nicht darauf verlassen, dass diese Person zurückkommt. Als Erwachsene haben ehemals emotional verunsicherte Kinder große Angst vor Veränderung, neigen dazu, sich in Beziehungen zu verstricken, brauchen meist erst einen neuen Partner oder einen neuen Job, bevor sie sich von Altem lösen können.

    Dieses dreiteilige Schema von Ainsworth (1978) wurde mittels des Fremde-Situations-Tests für 12-14 Monate alte Säuglinge untersucht und später auf vier Bindungstypen erweitert – siehe dazu Bindungstypen.

    Ein Neugeborenes hat übrigens laut UN-Kinderrechtskonvention das Recht, nach Möglichkeit zu Beginn seines Lebens bei seiner Mutter zu sein, da jedes Kind ein Recht auf körperliche und seelische Gesundheit hat, was auch bedeutet, dass es das Recht hat, gestillt zu werden, wenn seine Mutter das kann und will.

    Das mit dem neuen Begriff Pucken umschriebene straffe Wickeln, das in manchen Hebammen- und Elternratgebern noch immer propagiert wird – früher gab es das Steckkissen bzw. Wickelpolster oder das Einwickeln in Stoffbahnen (Faschen) -, soll angeblich den Mutterleib imitieren und den Schlaf gleichmäßiger machen. Allerdings gibt es keinerlei wissenschaftlich belegbare Beweise dafür, dass einem gefesseltes Kind dadurch das Gefühl von Geborgenheit vermittelt werden kann. Vielmehr ist aus psychologischer Sicht alles problematisch, das den Bewegungsspielraum und somit das Interagieren mit der Umwelt – was fundamentale Lernvorgänge initiiert – einschränkt.


    Bei aller Unabhängigkeit sind Katzen auch dafür bekannt, tiefe emotionale Bindungen mit ihrem Menschen einzugehen, wobei sich Katzen auf ähnliche Weise an ihre menschlichen Bezugspersonen binden wie kleine Kinder an ihre Eltern. In einer Studie mussten Besitzer ihre junge Katzen im Alter von drei bis acht Monaten in einen durch Kameras überwachten Raum mitnehmen, in dem sie zunächst zwei Minuten mit dem Tier zusammen waren, dann aber allein hinausgingen. Erst nach zwei Minuten kehrten die Besitzer zurück, wobei bei etwa 65 Prozent der Katzen der Stress durch die Rückkehr der Besitzer sofort nachließ, d. h., sie suchten die Nähe und erkundeten dann aber weiter den Raum. Ein Verhaltensmuster, das bei Menschen als sichere Bindung bezeichnet wird, wobei sich dieser Prozentsatz etwa mit dem bei Kindern deckt, während der Rest der Tiere unsicher gebunden war und auf die Trennung extrem verunsichert reagierte.


    Verliebtheit und Bindung als hormoneller, suchtähnlicher Prozess

    Wenn Menschen sich verlieben, werden Hormone wie Epinephrin und Adrenalin ausgeschüttet, und das Gehirn nimmt seine Umgebung anders wahr. Hinzu kommen die Sexualhormone Östrogen und Testosteron, die sich auch auf andere Fähigkeiten auswirken, wodurch z. B. Männer unter dem Einfluss von Testosteron einen Teil ihrer kognitiven Leistungsfähigkeit verlieren. Bei Männern und Frauen treten im Zustand des Verliebtseins Grundbedürfnisse in den Hintergrund, verursacht durch körpereigene Opiate und Phenylethylamin als Stimmungsaufheller, was die Menschen in dieser Zeit aktiver macht, diese aber dabei ein geringeres Bedürfnis nach Essen, Trinken oder Schlaf zeigen. Die Ausschüttung der Bindungshormone Vasopressin und Oxytocin führen schließlich dazu, dass sich Menschen auch an den optischen Eindruck eines verliebten Subjektes binden, wobei diese Bindung im Nucleus Acumbens abgelegt wird, jenem Areal des Gehirns, der auch für Sucht verantwortlich zeichnet, d. h., Liebe ist ab diesem Zeitpunkt eine Art von Sucht. Dieser Zusammenhang erklärt auch, warum Lust und Liebe oft ineinander übergehen.

    Bindung durch Sexualität

    Bei über 200 Präriewühlmäusen wurde die Hirnaktivität vor, während und nach dem Orgasmus untersucht, wobei die menschlichen Hirnströme mit denen der monogam lebenden Nager während des Aktes vergleichbar sind. Während bei den Weibchen nicht untersucht werden konnte, ob sie tatsächlich zum Höhepunkt kommen, ist zumindest nach der Ejakulation der Männchen klar, dass die Tiere einen Sturm von Hirnaktivitäten erleben, die sich auf 68 verschiedene Hirnregionen verteilen. Die Hirnaktivität nach dem männlichen Orgasmus ist bei beiden Geschlechtern nahezu identisch, obwohl sich die vorherrschenden Sexualhormone bei Männchen und Weibchen deutlich unterscheiden, d.h. die aktiven Hirnregionen waren bei männlichen und weiblichen Mäusen im Test sehr ähnlich, obwohl nicht überprüft werden konnte, ob beide zum Orgasmus gekommen waren. Mehrere der aktivierten Hirnregionen sind dafür bekannt, Bindungen zu bilden und zu stärken, so dass die Hirn- und Verhaltensdaten darauf hindeuten, dass beide Geschlechter orgasmusähnliche Reaktionen zeigen und dass diese Orgasmen die Bildung von Bindungen koordinieren. Je mehr Orgasmen die Mäuse haben, desto enger sind sie an ihren Partner gebunden, mit dem sie ihren Bau und ihr Territorium verteidigen und ihren Nachwuchs aufziehen. Eine einzige Studie an Nagetieren reicht natürlich nicht aus, um allgemeingültige Aussagen zu treffen (Stangl, 2024).

    Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass sich bei Kleinstkindern die Gehirne von Mutter und Kind synchronisieren, denn in einem Experiment beobachteten die Kinder ihre Mutter, die entweder positiv oder negativ auf bestimmte Objekte reagierte. Anschließend wurden den Kindern die zuvor gezeigten Objekte zum Spielen angeboten. Babys, deren Gehirn sich mit dem der Mutter synchronisierte, richteten sich bei ihrer Spielentscheidung eher nach den mütterlichen Vorgaben, d. h., sie zogen jenes Spielzeug vor, auf das die Mutter positiv reagiert hatte und mieden solches, das mit negativen Reaktionen verknüpft war. Wie synchron die Gehirnaktivität war, hing dabei auch von der Qualität der Kommunikation zwischen Mutter und Nachwuchs ab, wobei soziale Signale wie häufiger Augenkontakt mit einer erhöhten Synchronität und einem besseren Lernerfolg einhergingen.

    In den ersten Lebensmonaten hängen der Aufbau einer stabilen Bindung mit den Bezugspersonen, die emotionale Entwicklung und das frühe Lernen eng zusammen. Wenn Mutter und Kind dabei in intensivem Kontakt sind, gleicht sich aber nicht nur deren Verhalten an, sondern auch deren Muster in den Gehirnaktivitäten. Über den Körperkontakt spürt das Kind den Herzschlag der Mutter, das Streicheln, Sprechen, Wiegen und Tragen erzeugt Rhythmen, die den Erregungspegel des Kindes beeinflussen und es meist beruhigen. Diese Synchronisation der Rhythmen ermöglicht es, dass sich Bezugsperson und Kind aufeinander einstellen und eine Bindung entsteht, wobei diese Synchronisation die Welt für das Baby vorhersagbarer macht. Dieser Takt der unmittelbaren Umgebung ist wohl eine erste Orientierungshilfe, mit der Neugeborene lernen, die überwältigenden Fülle an Sinneseindrücken zu ordnen. Dieses Aufeinandereinpegeln zweier Menschen zeigt sich somit nicht nur im Verhalten, sondern auch Herzfrequenz und Hormonspiegel gleichen sich bei beiden an. Nguyen et al. (2018) haben in Studien gezeigt, dass sich die Rhythmen der Gehirnströme aneinander angleichen, wenn sich eine Mutter mit ihrem Kind beschäftigt, d. h., beide sind auf einer Wellenlänge bzw. im selben Rhythmus. Das erhöht offenbar auch die Aufnahmebereitschaft für neue Informationen. So schauten sich in einer Studie neun Monate alte Säuglinge gemeinsam mit der Versuchsleiterin Bilder von Spielzeug auf einem Computermonitor an. Wenn die Versuchsleiterin direkten Blickkontakt mit dem Kind aufnahm, bevor das Spielzeug auf dem Bildschirm erschien, glich sich nicht nur der Rhythmus der Aktivität im Gehirn an, sondern die Kinder reagierten auch mit deutlich höherer Aufmerksamkeit auf die Bilder, als wenn beide einfach gemeinsam die Gegenstände ohne spezielle Zuwendung betrachteten. In einem weiteren Experiment mussten Fünfjährige mit ihren Müttern Puzzles lösen, wobei je mehr beide aufeinander eingingen, desto mehr passten sich deren Gehirnströme aneinander an. Je synchroner die neuronalen Rhythmen waren, desto schneller konnten sie übrigens auch die Rätsel lösen. Außerdem waren jene Kinder, die stärker von der Mutter eingebunden wurden, von sich aus aktiver bei der Lösung der Aufgaben.


    Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt,
    der dich schon liebt, bevor er dich kennt.
    Johann Heinrich Pestalozzi

    Definitionen

    1. Definition

    „enge emotionale Beziehung zu einem anderen Menschen, entsteht durch gemeinsame Geschichte und drückt sich aus in Gemeinsamkeiten bei Einstellungen, Werten und Sprache. Die primäre (frühkindliche) Bindung hat das Kind an die Mutter“ (Gudemann, 1995, S. 53).

    2. Definition

    Im psychologischen Wörterbuch ist auch von einem Verhaltenssystem die Rede, dass dafür zuständig ist, dass die Hauptpflegeperson (meist die Mutter) aufgrund dessen, dass sie bei ihm bleibt, ihm Schutz und Lernhilfe gibt. Unter Bindung kann aber auch ein prägungsähnlicher Prozess verstanden werden, dessen Anpassungswert die Suche nach Schutz in der Nähe der Mutter ist (vgl. Häcker & Stapf, 1998, S. 132).

    3. Definition

    „Erlebnis der körperlichen, seelischen und geistigen Beziehung zu anderen Menschen, auch eine dauerhafte bejahende Beziehung zu bestimmten Normen, Werten oder zu affektiv oder symbolhaft erfahrenen Gegenständen. Die Fähigkeit eines Menschen, Bindungen einzugehen, ist entscheidend für die Persönlichkeitsentwicklung. In der Entwicklungspsychologie wird die allmähliche Ablösung des Jugendlichen in seinem Bindungserleben von den Bezugspersonen (Eltern) als Aufgabe dargestellt, die (weder als völlige Trennung noch als misslungener Abstand, d. h. Unselbstständigkeit, aufgefasst) Grundlage für neue Bindungen ist (v.a. Freundschaft, Partnerschaft); diese schließen in ihrer psychischen Qualität an die ersten Bindungserlebnisse an (Mutterbindung, Vaterbindung)“ (Der große Brockhaus, 2005-2011).

    4. Definition

    „Bindung ist eine enge emotionale Beziehung zu jemandem, von dem man sich angezogen fühlt und als abhängig erlebt. Die Entwicklungspsychologie versteht unter Bindung die emotionale Beziehung eines Kleinkindes zu seinen Eltern oder ständigen Betreuungsperson“ (Clauß, 1995, S. 41).

    5. Definition

    „Bindung, ein zuerst von Konrad Lorenz entwickelter Begriff, der die Anhänglichkeit von Tierjungen gegenüber seiner Eltern erklärt. Die Basis ist Liebe. John Bowlby übertrug diese Erkenntnis auf das menschliche Verhalten und seine Theorien über unseren Bedarf an Zuneigung“ (Cohen, 1996, S. 49).


    Siehe dazu das Berliner Eingewöhnungsmodell.


    Ein Blick in die Geschichte der Beziehung Eltern-Kind

    Die Beziehungsdimension zwischen Vater und Sohn – aber auch zwischen Mann und Frau – war lange Zeit durch Macht und Ohnmacht, durch Befehlen einerseits und Gehorchen andererseits gekennzeichnet. Schon in der Antike war die komplementäre Beziehungsstruktur Bestimmen-Gehorchen das Erziehungsmittel schlechthin, und die körperliche Züchtigung war die gebräuchlichste Form der Erziehung. Elternliebe war als solche noch nicht definiert, denn es galt Strenge und Gehorsam als Richtschnur, wobei viele der bereits im Altertum angewandten machtzentrierten Erziehungsmethoden bis gegen Ende des vorigen Jahrhunderts auch in Familien angewandt wurden. Sie gehörten elementar zu einer christlichen Lehr- und Lernkultur, denn die Familienväter waren die Oberhäupter der Familie und diese Stellung war unantastbar. Sie besaßen die Entscheidungsbefugnis in allen Belangen der Familie, d. h., es gab ein Machtgefälle in der Familie, die Männer bzw. Söhne, insbesondere aber der erstgeborene Sohn, standen über den Frauen und Mädchen. Kinder waren das Eigentum der Eltern, waren Arbeitskräfte einerseits und in schlechten Zeiten hungrige Mäuler. Die Machtstrukturen in der patriarchalischen Familie der Antike waren dabei jahrhundertelang Vorbild auch für die Gestaltung nicht nur des Familienlebens sondern auch in öffentlichen Lehr- und Erziehungsanstalten, wobei Ungeschick, Verfehlungen, Widerspruch, Protest, Ungehorsamkeit der Zöglinge vom Erzieher bzw. vom Lehrer mit Züchtigung, öffentlicher Demütigung, Freiheitsentzug oder sogar Nahrungsentzug geahndet wurden. Alttestamentliche Textstellen und auch andere antike Schriften waren dabei die Richtschnur, denn so heißt es da etwa im Buch der Sprüche: „Wen der Herr liebt, den züchtigt er, wie ein Vater seinen Sohn, den er gern hat“ oder „Züchtige deinen Sohn, so wird er dir Verdruss ersparen und deinem Herzen Freude machen“. Kinder waren schließlich rechtlich bis ins 18. Jahrhundert hinein ein Gegenstand, eine Sache, das Eigentum der Eltern, d. h., man gab sie weg zu Ammen, setzte sie aus, wenn sie störten, krank waren oder wenn es zu viele wurden, dann tötete man sie oder sie wurden verkauft. Elterliche Liebe bzw. die Beziehung der Eltern zu ihren Kindern war somit eng verbunden mit der Idee des Gehorsams. Die heute wohl etwas idealisierte Elternliebe bzw. die Mutterliebe wurde erst zum Ende des 18. Jahrhunderts in der Romantik erfunden, und kam erst mit dem Wohlstand in die Erziehung, vorerst für die Mütter, später zum Ende des 20. Jahrhunderts wurde auch Vätern erlaubt, ihre Kinder zu lieben. Heute geht die Bindungsforschung davon aus, dass es so etwas wie ein biologisches Programm gibt, das abläuft, wenn es Eltern gelingt, sich emotional positiv ihren Kindern zuzuwenden (Grossmann & Grossmann, 2005).

    Literatur

    Ainsworth, M., Blehar, M., Waters, E. & Wall, S. (1978). Patterns of Attachment. A psychological study of the strange situation. New York: Hilsdale.
    Clauß, G.  (1995). Fachlexikon ABC Psychologie. Frankfurt/Main: Verlag Harri Deutsch.
    Cohen, D.  (1996). Lexikon der Psychologie. München: Verlag Wilhelm Heyne.
    Grossmann, K. & Grossmann, K. (2005). Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart: Klett-Cotta.
    Gudemann, W.  (1995). Lexikon der Psychologie. Gütersloh: Verlag Bertelsmann-Lexikon.
    Häcker, H. & Stapf, K.  (1998). Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Bern: Verlag Hans-Huber.
    Mohrs, T. (2010). „Kinderwille ist Kälberdreck“ – Die Geschichte der Kinderrechte. Freidenker. 69, 3-8.
    Nguyen, T., Kayhan, E., Schleihauf, H., Matthes, D., Vrticka, P., & Höhl, S. (2018). The effects of caregiving and attachment on neural synchrony in mother-child interactions. 4th International Conference of the European Society for Cognitive and Affective Neuroscience, Leiden, Niederlande.
    Stangl, W. (2020). Geschichte der Kindererziehung. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ERZIEHUNG/Geschichte-Erziehung.shtml (20-03-24).
    Stangl, W. (2024). Orgasmus.
    WWW: https://sexikon.stangl.eu/orgasmus.shtml (24-03-13).
    Ohne Autor  (2005 – 2011). Der große Brockhaus (Online-Ausgabe). Gütersloh: Verlag F.A. Brockhaus/wissenmedia in der inmediaONE GmbH.
    OÖN vom 24. September 2019
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/ERZIEHUNG/Bindung.shtml (07-09-21)
    https://www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/babys-mit-mama-im-neuronalen-gleichtakt/ (19-03-27)
    https://derstandard.at/2000102886999/Wie-Mutter-und-Kind-auf-eine-Wellenlaenge-kommen (19-05-12)


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