Zum Inhalt springen

Rumination

    Eine Magenverstimmung läßt sich viel leichter kurieren als eine geistige Überladung.
    Emmy Hennings

    Man sollte nie so viel zu tun haben, dass man zum Nachdenken keine Zeit mehr hat.
    Georg Christoph Lichtenberg

    Den biologische Fachbegriff Rumination für das Wiederkäuen, hat die Psychologie auch als Fachbegriff für das menschliche Grübeln über Unglück oder Schicksalsschläge übernommen, wobei beim Ruminieren Situationen aus der Vergangenheit mehrfach wachgerufen werden, Menschen über Dingen, die schief gelaufen sind, brüten und lange über eigene Fehler nachdenken. Manche Menschen werden bei dieser Form des grübelnden Ruminierens niedergeschlagen und fühlen sich ihren unkontrollierbar erscheinenden Gedanken ausgeliefert. Phänomenologisch betrachtet ist Grübeln oft vergangenheitsorientiert, während sich Sorgen zu machen meist auf die Zukunft gerichtet ist. Allerdings vermischen sich beide Aspekte aber sehr oft.

    In Untersuchungen zeigte sich auch eine enge Verknüpfung von Rumination und Depression, da Menschen mit hoher Neigung zu Rumination ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Depression besitzen, insbesondere dann, wenn sie einer besonderen Belastung ausgesetzt sind. Obwohl Rumination bisher vor allem im Zusammenhang mit Depression betrachtet wird, kann diese Form des Grübelns auch bei anderen psychischen Störungen eine Rolle spielen, etwa bei sozialen Ängsten, Schlafstörungen und posttraumatischen Belastungsstörungen.


    Um endloses Grübeln zu stoppen, gibt es u. a. die Zwei-Minuten-Regel: Wenn man zwei Minuten über ein Problem nachdenkt und keiner Lösung oder keiner Einsicht näherkommt, ist die Chance groß, dass man auf dem Weg in einen Grübelprozess ist, aus dem man oft erst nach Stunden wieder auftauchen kann, ohne einen Schritt weitergekommen zu sein. Das Kreisen in Gedankenschleifen hat etwas wenig Produktives, oft sogar Quälendes, während hilfreiches Nachdenken hingegen versucht, ein Problem zu lösen, d. h., beim echten Nachdenken bleibt der Grundton der Gedanken neutral, während Grübeln einen kritisch-wertenden Tonfall einnimmt: Warum ist man ein Versager? Warum wird man nicht geliebt? Beim echten Nachdenken hängt man hingegen nicht ständig in einer Abwertung seiner selbst, vor allem aber zieht echtes Denken Handlungen nach sich und führt so schließlich vielleicht zu einer Lösung des Problems.

    Siehe auch Grübeln einmal anders.


    Grübelnde Menschen beschäftigen sich ständig mit den gleichen Gedanken, wobei sich solche Gedankenschleifen kontraproduktiv auf deren psychisches Immunsystem auswirken, sodass Stress und Schlafstörungen entstehen können. Um solche quälenden Gedanken zu stoppen, gibt es zahlreiche einfache Methoden: Manche schreiben ihre Probleme auf Papier, wobei nach einer genau festgelegten Zeit diese Tätigkeit beendet wird, dann wird dieser Sorgenzettel entsorgt und es wird einer normalen Tätigkeit nachgegangen. Viele Menschen wollen ihre negativen Gedanken ihren Freunden mitteilen, doch auch hier sollte es eine klare zeitliche Grenze geben, nach der das Thema gewechselt wird. Es ist für Menschen, die zum Grübeln neigen, sinnvoll, sich schon im Vorhinein bestimmte Aktivitäten für diesen Fall zu überlegen. Günstig ist dabei natürlich eine Tätigkeit, die dem Menschen Freude bereitet, wie etwa Aufräumen, Kochen oder ein Rätsel lösen. Wenn die Gedanken trotzdem wiederkehren, sollt man z. B. Freunde anrufen und mit diesen ganz bewusst über  andere Dinge sprechen. Hilfreich kann auch körperliche Bewegung sein, etwa Fitnessübungen, die man sofort durchführen kann. Vor allem wenn man in der Nacht in solche Gedankenschleifen gerät, ist es ratsam, aufzustehen und vorübergehend etwas anderes zu machen.

    Irritierenden Aussagen wie ein beiläufiger Satz können Menschen schon rasch aus der Fassung bringen. Sei es eine unbedachte Bemerkung oder ein scheinbar harmloser Kommentar, man nimmt sich oft schnell etwas zu Herzen und kann tagelang mit diesen belastenden Gedanken verbringen. Vielleicht erfährt man am Arbeitsplatz hin und wieder Kritik, die man schnell persönlich nimmt, obwohl sie eigentlich nichts mit der eigenen Person zu tun hat. Oft geht es darum, die Motivation hinter einer Aussage zu verstehen und die Worte nicht immer direkt auf sich selbst als Person zu beziehen. Oft sagen Worte mehr über den Sender als über den Empfänger aus. Vielleicht hatte der Gesprächspartner einfach nur einen schlechten Tag und musste in dem Moment Dampf ablassen, oder er hat sich nur missverständlich ausgedrückt und es eigentlich ganz anders gemeint. Man hat immer die Wahl, das Gesagte direkt als Angriff zu werten oder sich zunächst in den Gesprächspartner hineinzuversetzen, um seine Motivation für die Äußerung zu verstehen. Diese Form des Grübelns kann man mit der Methode Consider the Source in den Griff bekommen. Diese Methode bezieht sich auf die Idee, dass es wichtig ist, die Glaubwürdigkeit und Vertrauenswürdigkeit der Quelle einer Information oder eines Arguments stets zu berücksichtigen, um erst dann zu entscheiden, wie man diese Informationen bewertet (Stangl, 2015).


    Da eine der Ursachen für Grübeln das Default Mode Network (Grundeinstellungsnetzwerk) ist, das dafür sorgt, dass man einen Gedanken geistig vor- und zurückspult, diesen immer wieder durchdenkt und dadurch eine oft unangenehme Druck- oder Stresssituation des Tages am Leben hält, sollte man, um wieder Ruhe zu finden, den Hebel genau bei diesem neuronalen Nnetzwerk ansetzen und dessen Aktivität unterbrechen. Wenn es etwa um das Einschlafen geht, kann man sich schon vor dem Zubettgehen ablenken, etwa durch Gespräche, Spiele oder einen Telefonanruf bei einem Freund, wobei es wichtig ist, dass man selbst aktiv wird und vielleicht etwas Unerwartetes geschieht. Wenn man sich mit jemandem unterhält, dann kann sich das Gehirn gar nicht leisten, in den unproduktiven Abschweif- und Grübelmodus zurückzufallen. Eine andere Möglichkeit ist es, sich ganz bewusst auf etwas Bestimmtes konzentrieren, etwa auf eine Lektüre oder vielleicht auch auf ein Hörbuch, das man vor dem Einschlafen liest oder beim Einschlafen hört. Dadurch dämpft man das grübelnde Default Mode Network und aktivert das Kontrollnetzwerk. Das fronto-parietalen Kontrollnetzwerk ist ein Netzwerk aus verschiedenen Hirnregionen, die für zielorientiertes Denken und kognitiv anspruchsvollen Aufgaben aktiviert werden. Das gelingt immer dann besonders gut, wenn man thematisch etwas völlig anderes hört oder liest, was die Grundlage für die Rumination bildet. Denn je intensiver man sich konzentriert, desto weniger geistige Ressourcen bleiben im Gehirn für das Grübeln übrig.


    Jedes Gebet ist auch eine Art Meditation, die sich als ein bestimmter Hirnzustand zeigt, der bei Nonnen, Jogis, Managern oder Atheisten ziemlich gleich aussieht. Dabei werden bestimmte Gehirnregionen heruntergefahren, die für das Körperbewusstsein zuständig sind, woher wohl für manche dafür anfällige Menschen das Gefühl vom Sich-selbst-Auflösen kommt, vom Vereinen mit dem Universum. Bei manchen Gläubigen heißt das dann Unio mystica, die Vereinigung mit Gott.


    Unter Rumination (eigentlich Wiederkäuen) versteht man in der Entwicklungspsychologie eine besondere Form einer Essstörung, deren Merkmal das Heraufwürgen von Nahrung vorwiegend im Säuglingsalter ist, wobei Mädchen davon seltener betroffen sind als Knaben. Bei der Rumination wird die aufgenommene Nahrung bewusst wieder heraufgewürgt, dann gekaut und entweder ausgespuckt oder wieder geschluckt.  Die Rumination kann psychogen oder soziogen bedingt sein, meist vermutet man eine Störung der Mutter-Kind-Beziehung. Die Rumination wird jedoch auch bei Kindern mit geistiger Behinderung und bei Kindern mit cerebralen Schäden beobachtet, und hat in diesem Fall einen selbststimulierenden Charakter. Viele Kinder mit Rumination ziehen sich von ihrer Umwelt zurück. Als Therapie wird meist eine Verbesserung der Mutter-Kind-Beziehung versucht, wobei die Prognose bei einer frühzeitig begonnenen Therapie gut ist, sofern keine frühkindliche Störung zu Grunde liegt, wie etwa eine Form eines Autismus.


    Grübeln stoppen mit dem einfachen Satz „KANN ICH DAS JETZT LÖSEN?“ von Franca Cerutti.

    [https://www.youtube.com/embed/Kki3wSzVhVY]

    Ruminatio ist auch eine Lern- und Übungsmethode,

    die auf alten Formen der Meditation beruht und sich in vielen Kulturkreisen noch heute finden lässt. Die Ruminatio war ein Element in der Lectio divina, einer klösterlichen Art und Weise der Schriftbetrachtung, die dabei helfen sollte, den Weg vom Wort zum Herzen zu finden. Beim Betrachten eines Schrifttexts sollte nicht an erster Stelle der Intellekt verwendet werden, sondern der Mund und die Ohren, denn die Schrift soll durch die Übenden hindurchgehen, indem sie das Wort in den Mund nehmen und es solange kauen, bis es sich entfaltet. Die Ruminatio findet sich in verschiedenen geistlichen Übungen wieder, etwa im schlichten Lesen der Bibel, in den sich wiederholenden Gesängen aus Taizé, im Herzensgebet der orthodoxen Tradition und in den Wiederholungsgebeten verschiedener Religionen. Vor allem war sie in Klöstern eine Methode der Aneignung religiöser Schriften oder Melodien.

    Hier etwa die vier Schritte nach christlicher Tradition:

    • Lectio: Fang an, den Text langsam und laut zu lesen, Satz für Satz, bis du an eine Stelle kommst, die dich auf irgendeine Weise berührt. Vielleicht ist es nur ein Wort, vielleicht auch ein ganzer Satz.
    • Ruminatio: Wiederhole das Wort oder den Satz immer wieder. Probier dabei unterschiedliche Betonungen aus. Sprich mal laut und mal leise, bis du eine Weise der Aussprache gefunden hast, die für diesen Moment stimmt. Vielleicht formulierst du den Satz auch um. Was für Gefühle und Gedanken steigen in dir auf? Geh der „inneren Bewegung“ einen Moment im Schweigen nach. Lies weiter, bis die nächste Stelle kommt, die dich berührt.
    • Oratio: Wenn du das Gefühl hast, schon satt zu sein und nicht mehr aufnehmen zu können, kannst du das, was du laut wiedergekäut hast, auch in einem Gebet laut werden lassen.
    • Contemplatio: Vielleicht ruhst du danach dann einfach in der Gegenwart.

    Literatur

    Stangl, W. (2015, 7. September). Consider the Source. Psychologie-News.
    https:// psychologie-news.stangl.eu/4779/consider-the-source.
    http://gottesdienstinstitut-nordkirche.de/ruminatio/ (12-11-21)
    http://de.in-mind.org/article/ich-denke-also-bin-ich-traurig-ueber-die-folgen-des-gruebelns (17-05-04)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    2 Gedanken zu „Rumination“

    1. Schimelplitz, kein Prof. Dr.

      Ich glaube, das ist ein Missverständnis, denn in dem Text zur Rumination geht es nur darum zu erklären, was das Ruminieren von Texten – man kann dafür jeden Text nehmen, braucht also keine Bibelverse, Psalmen, Suren, Texte von Dschalal ad-Din Muhammad Rumi (übrigens ein süßer Name in diesem Zusammenhang) oder dgl., das geht auch mit einem Absatz aus einer Gebrauchsanweisung für ein Küchengerät oder dem ersten oder letzten Satz eines Romans – mit Menschen anstellen kann. Kinder und manche Erwachsene machen das oft mit ihrem eigenen Namen, den sie einige hundert Mal wiederholen – irgendwann entwickeln solche Perpetuationen ihr Eigenleben. Denken Sie doch nur an die permanent wiederholten Texte in den Werbespots … Die Psychologie kann heute wohl so ziemlich alles erklären, was im Zusammenhang mit Religion von Religionsgemeinschaften unter die Leute gebracht wird, und wie Menschen dadurch mehr oder minder in eine Art Glaubensrumination geraten.

    2. Alles schön und gut. ABER dabei geht es ja leider nur um den äußeren Wortsinn eines Textes, bestenfalls um eine psychologisceh Methode. THEOLOGISCH geht es aber darum, einen Text in sich so lange frei und selbstbetsmmt arbeiten zu lassen, bis der Text srlbst als eigenständiges Subjekt mich verändert. Die klassische Exegese legt als Ex-egese einen text mit Herrschaftswissne aus, versteht den Text oft sogar besser als er sich selbst versteht, legt sich also gerade nicht in den Text als lebendiges und eigenständiges Gegennüber hinein. Dagegen ist die Eisegese als Eis-Egese bereit, sich so in den Text hineinzulegen, dass der Text ein lebendiges Subjekt (nicht nur auszulegendes Objekt) meiner Arbeit am Text (besser: der Arbeit des Textes an mir) bleibt. Es geht also nicht um eine psychologische Methode, sondern um die theologische Offenheit für die Eigenkraft des textes selbst, der mich verändert.

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

    Inhaltsverzechnis