Der Begriff Brain-Age-Gap – auch „Brain-Age Delta“ oder „Predicted Age Difference“, PAD – beschreibt in der Psychologie und den Neurowissenschaften die Differenz zwischen dem tatsächlichen chronologischen Alter einer Person und ihrem biologischen Gehirnalter, das mithilfe von bildgebenden Verfahren und Algorithmen des maschinellen Lernens geschätzt wird. Grundlage dieser Metrik ist die Erkenntnis, dass das Gehirn keinem starren Alterungsprozess folgt, sondern dass individuelle biologische Abbauprozesse oder Resilienzfaktoren dazu führen können, dass die Gehirnstruktur einer Person „älter“ oder „jünger“ erscheint, als es das Geburtsdatum vermuten ließe.
Zur Bestimmung des Brain-Age-Gaps werden meist hochauflösende strukturelle Magnetresonanztomographien (MRT) genutzt, aus denen Merkmale wie die graue und weiße Substanz, die kortikale Dicke oder das Volumen bestimmter Hirnareale extrahiert werden. Ein Modell des maschinellen Lernens, das zuvor an einem großen Datensatz gesunder Individuen trainiert wurde, schätzt auf Basis dieser Daten das „geplante“ Alter des Gehirns. Subtrahiert man das chronologische Alter von diesem geschätzten Alter, erhält man den Brain-Age-Gap: Ein positiver Wert deutet auf eine beschleunigte Gehirnalterung hin (das Gehirn sieht älter aus), während ein negativer Wert auf eine verzögerte Alterung oder eine höhere neurobiologische Reserve hindeutet (das Gehirn sieht jünger aus). In der klinischen Psychologie und Psychiatrie dient dieser Wert als sensitiver Biomarker für die allgemeine Gehirngesundheit und das Risiko für neurodegenerative sowie psychische Erkrankungen.
Ein prominentes Beispiel für die Anwendung ist die Untersuchung von Patienten mit beginnender Alzheimer-Demenz oder leichter kognitiver Beeinträchtigung (MCI); hier zeigt sich oft ein deutlich positiver Brain-Age-Gap, der bereits Jahre vor der klinischen Diagnose messbar sein kann. Auch bei schweren psychischen Störungen wie Schizophrenie oder rezidivierenden depressiven Störungen wurde in großangelegten Studien ein Gehirn nachgewiesen, das im Vergleich zur gesunden Kontrollgruppe strukturell älter wirkt, was oft mit chronischem Stress, Entzündungsprozessen oder ungesunden Lebensstilfaktoren assoziiert wird. Umgekehrt fungieren Faktoren wie regelmäßige körperliche Aktivität, lebenslanges Lernen oder eine hohe Bildungsbiografie oft als Puffer, die zu einem negativen Brain-Age-Gap führen können.
Kritisch zu betrachten ist jedoch, dass der Brain-Age-Gap eine globale Metrik ist, die wenig über spezifische funktionale Ausfälle in einzelnen Hirnarealen aussagt und stark von der Qualität der zugrunde liegenden Trainingsdaten des Algorithmus abhängt. Dennoch bietet das Konzept einen wertvollen integrativen Ansatz, um die Interaktion von Genetik, Umwelt und Lebensstil auf die neuronale Integrität über die Lebensspanne hinweg zu quantifizieren und frühzeitige Interventionsstrategien zur Erhaltung der kognitiven Fitness zu entwickeln.
Die neueste Forschung zeigt eindrucksvoll, dass durch gezielte Verhaltensweisen sich der Brain-Age-Gap aktiv beeinflussen lässt, denn in einigen Studien konnten Probanden mit besonders gesundem Lebensstil ein Gehirn vorweisen, das biologisch bis zu 8 Jahre jünger war als ihr chronologisches Alter. Die entscheidenden Einflussfaktoren sind dabei
1. Körperliche Aktivität: Der stärkste Motor
Regelmäßige Bewegung gilt als der wirksamste Faktor, um den Brain-Age-Gap zu verringern oder negativ zu halten (also das Gehirn „jung“ zu halten).
Aerobes Training: Studien wie die FIT4BRAIN-Studie (2025) zeigen, dass Ausdauersport die neuronale Plastizität fördert und das Gehirnalter signifikant senkt, besonders bei Personen, die zuvor eine geringe Fitness aufwiesen.
Alltagsbewegung: Schon einfache tägliche Schritte korrelieren mit einer höheren Dichte der grauen Substanz und einem jüngeren Erscheinungsbild des Gehirns in MRT-Aufnahmen.
2. Ernährung: Die „Green Mediterranean Diet“
Während die klassische Mittelmeerküche bereits als schützend gilt, hat die Forschung zur Green-Mediterranean-Diet (2024/2025) neue Maßstäbe gesetzt.
Polyphenole: Eine Ernährung, die reich an pflanzlichen Stoffen (z. B. aus grünem Tee, Walnüssen und der Wasserlinse Mankai) ist, reduziert entzündungsfördernde Proteine im Blut, die mit beschleunigter Gehirnalterung in Verbindung stehen.
Atrophie-Bremse: Diese spezifische Diät konnte den altersbedingten Gehirnschwund in Studien um bis zu 50 % verlangsamen.
3. Schlafqualität und Erholung
Schlaf ist kein passiver Zustand, sondern die „Reinigungsphase“ des Gehirns (glympathisches System).
Restaurativer Schlaf: Chronisch schlechter Schlaf oder Schlafmangel führt zu einem Brain-Age-Gap von durchschnittlich 1 bis 3 Jahren zusätzlicher Alterung.
Regelmäßigkeit: Ein stabiler Schlaf-Wach-Rhythmus hilft, neurotoxische Ablagerungen abzubauen, bevor sie die Gehirnstruktur schädigen können.
4. Psychosoziale Faktoren: Optimismus und soziale Bindung
Neueste Studien der University of Florida (2025) betonen die Rolle der Psyche:
Optimismus & Stressmanagement: Menschen mit einer positiven Grundeinstellung und effektiven Coping-Strategien für Stress weisen deutlich jüngere Gehirne auf.
Soziale Unterstützung: Starke soziale Netzwerke wirken wie ein Puffer gegen die negativen Auswirkungen von chronischem Stress oder sogar chronischen Schmerzen auf das Gehirnalter.
5. Management metabolischer Risiken
Ein „altes“ Gehirn ist oft die Folge unbehandelter körperlicher Grunderkrankungen. Die Kontrolle folgender Werte ist essentiell:
Blutdruck & Cholesterin: Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte sind primäre Treiber für einen positiven (schlechten) Brain-Age-Gap.
Blutzucker: Bei Typ-2-Diabetes altert das Gehirn messbar schneller; eine konsequente Blutzuckereinstellung kann diesen Prozess fast vollständig stoppen.
Literatur
Cole, J. H., & Franke, K. (2017). Predicting age using neuroimaging: Innovative brain ageing biomarkers. Trends in Neurosciences, 40(12), 681–690.
Dove, A., & colleagues (2025). Poor sleep and MRI-derived brain age acceleration: A large-scale longitudinal study. eBioMedicine, doi:10.1016/j.ebiom.2025.105421
Kaufmann, T., van der Meer, D., Doan, N. T., Schwarz, E., Westlye, L. T., & colleagues (2019). Common anomaly profiles between tumors and psychiatric disorders. Nature Neuroscience, 22(10), 1617–1623.
Luders, E., Cherbuin, N., & Gaser, C. (2016). Estimating brain age using high-resolution pattern recognition: Younger brains in long-term meditation practitioners. NeuroImage, 134, 508–513.
Meir, A. Y., Keller, M., Bernier, R. A., & colleagues (2025). Green-Mediterranean diet and its effect on the brain-age gap: Results from the DIRECT PLUS randomized controlled trial. The American Journal of Clinical Nutrition., doi:0.1016/j.ajcnut.2025.01.012
Sibille, K. T., Tanner, J. J., & colleagues (2025). Behavioral and psychosocial protective factors predict lower brain age in adults. Brain Communications, 7(5), doi:10.1093/braincomms/fcaf344
Smith, S. M., Elliott, L. T., Alfaro-Almagro, F., McCarthy, P., Nichols, T. E., Miller, K. L., & Douaud, G. (2019). Brain-aging biomarkers based on structural and functional MRI. NeuroImage, 193, 240–252.