Fokussierungsillusion

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Die Fokussierungsillusion bezeichnet eine systematische kognitive Verzerrung, bei der Menschen die Bedeutung einzelner Faktoren für ihr zukünftiges Wohlbefinden, ihre Entscheidungen oder Bewertungen überschätzen, weil ihre Aufmerksamkeit übermäßig stark auf genau diesen Faktor gerichtet ist. Der Begriff wurde insbesondere durch Daniel Kahneman und David Schkade geprägt.

Die Fokussierungsillusion beruht darauf, dass Menschen bei Urteilen über komplexe Situationen dazu neigen, leicht zugängliche oder besonders salient wirkende Aspekte unverhältnismäßig stark zu gewichten, während andere relevante Einflussgrößen vernachlässigt werden. Dadurch entstehen verzerrte Erwartungen, Bewertungen und Entscheidungen.

Ein klassisches Beispiel ist die Annahme, dass ein Umzug in eine Region mit besserem Wetter das allgemeine Lebensglück stark steigern würde. Studien zeigten jedoch, dass Bewohner sonniger und weniger sonniger Regionen langfristig kaum Unterschiede im Wohlbefinden aufweisen; der Effekt des Wetters wird nur in der Vorstellung überschätzt, weil er im Moment der Bewertung besonders präsent ist. Ein weiteres Beispiel findet sich im Konsumverhalten: Menschen überschätzen häufig, wie sehr der Besitz eines neuen Autos oder eines technischen Geräts ihr Leben verbessern wird. Nach kurzer Zeit tritt jedoch ein Gewöhnungseffekt ein, und das tatsächliche Wohlbefinden steigt viel weniger als erwartet. Auch in der Politik und sozialen Wahrnehmung zeigt sich die Fokussierungsillusion, etwa wenn Bürger glauben, eine einzelne politische Maßnahme – wie eine Steuerreform oder eine Bildungsinitiative – werde entscheidend über ihre Lebenszufriedenheit bestimmen, obwohl das subjektive Wohlbefinden von einer Vielzahl komplexer Faktoren abhängt, darunter Beziehungen, Gesundheit und Alltagserfahrungen.

Die Fokussierungsillusion wirkt sowohl bei prospektiven Urteilen (Vorhersagen über zukünftige Gefühle) als auch bei retrospektiven Bewertungen (Einschätzungen vergangener Ereignisse). Sie steht damit in engem Zusammenhang mit affektiver Prognosefehlern und der Tendenz des menschlichen Geistes, leicht zugängliche Informationen zu überbewerten. Indem Menschen sich auf einzelne, auffällige Aspekte konzentrieren, unterschätzen sie die stabilisierende Wirkung alltäglicher Routinen und die Fähigkeit zur psychologischen Anpassung. Die Forschung zeigt, dass Achtsamkeit für kognitive Verzerrungen und ein bewusster Blick auf das gesamte Umfeld von Entscheidungen helfen können, die Effekte der Fokussierungsillusion zu reduzieren.

Literatur

Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow. Farrar, Straus and Giroux.
Schkade, D. A., & Kahneman, D. (1998). Does living in California make people happy? A focusing illusion in judgments of life satisfaction. Psychological Science, 9(5), 340–346.


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