Deskilling

Der Begriff Deskilling bezeichnet in der Psychologie und angrenzenden Arbeits- und Organisationswissenschaften die systematische Reduktion bzw. Verarmung von Anforderungen, Fachwissen, Entscheidungsbefugnis und Handlungskompetenz in beruflichen Tätigkeiten. Ursprünglich in der Arbeitssoziologie verankert, gewinnt der Begriff zunehmend auch psychologische Bedeutung im Hinblick auf Arbeitsmotivation, Autonomie, Identifikation mit der Tätigkeit und berufliche Entwicklung.

Im Kern bedeutet Deskilling, dass eine Tätigkeit, die früher ein hohes Maß an Fachkenntnis, Urteilsvermögen, Eigeninitiative oder komplexer Handlungskompetenz erforderte, durch technologische Innovationen, organisatorische Rationalisierung oder Arbeits-/Prozessgestaltung so verändert wird, dass sie nun mit geringerer Qualifikation, weniger Erfahrung und deutlich engeren Vorgaben ausgeübt werden kann. Dadurch verschiebt sich nicht nur die Anforderung an den einzelnen Beschäftigten, sondern häufig auch dessen Autonomie- und Entscheidungsspielraum: Planung, Problemlösung oder kreative Gestaltung werden entzogen und in standardisierte Ablaufsteuerung oder automatisierte Systeme ausgelagert. Beispielsweise kann ein früher selbständig arbeitender Techniker, der Diagnose- und Reparaturaufgaben eigenständig durchführte, durch ein Diagnose-Interface ersetzt werden, das lediglich noch Eingaben verlangt, während Maschine oder Software den Großteil übernimmt — der Mitarbeitende wird so zu einer Art Überwacher oder Funktionär mit reduzierten Fachaufgaben.

Aus psychologischer Perspektive sind die Implikationen von Deskilling vielschichtig: Wenn Fachwissen oder Gestaltungsspielräume entwertet werden, kann dies zu geringerer Arbeitsmotivation, Identifikationsverlust mit der Tätigkeit, einem Gefühl mangelnder Kompetenz (Selbstwirksamkeit) oder Entfremdung führen. In Organisationen, in denen Jobs zunehmend fragmentiert und routiniert werden, steigen Schüler- oder Beschäftigten-Erwartungen auf Weiterbildung und Reflexion, während die tatsächlichen Handlungsspielräume sinken. So zeigt sich, dass Deskilling nicht nur eine Frage der Qualifikation, sondern auch der psychologischen Arbeitsqualität ist: Weniger Variation, geringe Herausforderung, wenig Sinnstiftung und begrenzte Lernmöglichkeiten wirken sich negativ auf Arbeitszufriedenheit, Engagement und berufliche Entwicklung aus.

Auch auf organisationaler und gesellschaftlicher Ebene erzeugt Deskilling relevante Konsequenzen: Die Verringerung der Qualifikationsanforderung kann zu sinkender Lohn- und Statusentwicklung führen, die berufliche Mobilität einschränken und das Risiko von Ausgrenzung bzw. Prekarisierung erhöhen. ([lewissilkin.com][4]) Zudem wird diskutiert, dass technischer Wandel sowohl Deskilling als auch Upskilling („Hochqualifizierung“) bedeuten kann — je nachdem, wie Arbeitsaufgaben und Qualifikationsanforderungen umgestaltet werden.

Beispiel: In einer Fertigungsanlage wird früher jeder Produktionsschritt vom qualifizierten Facharbeiter eigenverantwortlich durchgeführt, inklusive Entscheidung über Materialien, Methoden, Qualitätskontrolle und Weitergabe von Erfahrungswissen. Durch Automatisierung und modulare Fertigung wird nun das Gesamtsystem gesteuert, und der Arbeiter betätigt nur noch einen Monitor-Button „Start“ oder „Stop“, während Roboter den komplexen Prozess übernehmen. Das Ergebnis: Der Erfahrungs- und Qualifikationsbedarf sinkt, der Gestaltungsspielraum verschwindet, und der Beschäftigte verlagert sich von einem Facharbeiter zu einem einfachen Bediener. Dieses „Entqualifizieren“ von Arbeit kann psychologisch bedeutsam werden.

Ein weiteres Beispiel: Lehrkräfte berichten davon, dass Curricula und Lernmaterialien zunehmend standardisiert und kontrolliert werden, sodass ihr pädagogisches Handeln primär auf Implementierung vorgegebener Programme reduziert wird – statt Gestaltung eigener Lernprozesse, regelmäßiger Entscheidungen und beruflicher Autonomie. Dadurch erfahren sie eine Art „Entprofessionalisierung“ im Sinne von Deskilling.

Unter Rückgriff auf klassische Theorie lässt sich Deskilling auch als Teil der Trennung von Planung und Ausführung begreifen:, d. h., die konzeptionelle Arbeit („was ist zu tun?“) wird vom ausführenden Teil („mach das!“) getrennt – und letzterer erfährt Reduktion von Anforderungsvielfalt und Kompetenz.

Deskilling bezeichnet also Prozesse, in denen Arbeits- oder Handlungstätigkeiten so umgestaltet werden, dass sie zwar technisch effizienter, aber zugleich weniger anspruchsvoll, weniger wissensintensiv, weniger selbstbestimmt und weniger entwicklungsfördernd sind. Aus psychologischer Sicht verliert der Handelnde dabei zunehmend Möglichkeiten zur eigenständigen Gestaltung, zur Kompetenzentfaltung und zur Arbeitsidentität. Solche Prozesse bergen Risiken für Motivation, Wohlbefinden und berufliche Entwicklung, wenn nicht zugleich Maßnahmen zur Qualifizierung, Gestaltungsspielräumen und Partizipation gesetzt werden.

Siehe dazu auch Upskilling.

Literatur

Parameswaran, Ashwin (2022). ChatGPT, Artificial Intelligence, and Deskilling. Why large language models (LLMs) will deskill the knowledge worker.
WWW: https://macroresilience.substack.com/p/chatgpt-artificial-intelligence-and. [20.10.2023]
Reinmann, Gabriele (2023). Deskilling durch Künstliche Intelligenz? Potenzielle Kompetenzverluste als Herausforderung für die Hochschuldidaktik. Diskussionspapier. WWW: https://www.heise.de/news/Deskilling-Kompetenzverlust-durch-KI-wird-zu-wenig-diskutiert-9342124.html [28.10.2023]


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