In der Psychologie bezeichnet der Begriff copycat-Effekt ein Verhalten, bei dem Individuen Handlungen oder Verhaltensweisen anderer Menschen nachahmen, häufig in einem sozialen oder medialen Kontext. Der Ausdruck Copycat hat seinen Ursprung im anglo-amerikanischen Sprachraum und bedeutet wörtlich übersetzt Nachahmer, Nachmacher bzw. Trittbrettfahrer, wird aber in der Fachliteratur und populärpsychologischen Diskursen als Metapher für imitierendes Verhalten verwendet. Besonders relevant ist der Begriff im Zusammenhang mit kriminellen oder gewalttätigen Handlungen wie Amokläufen, bei denen Täter oder Täterinnen durch mediale Berichterstattung oder durch beobachtetes Verhalten anderer zu ähnlichen Taten angeregt werden.
Psychologisch lässt sich copycat behavior durch verschiedene Theorien erklären, insbesondere durch das Modelllernen nach Albert Bandura. Banduras (1977) sozial-kognitive Lerntheorie besagt, dass Menschen Verhalten durch Beobachtung und Nachahmung von Modellen erlernen, insbesondere wenn diese Modelle als erfolgreich, mächtig oder bewundert wahrgenommen werden. Diese Suggestionsthese unterstellt, dass die Beobachtung von Gewalt beim Rezipienten direkt zu einer Nachahmungstat führt. Dabei kann daher bereits die mediale Darstellung eines bestimmten Verhaltens genügen, um Imitation zu fördern, wenn der Beobachter eine Identifikation mit dem Modell oder eine emotionale Aktivierung erlebt. Dies gilt vor allem für Kinder und Jugendliche, deren Persönlichkeitsentwicklung und moralische Urteilsfähigkeit noch nicht vollständig ausgebildet sind.
Ein bekanntes Beispiel für das copycat-Phänomen ist der Werther-Effekt, benannt nach Johann Wolfgang von Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“. Nach der Veröffentlichung des Buches im 18. Jahrhundert kam es zu einer auffälligen Häufung von Suiziden junger Männer, die sich mit der Hauptfigur identifizierten und ähnliche Kleidung trugen oder sich auf ähnliche Weise das Leben nahmen (Stangl, 2011). In der Forschung wird dieses Phänomen auch als suicide contagion bezeichnet. Ein weiteres Beispiel ist der Nachahmungseffekt bei Amokläufen an Schulen: Studien zeigen, dass auf medial breit rezipierte Schulschießereien häufig weitere Taten folgen, bei denen Täter gezielt frühere Vorbilder imitieren oder ihnen nacheifern wollen (Lankford & Madfis, 2018). Siehe dazu unten: Präventive Maßnahmen. Auch bei Massenmördern oder Massenmörderinnen konnte im Nachhinein oft nachgewiesen werden, dass sich diese an an früheren Mustern orientiert hatten.
Copycat-Verhalten ist nicht zwangsläufig auf pathologische Fälle beschränkt. Auch alltägliches Verhalten wie Mode, Sprachgebrauch oder Konsumgewohnheiten kann durch Nachahmung entstehen. In diesen Fällen spricht man oft von sozialen Normierungsprozessen, in denen copycat behavior zur Gruppenbildung oder zur sozialen Zugehörigkeit beiträgt. Dennoch wird der Begriff in der Psychologie häufiger in einem negativ konnotierten, kriminologischen oder klinischen Zusammenhang verwendet.
Präventive Maßnahmen gegen schädliches copycat-Verhalten umfassen unter anderem eine verantwortungsvolle mediale Berichterstattung, wie sie etwa in den WHO-Richtlinien zur Suizidprävention empfohlen wird, sowie eine frühzeitige psychologische Betreuung gefährdeter Personen. Die psychologische Forschung betont dabei die Bedeutung von Risikofaktoren wie emotionale Instabilität, soziale Isolation und fehlende Resilienz, die eine Anfälligkeit für Nachahmung insbesondere bei gewalttätigem Verhalten erhöhen können. So sind nach Amokläufen häufig Nachfolgedaten zu beobachten. Daher gilt es vor allem in den Fällen eines erweiterten Suizids, wie es bei solchen Amok-Ereignissen häufig der Fall ist, bei der Berichterstattung besonders zurückhaltend zu sein, und den suizidalen Charakter des Ereignisses nicht in den Mittelpunkt zu stellen.
Anmerkung: der Begriff Copycat wird auch im Zusammenhang mit Unternehmen verwendet, die eine Geschäftsidee aus einem anderen Markt kopiert haben, wobei es sich in der Regel um eine negative Art und Weise handelt, also um das reine Nachahmen und Kopieren (copycat entrepreneur).
Literatur
Bandura, A. (1977). Social Learning Theory. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.
Lankford, A., & Madfis, E. (2018). Don’t Name Them, Don’t Show Them, But Report Everything Else: A Pragmatic Proposal for Denying Mass Shooters the Attention They Seek and Deterring Future Offenders. American Behavioral Scientist, 62, 260–279.
Phillips, D. P. (1974). The influence of suggestion on suicide: Substantive and theoretical implications of the Werther effect. American Sociological Review, 39(3), 340–354.
Stangl, W. (2011, 12. Jänner). Thesen zur Wirkung von Gewalt in dem Medien. Psychologie-News.
https:// psychologie-news.stangl.eu/627/thesen-zur-wirkung-von-gewalt-in-dem-medien.
World Health Organization. (2017). Preventing suicide: A resource for media professionals (Update 2017). WHO Document Production Services. https://www.who.int/publications/i/item/9789241502930