Nominativer Determinismus

Der Begriff nominativer Determinismus bezeichnet die Hypothese, dass der Name eines Menschen unbewusst Einfluss auf dessen Lebensweg, Berufswahl oder Persönlichkeitsentwicklung nehmen kann. Die Vorstellung, dass der eigene Name Verhalten oder Entscheidungen beeinflusst, wurde ursprünglich nicht als wissenschaftliche Theorie formuliert, sondern entwickelte sich aus anekdotischen Beobachtungen und journalistischen Kommentaren. Der Begriff wurde populär, nachdem die Zeitschrift New Scientist 1994 eine Kolumne veröffentlichte, in der wiederholt auf Fälle hingewiesen wurde, in denen der Name einer Person mit ihrer beruflichen Tätigkeit übereinstimmte (z. B. ein Meteorologe namens Weatherall oder ein Zahnarzt namens Dr. Payne; Lawson, 2006).

Psychologisch betrachtet beruht der nominative Determinismus auf mehreren theoretischen Mechanismen. Eine zentrale Erklärung liefert das Konzept des impliziten Egotismus, welches von Pelham, Mirenberg und Jones (2002) eingeführt wurde. Impliziter Egotismus beschreibt die unbewusste Präferenz des Menschen für Dinge, die mit dem Selbst assoziiert sind, insbesondere mit dem eigenen Namen. So zeigen Studien, dass Menschen überzufällig häufig in Städten leben, deren Namen dem eigenen Vornamen ähneln (z. B. Louis zieht nach St. Louis), oder Berufe wählen, die mit den Anfangsbuchstaben ihres Namens beginnen (z. B. Dennis wird Dentist). Diese Präferenzen laufen nach Ansicht der Autoren weitgehend automatisch ab und sind Ausdruck einer tief verankerten Selbstwertbindung.

Ein weiteres Beispiel betrifft die sogenannte Name-letter effect, also die Tendenz, Buchstaben aus dem eigenen Namen positiver zu bewerten als andere. Dieser Effekt, der ursprünglich von Nuttin (1985) beschrieben wurde, gilt als robustes psychologisches Phänomen und bildet eine Grundlage für die Annahme, dass auch größere Entscheidungen – wie die Berufswahl – davon beeinflusst sein könnten.

Allerdings ist die empirische Evidenz zum nominativen Determinismus ambivalent. Während einige Studien signifikante Zusammenhänge zwischen Namen und Lebensentscheidungen finden, konnten andere Forscher diesen Effekt nicht oder nur eingeschränkt replizieren. Kritik wurde unter anderem an der Methodologie früher Studien geäußert, etwa hinsichtlich fehlender Kontrolle für soziodemografische Variablen oder die selektive Auswahl auffälliger Beispiele. In einer umfangreichen Replikationsstudie fanden Simonsohn (2011) und Kollegen beispielsweise heraus, dass viele der beobachteten Zusammenhänge statistische Artefakte waren und sich nicht robust nachweisen ließen, wenn man alternative Erklärungen wie ethnische Zugehörigkeit oder regionale Namensverteilungen kontrollierte.

Trotz dieser Kritikpunkte bleibt der nominative Determinismus ein faszinierendes Beispiel dafür, wie Sprache, Identität und Verhalten möglicherweise miteinander verwoben sind. Auch wenn es bislang keinen klaren Beweis für einen kausalen Effekt gibt, regen die Diskussionen über den Einfluss von Namen dazu an, über die unbewussten Faktoren im Entscheidungsverhalten und in der Selbstkonstruktion nachzudenken.

Siehe dazu auch Kevinismus.

Literatur

Lawson, R. (2006). The Science of Names and Naming: What’s in a Name? London: Palgrave Macmillan.
Nuttin, J. M. (1985). Namenpräferenz: Die Bewertung des eigenen Namens und ihrer Buchstaben. European Journal of Social Psychology, 15(3), 353–361.
Pelham, B. W., Mirenberg, M. C., & Jones, J. T. (2002). Why Susie Sells Seashells by the Seashore: Implicit Egotism and Major Life Decisions. Journal of Personality and Social Psychology, 82(4), 469–487.
Simonsohn, U. (2011). Spurious? Name similarity effects (implicit egotism) in marriage, job, and moving decisions. Journal of Personality and Social Psychology, 101(1), 1–24.


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