Das Vanishing-Twin-Syndrom bezeichnet ein Phänomen, bei dem einer von zwei oder mehreren Embryonen in einer frühen Phase der Schwangerschaft stirbt und vom Körper der Mutter oder vom überlebenden Embryo resorbiert wird. Es tritt meist im ersten Trimester auf und bleibt häufig unbemerkt, es sei denn, es wurden bereits sehr frühe Ultraschalluntersuchungen gemacht. Aus anekdotischen Erfahrungsberichten einiger Alleingeborener geht hervor, dass Betroffene später unter unerklärlichen Emotionen wie Trauer und Einsamkeit leiden können.
Psychologische Perspektive
Es wird vermutet, dass der überlebende Zwilling diesen Verlust unbewusst wahrnimmt. Dies könne sich später in Gefühlen wie Einsamkeit, Schuld oder Traurigkeit äußern. Solche Hypothesen stammen aus der prä- und perinatalen Psychologie und finden Anwendung in alternativtherapeutischen Ansätzen wie Hypnotherapie, systemischer Therapie oder Reinkarnationstherapie. Wissenschaftlich sind diese Annahmen jedoch umstritten, da empirische Belege fehlen.
Medizinische und biologische Aspekte
Schätzungen zufolge beginnen 12–30 % aller Schwangerschaften als Mehrlingsschwangerschaften, doch nur 2–5 % der Zwillinge werden gemeinsam lebend geboren. Gründe für das Verschwinden eines Zwillings sind meist genetische oder entwicklungsbedingte Störungen. Manchmal bleiben Überreste erhalten, werden aber den Eltern häufig nicht mitgeteilt.
Therapeutischer Umgang
Einige Betroffene berichten von emotionalen Belastungen im späteren Leben, die auf den vorgeburtlichen Verlust zurückgeführt werden. Therapeuten wie Dr. Ludwig Janus sehen darin eine vorbewusste Traumaerfahrung, die im prozeduralen (Körper-)Gedächtnis gespeichert wird. Therapiemethoden wie Körperregression zielen darauf ab, über Körperwahrnehmungen Zugang zu verdrängten Gefühlen zu bekommen – diese Methoden sind jedoch nicht wissenschaftlich anerkannt.
Das Vanishing-Twin-Syndrom ist somit ein reales biologisches Phänomen mit umstrittener psychologischer Deutung. Während alternative Therapien davon ausgehen, dass der Verlust tiefe seelische Spuren hinterlassen kann, fehlt es bislang an wissenschaftlich gesicherten Nachweisen für diesen Zusammenhang.
Literatur
Bourquin, M. (2016). Der verlorene Zwilling: Wie der Verlust eines ungeborenen Bruders oder einer Schwester das ganze Leben prägt. Scorpio Verlag.