3-Sekunden-Phänomen

Das 3-Sekunden-Phänomen oder die 3-Sekunden-Segmentierung beschreibt aus psychologischer Sicht die Fähigkeit des Menschen, innerhalb von etwa drei Sekunden eine erste, oft unbewusste Einschätzung einer Person oder Situation vorzunehmen. Das Drei-Sekunden-Phänomen bezeichnet also einen zeitlich begrenzten Integrationsmechanismus von Wahrnehmung, Verhalten und Erleben, der etwa drei Sekunden in Anspruch nimmt. Zentrale Mechanismen des Gehirns sind lediglich in der Lage, eine Wahrnehmungsgestalt für einen begrenzten Zeitraum zu erfassen, denn nach diesem Zeitraum ist es dem Gehirn nicht mehr möglich, einen Reiz als Ganzes zu erfassen. Es konnte auch festgestellt werden, dass das, was im menschlichen Erleben jeweils bewusst wird und worauf sich die Aufmerksamkeit richtet, lediglich für ca. 3 Sekunden erhalten bleibt. Dieses Phänomen konstituiert folglich die Grundlage für das, was gemeinhin als subjektive Gegenwart, als „Jetzt“ bezeichnet wird. So können Zeitintervalle von bis zu drei Sekunden in Experimenten von Probanden reproduziert werden, während längere Zeitintervalle zu ungenauen Repetitionen führen.

Darüber hinaus ist zu konstatieren, dass nach ungefähr drei Sekunden auch Kippfiguren zu einer alternativen Interpretation wechseln, sobald die Integrationsfähigkeit erschöpft ist. Ebenso sind absichtliche Bewegungen oder Äußerungseinheiten des Sprechens (Sprache) zeitlich in 3-Sekunden-Blöcke strukturiert. Es konnte auch festgestellt werden, dass die Bewegungsdauer über die unterschiedlichsten Kulturen hinweg identisch ist. Diese Evidenz legt nahe, dass es sich hierbei um einen grundlegenden, universellen Hirnmechanismus bei der Planung und Ausführung von Bewegungen handelt. Auch die zeitliche Struktur eines künstlerischen Werkes findet ihren Niederschlag sowohl in der Dauer musikalischer Motive als auch in der Zeilenlänge von Gedichten.

Die blitzschnelle Urteilsbildung bei der Personenwahrnehmung basiert auf minimalen Informationen wie Mimik, Körpersprache, Stimme oder äußerem Erscheinungsbild und hat evolutionäre Wurzeln, da schnelle Entscheidungen in sozialen Situationen früher überlebenswichtig waren. Bereits in den ersten Momenten einer Begegnung wird also entschieden, ob jemand als vertrauenswürdig, sympathisch oder bedrohlich wahrgenommen wird. Diese automatische Bewertung wird dem Bereich der Thin Slicing zugeordnet, ein Begriff um die Fähigkeit zu beschreiben, aus sehr kurzen Beobachtungen überraschend genaue Schlüsse über andere Menschen zu ziehen. Solche Urteile können innerhalb weniger Sekunden entstehen und sind oft ebenso zuverlässig wie Bewertungen, die auf längerer Beobachtung basieren. Studien zeigen, dass beispielsweise Beobachtungen von Lehrern, die nur wenige Sekunden dauern, ähnliche Einschätzungen der Persönlichkeit oder Kompetenz ermöglichen wie solche nach einem ganzen Semester. Das 3-Sekunden-Phänomen verweist somit auf die bemerkenswerte Effizienz und zugleich Anfälligkeit unserer intuitiven sozialen Wahrnehmung – sie kann sowohl nützlich als auch durch Vorurteile verzerrt sein.

Literatur

Ambady, N. & Rosenthal, R. (1992). Thin slices of expressive behavior as predictors of interpersonal consequences: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 111, 256–274.


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