Sukzessives Wiederlernen – successive relearning – ist ein lernpsychologisches Konzept, das zwei wirksame Strategien des nachhaltigen Lernens miteinander kombiniert: Abrufübung (retrieval practice) und verteiltes Üben (distributed practice). Dabei geht es nicht nur darum, Lerninhalte mehrfach zu wiederholen, sondern sie in mehreren über die Zeit verteilten Lernsitzungen so lange zu üben, bis sie jeweils erneut vollständig beherrscht werden. Die Grundidee ist, dass Wissen, das einmal gelernt wurde, nicht dauerhaft im Gedächtnis bleibt, sondern über die Zeit hinweg zunehmend vergessen wird – insbesondere, wenn es nicht erneut aktiviert wird. Sukzessives Wiederlernen setzt genau hier an, indem es gezielte Wiederlernphasen vorsieht, in denen das Wissen erneut vollständig abrufbar gemacht wird. Es handelt sich also um einen zyklischen Lernprozess, in dem Erwerb, Vergessen und Wiederaneignung systematisch aufeinander folgen (Bahrick, 1979).
Ein typisches Beispiel für sukzessives Wiederlernen wäre das Lernen eines biologischen Mechanismus: Nachdem die Lernenden den Mechanismus zunächst korrekt erklären können, wird diese Erklärung nach mehreren Tagen – etwa nach 2, 9 und 16 Tagen – erneut geübt, jeweils so lange, bis sie wieder korrekt wiedergegeben werden kann. Das Gleiche gilt für mathematische Verfahren, bei denen das korrekte Anwenden nach der ersten Lernphase später mehrfach überprüft und bei Bedarf wieder eingeübt wird. Im Gegensatz zu kurzfristigem Lernen vor Prüfungen wird beim sukzessiven Wiederlernen angestrebt, dass die Inhalte zu jedem Zeitpunkt der Wiederholung vollständig beherrscht werden – vergleichbar mit Übungsprozessen im Sport oder bei anderen komplexen Fertigkeiten (Rawson & Dunlosky, 2022).
Die theoretische Fundierung dieses Ansatzes basiert auf Erkenntnissen zur Vergessenskurve und zur Gedächtniskonsolidierung. Frühere Studien zeigten, dass der Großteil des in einer ersten Lernphase gelernten Wissens bereits vor der nächsten Lerneinheit wieder vergessen ist (Bahrick, 1979). Daraus leitet sich ab, dass nachhaltiges Wissen nur dann aufgebaut werden kann, wenn die Lernenden Inhalte wiederholt abrufen und erneut bis zur sicheren Beherrschung üben. Das Wiederholen allein genügt nicht – entscheidend ist das erfolgreiche Abrufen des Wissens über längere Zeiträume hinweg.
Empirische Untersuchungen haben die Wirksamkeit von sukzessivem Wiederlernen bei einfachen Lerninhalten mehrfach belegt. Eine Vielzahl von Studien, die größtenteils mit Wortlisten oder kurzen Definitionen durchgeführt wurden, zeigte deutliche Vorteile dieser Methode gegenüber herkömmlichem Lernen – sowohl im Hinblick auf die Behaltensleistung bei späteren Tests als auch auf die Effizienz im Verhältnis zur investierten Lernzeit (z. B. Rawson & Dunlosky, 2011; Rawson, Vaughn & Dunlosky, 2013; Higham, 2022). In der Regel wurde dabei so vorgegangen, dass Lernende in einer initialen Lernphase Inhalte so lange übten, bis sie diese mehrmals korrekt abrufen konnten (z. B. dreimal). In späteren, über Tage oder Wochen verteilten Wiederholungsphasen wurde dieser Vorgang erneut durchgeführt, wiederum mit dem Ziel, eine bestimmte Anzahl an erfolgreichen Abrufen zu erreichen. Ein in der Forschung häufig empfohlener Ablauf ist der sogenannte „3+3-Plan“, bei dem Lernende in der ersten Phase dreimal korrekt antworten müssen und in drei späteren Wiederlernphasen jeweils noch einmal (Rawson & Dunlosky, 2011).
Ein bemerkenswerter Befund ist der sogenannte Relearning-Override-Effekt (Vaughn et al., 2016), der besagt, dass die Leistungen in den Wiederlernphasen wichtiger für den langfristigen Lernerfolg sind als die Leistungen in der initialen Lernphase. Das bedeutet, dass ein intensives Überlernen beim ersten Kontakt mit dem Lernstoff weniger effektiv ist als gezielte Wiederholungen über einen längeren Zeitraum.
Allerdings ist die Forschung zu sukzessivem Wiederlernen bislang stark auf einfaches Faktenwissen beschränkt. Die meisten Studien untersuchten das Auswendiglernen von Vokabeln oder kurzen Definitionen, was bedeutet, dass ein tiefes Verständnis des Stoffes nicht erforderlich war. Eine Ausnahme bildet eine Studie von Rawson et al. (2020), die den Effekt von sukzessivem Wiederlernen auf mathematische Problemlöseroutinen untersuchte. Hier zeigten sich jedoch nur geringe Effekte, was unter anderem darauf zurückgeführt wurde, dass keine Unterstützungsmaßnahmen zur Förderung des Verständnisses – wie erklärendes Feedback oder Lösungsbeispiele – gegeben wurden. Es bleibt daher unklar, ob sukzessives Wiederlernen in seiner bisherigen Form auch bei komplexem, bedeutungshaltigem Lernen effektiv ist. Gerade im schulischen und hochschulischen Kontext, wo das Verstehen von Zusammenhängen im Vordergrund steht, besteht hier noch erheblicher Forschungsbedarf.
Literatur
Bahrick, H. P. (1979). Maintenance of knowledge: Questions about memory we forgot to ask. Journal of Experimental Psychology: General, 108(3), 296–308.
Higham, P. A., Perfect, T. J., & Bruno, D. (2022). Improving long-term retention using successive relearning. Memory, 30(2), 217–231.
Rawson, K. A., & Dunlosky, J. (2011). Optimizing schedules of retrieval practice for durable and efficient learning: How much is enough? Journal of Experimental Psychology: General, 140(3), 283–302.
Rawson, K. A., Vaughn, K. E., & Dunlosky, J. (2013). How and when do students use flashcards? Memory, 21(5), 678–689.
Rawson, K. A., Dunlosky, J., & Sciartelli, S. M. (2020). The effectiveness of successive relearning for enhancing student learning: Mediating effects of self-regulated learning. Journal of Educational Psychology, 112(1), 73–85.
Vaughn, K. E., Rawson, K. A., & Dunlosky, J. (2016). How to use retrieval practice to improve learning. Psychological Science in the Public Interest, 17(3), 20–27.