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Gesunder Menschenverstand

    Der Begriff gesunder Menschenverstand, manchmal auch Hausverstand oder common sense wird in unterschiedlichen Kontexten wie Alltagsgesprächen, politischen Debatten und Bewertungen künstlicher Intelligenz so häufig verwendet, dass man annehmen könnte, dass seine Bedeutung unproblematisch ist. Oft wird der Begriff auch verwendet, um eine einfache und kluge Herangehensweise an bestimmte Situationen zu beschreiben, ohne sich auf spezifisches Fachwissen oder komplexe Theorien zu stützen. Es soll sich um eine Art intuitives Verständnis für das handeln, was als vernünftig, praktisch oder angemessen betrachtet wird, wobei oft die Fähigkeit unterstellt wird, Probleme zu lösen, Situationen einzuschätzen und angemessene Entscheidungen zu treffen, ohne auf komplexe Analyse oder formale Ausbildung angewiesen zu sein.

    Aus der Perspektive der Psychologie ist der gesunde Menschenverstand eine Fähigkeit, die es Menschen ermöglicht, die Welt um sie herum zu verstehen und sinnvolle Entscheidungen zu treffen, wobei er geprägt ist von einer Reihe von kognitiven und emotionalen Fähigkeiten, darunter:

    • Kognitive Fähigkeiten: Dazu gehören die Fähigkeit zu denken, zu lernen, zu erinnern, zu problemlösen und zu entscheiden. Wahrnehmung: Die Fähigkeit, Informationen aus der Umwelt aufzunehmen und zu verarbeiten. Gedächtnis: Die Fähigkeit, Informationen zu speichern und abrufen zu können. Problemlösen: Die Fähigkeit, neue Situationen zu verstehen und Lösungen zu finden. Entscheidungsfindung: Die Fähigkeit, zwischen verschiedenen Möglichkeiten zu wählen
    • Emotionale Fähigkeiten: Dazu gehören die Fähigkeit, Emotionen zu verstehen, zu regulieren und auszudrücken.
    • Soziale Fähigkeiten: Dazu gehören die Fähigkeit, mit anderen Menschen zu kommunizieren, zu kooperieren und Beziehungen aufzubauen. Empathie: Die Fähigkeit, die Gefühle und Perspektiven anderer Menschen zu verstehen. Kommunikation: Die Fähigkeit, sich klar und verständlich auszudrücken. Kooperation: Die Fähigkeit, gemeinsam mit anderen Menschen an einem Ziel zu arbeiten. Soziale Kompetenz: Die Fähigkeit, soziale Beziehungen aufzubauen und zu pflegen.

    Whiting & Watts (2024) haben nun versucht, einen analytischen Rahmen für die Quantifizierung der beiden Elemente des gesunden Menschenverstands zu zeichnen, also der intrinsischen Eigenschaften des gesundem Menschenverstand (was eine Behauptung zu einem gesunden Menschenverstand macht) als auch des Ausmaßes, in dem dieser von Menschen geteilt wird (Allgemeingültigkeit). Sie definieren zunächst den Gemeinsinn einzelner Behauptungen und Personen anhand der Neigung der letzteren, sich auf Erstere zu einigen, und ihres Bewusstseins, dass sie sich gegenseitig zustimmen, und versuchen die Gemeinsamkeit des Gemeinsinns als ein Cliquenerkennungsproblem auf einem zweiseitigen Glaubensgraph von Personen und Behauptungen zuformalisieren, wobei sie Gemeinsinn als den Anteil von Behauptungen definieren, die von einem bestimmten Anteil von Personen geteilt werden. In einer Fallstudie mit über zweitausend Probanden sammelten sie mehr als viertausend Aussagen aus den unterschiedlichsten Themenbereichen – von philosophischen Ideen bis zu faktischen Aussagen über die Welt, darunter:

    • „Dreiecke haben drei Seiten.“
    • „Alle Menschen sind gleich.“
    • „Zahlen lügen nicht, wir sollten immer auf die Mathematik vertrauen.“
    • „Wahrnehmung ist die einzige Quelle des Wissens. Was nicht wahrgenommen wird, existiert nicht.“
    • „Bildungschancen müssen für alle gleich sein.“
    • „Lebe als ob du morgen sterben würdest. Lerne als ob du ewig leben würdest.“
    • „Eine Batterie kann nicht ewig Energie liefern.“
    • „Bei Sportveranstaltungen sollte Alkohol für Fans eingeschränkt werden.“

    Whiting & Watts (2024) stellten dabei fest, dass gesunder Menschenverstand am ehesten mit klar formulierten, faktenähnlichen Aussagen über die physische Alltagsrealität übereinstimmt, wobei psychometrische Merkmale wie die soziale Wahrnehmungsfähigkeit den individuellen gesunden Menschenverstand beeinflussen, aber überraschenderweise nicht demographische Faktoren wie Alter oder Geschlecht. Schließlich wurde festgestellt, dass kollektiver gesunder Menschenverstand selten ist, da die meisten Aussagen nur von einer sehr kleinen Anzahl von Personen geteilt werden, insbesondere solche, die eher Handlungsanweisungen und Behauptungen darstellen.

    Universalistische Annahmen über den gesunden Menschenverstand sind daher eher fragwürdig und werfen Fragen nach seiner Variabilität auf, die sowohl für die menschliche als auch für die künstliche Intelligenz relevant sind. Der gesunde Menschenverstand kann sich also von Mensch zu Mensch unterscheiden und ist kollektiv nur in begrenztem Maße vorhanden. Aussagen, die diesem Begriff zugeordnet werden, sind daher in der Regel weit entfernt von allgemein gültigem und selbstverständlichen Wissen, sondern passen eher in das Weltbild des Menschen, der sich auf den gesunden Menschenverstand beruft, so dass der oft bemühte gesunde Menschenverstand wohl eher ein rhetorisches Mittel eines Totschlagarguments ist, als Ausdruck vernunftorientierten Denkens. Der Begriff wird offensichtlich in verschiedenen Kulturen oder Kontexten unterschiedlich interpretiert, da er oft auf gemeinsamen kulturellen Werten, sozialen Normen und persönlichen Erfahrungen beruht.

     

    Literatur

    Whiting, Mark E. & Watts, Duncan J. (2024). A framework for quantifying individual and collective common sense. Proceedings of the National Academy of Sciences, 121, doi:10.1073/pnas.2309535121.


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