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Stockholm-Syndrom

    Das Stockholm-Syndrom ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Opfer von Geiselnahmen oder anderen Formen von Gewalt eine emotionale Bindung zu ihren Peinigern entwickeln, die sich in Form von Sympathie, Verständnis, Dankbarkeit oder sogar Liebe äußern kann. Der Begriff wurde 1973 nach einem Banküberfall in Stockholm geprägt, bei dem sich die Geiseln nach ihrer Befreiung positiv über ihre Entführer äußerten. Bekannt ist auch der Fall der Millionenerbin Patty Hearst, die entführt und misshandelt wurde und sich zwei Monate später den Anführern anschloss und mit ihnen einen Banküberfall beging. Auch Natascha Kampusch, die als Kind entführt und jahrelang gefangen gehalten wurde, wird oft als klassisches Beispiel für das Stockholm-Syndrom angeführt, wobei das Stockholm-Syndrom vor allem als rationale Überlebensstrategie beschrieben wird.

    Das Stockholm-Syndrom kann sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern auftreten, es kann kurz nach der Entführung auftreten, aber auch erst nach einiger Zeit, und es kann auch nach der Freilassung der Geisel bestehen bleiben. In den Medien wird häufig über solche aufsehenerregenden Fälle berichtet, aber es gibt nur wenige wissenschaftliche Arbeiten über das Stockholm-Syndrom, obwohl die Untersuchung von Medienberichten Ähnlichkeiten zwischen gut publizierten Fällen aufzeigt, was auf eine Verzerrung der Berichterstattung und Veröffentlichung zurückzuführen sein könnte.

    Es wird vermutet, dass das Stockholm-Syndrom durch eine Reihe von Faktoren verursacht wird, wie z.B. die Isolation der Geiseln von der Außenwelt, wodurch die Geiseln von ihren gewohnten sozialen Beziehungen abgeschnitten werden und existenziell von den Geiselnehmern abhängig sind. Hinzu kommt, dass sich die Geiselnehmer durch ihre Zuwendung und Fürsorge als Retter oder Beschützer der Geiseln darstellen können oder die Geiseln aus Angst vor weiteren Repressalien versuchen, sich den Geiselnehmern anzunähern. Das Stockholm-Syndrom ist also ein komplexes Phänomen, wobei klar ist, dass das Stockholm-Syndrom eine normale Reaktion auf eine Extremsituation ist, d.h. die Geiseln sind nicht für ihre Bindung an die Geiselnehmer verantwortlich.

    Namnyak et al. (2008) haben in einer Metastudie systematisch Merkmale von Fällen untersucht, über die in englischsprachigen Medien häufig berichtet wurde, um gemeinsame Themen zu identifizieren, die ein erkennbares Syndrom bilden könnten. Sie konnten zeigen, dass das Stockholm-Syndrom letztlich eine zweifelhafte Pathologie ohne diagnostische Kriterien ist. Der größte Teil der Literatur basiert auf Fallberichten, die wenig Aufschluss darüber geben, wie das Stockholm-Syndrom diagnostiziert wurde und welche Bedeutung es, wenn überhaupt, für den Umgang mit den Opfern hat.


    Anmerkung: Gelegentlich wird der Begriff auch für Opfer häuslicher Gewalt verwendet, die trotz schwerster Misshandlungen bei ihrem Partner bleiben, doch wird hier heute eher der Begriff Traumabindung oder Trauma Bonding verwendet, da der Begriff Syndrom einer solchen Bindung ein gewisses Maß an Irrationalität zuschreibt, das aber in diesen Fällen nicht gegeben ist, und dem Opfer implizit auch einen Teil der Schuld zuschreibt. Liv Jesson beschreibt in ihrem Buch das Stockholm-Syndrom als ein starkes, aber giftiges emotionales Symptom einer toxischen Beziehung, d. h., man wird von seinem Partner grausam behandelt und tut dennoch alles in der Macht Stehende, um die Beziehung aufrechtzuerhalten. Man wird häufig belogen, manipuliert, beschimpft und oft auch körperlich misshandelt, dennoch kann man sich ein Leben ohne den Missbraucher nicht vorstellen. Die Autorin hat in einer dreizehnjährigen Geschichte die Tiefen einer missbräuchlichen Beziehung durchlitten und war an ihren Missbraucher gekettet, und hat trotz vieler Versuche, die Beziehung zu verlassen, nur um dann in der Hoffnung zurückzukehren, dass sich die Dinge ändern würden, sich nicht von der Beziehung losreißen, die ihr Selbstwertgefühl und ihre geistige Gesundheit zerstörte.

    Literatur

    Namnyak, M., Tufton, N., Szekely, R., Toal, M., Worboys, S.,& Sampson, E. L. (2008). ‚Stockholm syndrome‘: psychiatric diagnosis or urban myth? Acta psychiatrica Scandinavica, 117, 4–11.
    Stangl, W. (2014, 14. Jänner). Parental Alienation Syndrome – PAS. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik. https:// lexikon.stangl.eu/8107/parental-alienation-syndrome-pas.


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