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Reziproker Altruismus

    Altruismus wird in der Regel als Verhaltensweise eines Individuums zugunsten eines anderen Individuums definiert, wobei die Verhaltensweise dem altruistischen Individuum unmittelbar mehr Kosten als Nutzen einbringt. Altruistisches Verhalten kann daher langfristig positiv auf den Fortpflanzungserfolg des altruistischen Individuums oder mit ihm verwandter Individuen zurückwirken. Reziproker Altruismus bezieht sich dabei auf eine Form des Altruismus, bei dem eine Person bereit ist, anderen zu helfen, auch wenn es Kosten oder Risiken für sich selbst mit sich bringt. Im Kontext des Altruismus bedeutet dies, dass die Hilfe, die eine Person anbietet, mit der Erwartung verbunden ist, dass sie in der Zukunft selbst Hilfe erhalten wird. Die Idee hinter reziprokem Altruismus ist, dass Menschen kooperieren und sich gegenseitig unterstützen, weil sie glauben, dass diese gegenseitige Hilfe langfristige Vorteile für alle Beteiligten bringt, wobei diese Form des Altruismus oft in sozialen Situationen beobachtet wird, in denen Menschen wiederholt miteinander interagieren, wie etwa in engen Gemeinschaften, Gruppen oder zwischen Freunden. In menschlichen Gesellschaften kann reziproker Altruismus in verschiedenen sozialen Interaktionen und Kooperationen auftreten, sei es auf persönlicher oder gesellschaftlicher Ebene.

    Ein Beispiel für reziproken Altruismus findet sich auch in der Tierwelt, und zwar bei Tieren, die in Gruppen leben, wobei ein Individuum einem anderen in der Gruppe beim Verteidigen gegen einen gemeinsamen Feind helfen könnte, in der Erwartung, dass es später selbst Unterstützung erhalten wird, wenn es bedroht wird.

    Die Evolution der kooperativen Fortpflanzung wird traditionell auf die Wirkung der Verwandtenselektion zurückgeführt, doch es gibt zunehmend empirische Belege dafür, dass direkte Fitnessvorteile relevant sein könnten. García-Ruiz et al. (2024) konnten jedoch zeigen, dass direkte Fitnessvorteile aus der Gruppenzusammensetzung die Hauptantriebskraft für die Evolution der Brutortstreue (Philopatrie) sind, wobei die Verwandtenselektion hauptsächlich für das Aufkommen der alloparentalen Fürsorge – elterliche Fürsorge eines Individuums für Jungtiere, die nicht seine eigenen direkten Nachkommen sind -, klassifiziert – verantwortlich ist, aber in rauen Umgebungen eine Gruppenvergrößerung ein ausreichender Promotor sein kann. Die Koevolution von Philopatrie und alloparentaler Fürsorge unterliegt offenbar einer positiven Rückkopplung, wobei die altersabhängige Ausbreitung sowohl durch Gruppennutzen als auch durch Verwandtschaft ausgelöst wird. Zwar ist unter günstigen Umweltbedingungen die Verwandtenselektion von großer Bedeutung für die Entstehung altruistischen Verhaltens, doch in einer gefährlichen Umwelt spielt Verwandtschaft keine große Rolle für die Evolution von altruistischer Brutpflegehilfe, denn dann ist nämlich der eigene Sicherheitsvorteil durch die via Kooperation gesteigerte Gruppengröße wichtiger für die Evolution nicht-elterlicher Brutpflege.
    Die Soziobiologie geht dabei weg vom Individuum und fragt, was für ein Verhalten denn für die Gene am sinnvollsten wäre, und da zeigt sich, dass – rein vom Genbestand her – es sinnvoll ist, verwandte Individuen zu unterstützen, da diese zumindest teilweise das gleiche Genmaterial besitzen. So kann man beobachten, dass manche Tiere auf eigenen Nachwuchs verzichten, um den Nachwuchs der Geschwister mit großzuziehen. Dieses Verhalten ist aber nur phänotypisch altruistisch, auf genetischer Ebene kann es sehr eigennützig sein, da auf diese Weise das Weiterbestehen der eigenen Gene am besten gesichert werden kann (kin selection). Die Soziobiologen kommen also nicht wie Lorenz zu dem Schluss, dass Selektion arterhaltendes Verhalten fördert, sondern dass es auf die Gesamtfitness einer Gruppe ankommt. Das Verhalten ist adaptiv, dass meine Gene und die meiner Verwandten schützt und weitergibt. Aber auch nicht verwandte Individuen können sich gegenseitig helfen, allerdings nur unter ganz bestimmten Bedingungen, die Robert Trivers zusammengefaßt hat: Die Lebensdauer der Individuen muß so groß sein, dass das „altruistische“ Individuum erwarten kann, von dem momentanen Nutznießer die gleiche Hilfe zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch nehmen zu können; die beiden Individuen müssen in einer sozialen Gruppe zusammenleben und eine gewisse Vertrautheit haben, denn dann kann reziproker Altruismus entstehen. (Stangl, 2024).

    Literatur

    García-Ruiz, Irene, Quiñones, Andrés & Taborsky, Michael (2024). The evolution of cooperative breeding by direct and indirect fitness effects. Science Advances, 8, doi:10.1126/sciadv.abl7853.
    Stangl, W. (2024, 14. Jänner). Gibt es eine natürliche Moral. [werner stangl]s arbeitsblätter.
    https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MORALISCHEENTWICKLUNG/NatuerlicheMoral.shtml


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