Kopfrichtungszellen sind Nervenzellen im Gehirn, die darauf spezialisiert sind, die Richtung des Kopfes im Raum zu kodieren. Kopfrichtungszellen befinden sich in verschiedenen Regionen des Gehirns, einschließlich der Großhirnrinde, des Thalamus und des Mittelhirns, und sind mit Sinnesorganen wie den Augen, dem Gleichgewichtsorgan und dem Beschleunigungssensor verbunden. Kopfrichtungszellen sind mit einem Durchmesser von etwa 10 Mikrometern relativ klein, mit einer Vielzahl von Synapsen verbunden, die von anderen Nervenzellen in verschiedenen Regionen des Gehirns stammen, und in der Lage, sehr schnelle Änderungen der Kopfrichtung zu erfassen. Jede Kopfrichtungszelle reagiert spezifisch auf eine bestimmte Kopfrichtung, d.h. wenn sich der Kopf in diese Richtung dreht, sendet die Zelle mehr Aktionspotentiale aus. Diese Zellen sind Teil des vestibulären Systems, das für die Wahrnehmung des Gleichgewichts und der räumlichen Orientierung verantwortlich ist.
Das vestibuläre System bezieht Informationen aus den Innenohren, den Augen und den Propriozeptoren (Rezeptoren, die die Position und Bewegung der Gliedmaßen wahrnehmen) und trägt zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts und der räumlichen Ausrichtung des Körpers bei. Kopfrichtungszellen befinden sich insbesondere im Hirnstamm, genauer gesagt im Vestibulariskernkomplex, und feuern Aktionspotenziale ab, wenn der Kopf in eine bestimmte Richtung bewegt wird. Durch die Integration der Informationen von verschiedenen Sinnesorganen kann das Gehirn dann eine genaue Vorstellung von der Kopfposition im Raum entwickeln. Diese Kopfrichtungszellen im Gehirn werden seit ihrer Entdeckung in den 1990er Jahren als innerer Kompass bezeichnet, da sie jeweils spezifisch aktiviert werden, wenn der Kopf eines Tieres oder Menschen in eine bestimmte Richtung zeigt. Dadurch entsteht im Gehirn ein inneres Abbild der Kopfrichtung. Nach neuerer Forschung könnten Kopfrichtungszellen auch an der Bildung von Erinnerungen beteiligt sein, denn sie helfen dabei, Erinnerungen an Orte und Ereignisse mit der Kopfrichtung zu verknüpfen. Blanco-Hernández et al. (2024) fanden nun am Mausmodell heraus, dass die Funktion der Kopfrichtungszellen weit darüber hinaus geht, denn möglicherweise bilden sie im Gehirn einen wichtigen Eingang für Sinnes- und Gefühlsinformationen, die in die Bildung von Erinnerungen an Erlebtes eingehen, also in das episodische Gedächtnis. Bei wachen Mäusen entdeckte man nämlich, dass sensorische Reize robuste Kurzzeitantworten in thalamischen Kopfrichtungszellen, aber nicht in Kopfrichtungszellen-Neuronen hervorrufen.Als man nämlich die elektrische Aktivität im Mäusegehirn aufzeichnete, stellte man fest, dass die Kopfrichtungszellen im Thalamus aktiv wurden, wenn sie die Maus Sinnesreizen aussetzten, denn sowohl beim Vorspielen eines Tones als auch beim Berühren eines Tasthaares an der Schnauze der Maus wurden gezielt und zuverlässig und mit bemerkenswert kurzer Verzögerung nur die Kopfrichtungszellen aktiviert. Die Aktivität dieser Zellen war eng mit Hirnzustandsschwankungen korreliert und wurde während sozialer Interaktionen dynamisch moduliert, was nichts anderes bedeutet, als dass diese Daten auf eine neue Rolle des thalamischen Kompasses bei der Weitergabe von sensorischen und verhaltensbezogenen Informationen hindeuten. Kopfrichtungszellen im Thalamus könnten daher einen entscheidenden Beitrag zur Aufnahme und Weiterleitung von Sinnesinformationen, Aufmerksamkeits- und Erregungszuständen in das System des episodischen Gedächtnisses ausmachen.
Historische Anmerkung: Schon Tolman untersuchte experimentell, wie das Gehirn den wahrgenommenen Raum konstruiert und wählte als Versuchstiere Laborratten. Diese mussten in mehreren aufeinander folgenden Versuchen einen Weg durch ein verschachteltes Labyrinth finden. Tolman wollte damit klären, ob Ratten ihre räumliche Orientierung durch reines Verhalten erwerben oder ob dabei übergeordnete kognitive Prozesse eine Rolle spielen. Am Ende seiner Versuchsreihen stellte Tolman die These auf, dass Ratten spontan eine mentale Repräsentation des Labyrinths erzeugen, mit deren Hilfe sie bewusst Orte lokalisieren und Wege planen. Diese mentale Repräsentation bezeichnete er als kognitive Landkarte. Unter einer kognitiven Landkarte versteht man in der Psychologie also die mentale Repräsentation der eigenen Umgebung, d.h. Ratten verhalten sich nach dem Erkunden eines Labyrinths so, als hätten sie eine kognitive Landkarte dieses Labyrinths in ihrem Gedächtnis (Stangl, 2024).
Siehe dazu auch Gitterzellen.
Literatur
Eduardo Blanco-Hernández, Giuseppe Balsamo, Patricia Preston-Ferrer and Andrea Burgalossi: Sensory and behavioral modulation of thalamic head-direction cells. Nature Neuroscience, doi:10.1038/s41593-023-01506-1.
Stangl, W. (2012, 8 April). kognitive Landkarte. Online Lexikon für Psychologie & Pädagogik.
https:// lexikon.stangl.eu/3921/kognitive-landkarte