Zum Inhalt springen

Große Illusion

    In der Psychologie bezeichnet der Begriff Große Illusion die Vorstellung, dass die Welt, wie Menschen sie wahrnehmen, eine objektive Realität ist. Diese Illusion entsteht durch die Sinne, die aber nur einen kleinen Teil der Welt vermitteln. Das Gehirn setzt die Informationen aus den Sinnen dann zu einem Gesamtbild zusammen, das man für die Wirklichkeit hält. Menschen haben aber den Eindruck, ständig die ganze Welt um sich herum wahrzunehmen, und zwar in alles realistischen Details, doch tatsächlich sehen sie das Meiste überhaupt nicht und erfassen nur winzige Ausschnitte. Experimente zeigen, wie unfassbar klein oft dieses Fenster zur Welt ist und dass Menschen zu jedem Zeitpunkt eigentlich nur jeweils eine einzige Sache registrieren, etwa ein Wort, wenn sie lesen, oder ein Detail der Welt, eine Farbe, wenn sie ein Objekt betrachten. Die Große Illusion ist daher ein zentraler, komplexer und auch faszinierender Bereich der Psychologie, der wichtig für das Verständnis von Denken, Wahrnehmung und Handeln von Menschen ist, also den Gegenstandbereich der Psychologie.

    Die Große Illusion ist zugleich eine wichtige Grundlage für das menschliche Denken und Handeln, denn erst sie ermöglicht es, die Welt zu verstehen und mit ihr zu interagieren, was allerdings auch zu Fehlurteilen und Illusionen führen kann. Ein gutes Beispiel für eine Illusion ist die Müller-Lyer-Täuschung, bei der zwei Linien, die gleich lang sind, unterschiedlich lang aussehen, je nachdem wie die Pfeile an den Enden angeordnet sind.

    Die Große Illusion führt auch zu zahlreichen kognitiven Verzerrungen, also systematischen Fehlern im Denken, die dazu führen, dass man Informationen deshalb nicht objektiv wahrnimmt, weil man etwas Bestimmtes erwartet hat und das dann auch noch mit Überzeugung sieht, obwohl es eigentlich gar nicht vorhanden ist. Ein Beispiel für eine solche kognitive Verzerrung ist etwa auch der Bestätigungs-Bias, bei dem man nur nach Informationen sucht, die den eigenen bestehenden Überzeugungen entsprechen. Das menschliche Gehirn ist durch solche Wahrnehmungfehler aber auch sehr gut darin, komplexe Objekte schnell zu erkennen, etwa den Gefühlsausdruck eines anderen Gesichts, aber das geht auf Kosten der Genauigkeit. Daher ist das innere Bild, das sich Menschen von der Welt machen, lückenhaft und inkohärent.

    Im Laufe der Geschichte der Psychologie und der Erforschung des menschlichen Verhaltens, Denkens, Fühlens und Erlebens wurden zahlreiche Illusionen oder falsche Vorstellungen betrachtet:

    • Die Illusion der Objektivität: Einige Psychologen argumentieren, dass es schwer ist, objektive Erkenntnisse über das menschliche Verhalten zu gewinnen, da die Wahrnehmungen und Interpretationen oft von persönlichen Vorurteilen und kulturellen Einflüssen geprägt sind. Die Vorstellung, dass man als Wissenschaftler völlig objektiv sein kann, wird daher als Illusion betrachtet.
    • Die Illusion der Rationalität: Die klassische Wirtschaftstheorie und einige Modelle der Entscheidungsfindung in der Psychologie gehen davon aus, dass Menschen rational handeln und immer die besten Entscheidungen treffen. In der Realität zeigen jedoch viele Studien, dass Menschen oft von Emotionen und Heuristiken beeinflusst werden, was zu scheinbar irrationalen Entscheidungen führen kann. Nach Ansicht der Neurowissenschaften leiden alle Menschen an dieser Rationalitätsillusion, denn ihr Gehirn baut permanent Welten, die ihnen richtig und vernünftig erscheinen, doch tatsächlich ist diese Wahrnehmung der Realität nur eine Fantasie, die einmal mehr und einmal weniger mit der Welt da draußen übereinstimmt. Eine kritische Sicht auf die Vorgänge im Gehirn zwingt demnach Menschen dazu, das eigene Denken kritisch zu hinterfragen und auch anderen Überzeugungen gegenüber offen zu bleiben bzw. hilft auch, andere Menschen, die etwa tatsächlich psychisch erkrankt sind, besser zu verstehen.
    • Die Illusion der Einheitlichkeit: Die Annahme, dass es eine universelle menschliche Natur oder eine gemeinsame psychologische Struktur gibt, kann ebenfalls als Illusion angesehen werden, denn verschiedene Kulturen und Individuen können erheblich voneinander abweichen, und es gibt keine einfache Formel, um menschliches Verhalten in allen Kontexten vorherzusagen.
    • Die Illusion der Selbstkenntnis: Viele Menschen glauben, dass sie sich selbst gut kennen und ihre eigenen Motive und Gefühle verstehen, doch die Forschung hat gezeigt, dass das Selbstverständnis oft unvollständig oder fehlerhaft sein kann.

    Man kann, wie es viele Wissenschaftler tun, einfach annehmen, dass die Intuitionen darüber, wie der menschliche Geist funktioniert, grundlegend falsch sind. Zwar haben wir den Eindruck, dass die äußere Welt im Inneren halbwegs korrekt widergespiegelt wird, doch das ist offensichtlich nicht der Fall, denn sonst würde unmögliche Figuren ­sofort als unmöglich zurückweisen. Wesentlich ist daher die Einsicht, dass Menschen alles nur punktuell wahrnehmen, denn nur punktuell ist ein Objekt wie einer Farbe oder ein Gesicht stimmig oder sinnvoll, aber eben nicht als Ganzes. Diese Wahrnehmung kann wenn ich halbe Stunde später schon völlig anders sein. Dabei kann bei Täuschungen das menschliche Gehirn gar nicht anders, als immer wieder so zu tun, als sei das Objekt stimmig, sogar noch, wenn es längst weiß, dass dieser Eindruck falsch ist. Ein permanenter Zweifel an seinem eigenen Wahrnehmungen kann bekannlich zu allerlei psychischen Problemen führen.


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::

    Schreibe einen Kommentar

    Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert