Der Hindsight-Bias (Rückschaufehler) beschreibt in der Psychologie das Phänomen, dass Menschen sich, nachdem sie den Ausgang von Ereignissen erfahren, systematisch falsch an ihre früheren Vorhersagen erinnern, also die Verzerrung einer Erinnerung durch nachträgliche Einsicht stattfindet. Dieses Phänomen wurde erstmals 1975 von Baruch Fischhoff untersucht.
Beispiele
Wenn man im Internet etwas Neues über das Corona-Virus erfährt, sollte man nicht sofort denken, man hätte es ohnehin schon vorher gewusst. Die Erinnerung an das vorheriges Wissen wird im Gehirn – ohne dass man es überhaupt merkt – durch eine neue Behauptung oder Nachricht verändert. Oft glaubt man nur, man hätte vorher schon mit seiner Einschätzung richtig gelegen. Daher sollte man sorgfältig prüfen, ob man nicht doch etwas Neues über Sars-CoV-2 gehört oder gelesen hat.
Ein weiteres anschauliches Beispiel liefert der Umgang mit Donald Trumps Wirtschaftspolitik. Nach seinem Wahlsieg stiegen die US-Börsenkurse stark an, und viele meinten rückblickend: „Das war doch klar – er hat ja Steuererleichterungen angekündigt.“ Als seine Zollpolitik die Kurse wieder einbrechen ließ, hieß es plötzlich: „Das musste ja so kommen – Zölle schaden immer nur.“ Und als die Kurse sich erneut erholten, sagten dieselben Stimmen: „Ich habe gleich gesagt, dass das nur Säbelrasseln ist.“ Solche rückblickenden Deutungen vermitteln den Eindruck, man hätte die Entwicklungen immer schon richtig eingeschätzt – obwohl das oft nicht der Fall war.
Ein ähnliches Muster zeigte sich beim Platzen der New-Economy-Blase um das Jahr 2000. Viele Anleger behaupteten im Nachhinein, sie hätten den Crash kommen sehen – auch wenn sie selbst hohe Verluste erlitten hatten. Der Rückschaufehler bietet hier Trost: Wenn etwas unvermeidlich war, muss man sich keine Vorwürfe machen.
Auch in der Arbeitswelt tritt dieses Phänomen auf. Während der Corona-Pandemie lobten viele Unternehmen das Homeoffice, weil die Produktivität nicht sank. Doch heute, in wirtschaftlich schwierigerer Lage, kehrt sich die Meinung um: Man hört nun oft, es sei „doch klar gewesen“, dass Mitarbeitende im Homeoffice weniger leisten.
Ein Experiment mit Pokerspielern verdeutlicht, dass Experten weniger anfällig für den Rückschaufehler sind. Teilnehmer sollten die Gewinnchancen einer Pokerhand vor und nach der Auflösung bewerten. Erfahrene Spieler blieben näher an ihrer ursprünglichen Einschätzung und korrigierten sich seltener im Nachhinein – sie ließen sich also weniger vom Ausgang beeinflussen.
Daneben gibt es die Verzerrung durch falschen Konsens oder Konsensüberschätzung – false consensus effect. Damit wird in der Psychologie die Tendenz beschrieben, das Ausmaß der Übereinstimmung der eigenen Einstellungen und Verhaltensweisen mit denen anderer Menschen zu überschätzen.
Ein typisches Beispiel für einen Rückschaufehler nennt der Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman: Wenn man den Ausgang eines Ereignisses, etwa die Entwicklung einer Aktie, kennt, erinnert man sich oft fälschlicherweise daran, dass man den Ausgang ohnehin vorhergesehen hat. Das führt in weiterer Folge zu Selbstüberschätzung, d. h., man glaubt, die Möglichkeit zu haben, andere künftige Ereignisse ebenso treffend vorhersagen zu können. Menschen suchen Bestätigung für ihr Handeln und ihre Weltsicht, verzetteln sich dabei aber in Details und verlieren das große Ganze aus dem Blick. So haben Privatanleger viel zu viele Investmentmentideen, mit denen sie glaubten, die Welt erklären zu können, setzten diese auch bei ihren Kaufentscheidungen um und handeln daher viel zu viel. Das verursache nicht nur hohe Spesen, sondern die Anleger verkaufen auch noch die falschen Papiere, nämlich die, die gestiegen sind. In der Realität neigen jedoch Aktien, die gestiegen sind, oft dazu, weiter zu steigen. Siehe dazu das Arbeitsblatt Spekulation als Glücksspiel (Stangl, 2017).
Literatur
Fischhoff, B. (1975). Hindsight ≠ foresight: Effect of outcome knowledge on judgment under uncertainty. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 1(3), 288-299.
Stangl, W. (2017). Spekulation als Glücksspiel. [werner stangl]s arbeitsblätter.
WWW: https://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/SUCHT/Spekulation.shtml (2017-09-25)
Die Presse vom 13. Juni 2016
https://www.zeit.de/digital/internet/2020-03/fake-news-coronavirus-falschnachrichten-luegen-panikmache (20-03-18)