Zum Inhalt springen

Schüchternheit

    Unter Schüchternheit – oft auch als Scheu bezeichnet – versteht man die Ängstlichkeit eines Menschen beim Anknüpfen zwischenmenschlicher Beziehungen. Ängstlichkeit und Gehemmtheit entstehen im sozialen Umgang vor allem dann, wenn die Aufmerksamkeit anderer auf einen Menchen gerichtet ist , bei dem ein geringes Selbstwertgefühls vorhanden ist. Die bzw. der Schüchterne hat in ihrer bzw. seiner vorsichtigen Grundhaltung eine Abneigung dagegen, sich mit einer ganz bestimmten Person oder Sache auseinandersetzen zu müssen, d. h., sie bzw. er ist bedächtig im Reden und Handeln, scheut sich vor der Selbstbehauptung in einer sozialen Situation, ist manchmal übervorsichtig oder gar überängstlich, meist aber zurückhaltend und reserviert. Begleitet wird Schüchternheit nicht selten von heftiger körperlicher Erregung wie unwillkürlichem Erröten oder erhöhtem Puls mit beschleunigter Atmung. Nach einem älteren Bericht in „Psychologie Heute“ wird festgehalten, dass nur etwa zwanzig Prozent der Betroffenen auffällig schüchtern sind, also Symptome, wie Erröten, Stottern oder Nicht-in-die-Augen-sehen-können zeigen. Die Mehrheit hingegen bleibt unauffällig, durchleidet aber ähnlich intensive Qualen, wie Herzrasen, Schweißausbrüche, Muskelverspannungen.

    Mit Schüchternheit verbinden die meisten Menschen ein unangenehmes Gefühl der Angespanntheit im Zusammensein mit anderen Menschen, mit der in aller Regel die Angst einhergeht, negativ bewertet oder wahrgenommen zu werden. Es gibt Menschen, die nur manchmal schüchtern sind genauso wie solche, die sich ausgesprochen häufig als schüchtern wahrehmen, wobei Schüchternheit grundsätzlich in der Psychologie als Persönlichkeitsmerkmal gilt.

    Schüchternheit tritt vor allem in Leistungs- und Interaktionssituationen, also dann, wenn jemand etwa eine Prüfung ablegen oder vor vielen Menschen sprechen muss, aber auch, wenn sie in einer Gruppe Anschluss suchen. Schüchternheit ist meist dann besonders ausgeprägt, wenn man in einer sozialen Situation mit vielen Menschen niemanden kennt und sich überwinden muss, jemanden anzusprechen, wobei es aber auch Menschen gibt, die in einer unübersichtlich großen Gruppe ihre Schüchternheit ablegen, denn dann stellt sich bei ihnen das Gefühl ein, dass es ohnehin gleichgültig ist, was die anderen von ihnen denken.

    Da Schüchternheit ein weit verbreitetes Persönlichkeitsmerkmal ist, ist diese vermutlich zum Teil angeboren, d. h., wenn Eltern sehr schüchtern sind, sind es möglicherweise deren Kinder auch. Hinzu kommt das Modelllernen, denn wenn man als Kind bei seinen Eltern beobachtet, dass sie sehr zurückgezogen leben und selten Besuch empfangen, kann dieses nicht so häufig miterleben, wie diese mit anderen Menschen interagieren. Wenn also Eltern selbst in Kontakten eher zurückhaltend sind, schaut man sich eher diese Reaktionsweisen ab, sodass sich diese Zurückhaltung der Eltern auf die Kinder übertragen kann. Erziehungseinflüsse spielen insofern auch eine Rolle, wenn ein Familienklima herrscht, das stark auf soziale Abwertung fokussiert ist, denn man weiß aus Untersuchungen, dass ein elterlicher Erziehungsstil, der durch eine Kombination von Überbehütung und Abwertung gekennzeichnet ist, einen Risikofaktor für das spätere Auftreten sozialer Phobien darstellt. Eine solche Angststörung tritt bekanntlich eher in solchen Familien auf, in denen eine sehr enge Erziehungsbeziehung besteht, aber in der trotzdem häufig kritisiert wird.

    Ein gewisses Ausmaß an Schüchertnerheit ist bei Kinder normal und wichtig, denn sie sind vor allem dann schüchtern, wenn sie sich in Situationen befinden, die ihnen fremd sind. Bei Säuglingen ist regelmäßig eine Entwicklungsphase mit vorübergehender Schüchternheit zu beobachten, diese wird als Fremdeln bezeichnet und kommt zwischen dem 4. und 8. Lebensmonat vor. Dieses gehemmte Verhalten schützt sie später auch davor, mit Fremden mitzugehen und unvorsichtig zu sein, wobei man aus der Entwicklungspsychologie auch ableiten kann, dass ein gewisses Ausmaß an Schüchternheit einen wichtigen Entwicklungsschritt darstellt.

    Schüchternheit scheint mit dem psychologischen Konstrukt der behavioral inhibition in Zusammenhang zu stehen, also der Tendenz, in neuen Situationen zuerst mit Zurückhaltung und Hemmung zu reagieren. Allerdings ist behavioral inhibition im Kindesalter nicht mit einer Schüchternheit im 20. Lebensjahr zu vergleichen.

    Manchmal werden soziale Phobie und extreme Schüchternheit gleichgesetzt, doch gehört die Schüchternheit in den Bereich der Persönlichkeitspsychologie, während eine soziale Phobie der Klinischen Psychologie und damit den psychischen Störungen zuzuordnen ist. Bei der sozialen Phobie gibt es aber eine klare Grenze, ab der man von einer Störung mit Krankheitswert spricht, während Schüchternheit ein Temperamentsmerkmal und keine psychische Störung darstellt. Allerdings kann eine extreme Form der Schüchternheit eine Ausprägung einer sozialen Phobie darstellen. Schüchterheit unterscheidet sich auch von der Introversion, denn introvertierte Menschen sind sehr gerne mit sich alleine sind und verbringen so ihre Zeit. Im Unterschied zu einer sozialen Phobie empfinden sie dabei keinen Zwiespalt oder Ängste, aber auch bei Schüchternen gibt es oft einen Konflikt von Motiven, denn sie möchten vielleicht gerne im Mittelpunkt stehen und schaffen es aber nicht, über ihren eigenen Schatten zu springen. Viele schüchterne Menschen haben aber ein deshalb ein schlechtes Gewissen, weil sie manchmal lieber alleine sein oder eben nicht ständig neue Menschen kennenlernen und auf diese zugehen wollen, was auch an dem Druck liegt, dass Extraversion in der Gegenwart als ein geschätztes Persönlichkeitsmerkmal gilt.

    Soziale Netzwerke wie Facebook ermöglichen es auch schüchternen Menschen, zu anderen in Kontakt zu kommen, etwas über andere zu erfahren und mit ihnen zu kommunizieren. Baker & Oswald (2010) untersuchten den Zusammenhang zwischen der Nutzung solcher Websites und der Qualität von Freundschaften bei Menschen mit unterschiedlicher Schüchternheit. Die Teilnehmer füllten Fragebögen aus, in denen sie ihre Nutzung von Facebook, ihre Schüchternheit, ihre wahrgenommene soziale Unterstützung, ihre Einsamkeit und die Qualität der Freundschaft beurteilten. Die Ergebnisse wiesen auf eine Wechselwirkung zwischen Schüchternheit und Facebook-Nutzung hin, so dass Menschen mit hoher Schüchternheit im Vergleich zu weniger schüchternen Menschen einen stärkeren Zusammenhang zwischen Facebook-Nutzung und Freundschaftsqualität angaben. Die Facebook-Nutzung stand jedoch in keinem Zusammenhang mit der Einsamkeit von sehr schüchternen Menschen, sodass soziale Online-Netzwerke möglicherweise ein angenehmes Umfeld bieten, in dem Schüchterne mit anderen interagieren können.

    Hochgradiger Schüchternheit liegen aber manchmal psychische Störungen zugrunde, die einer psychotherapeutische Behandlung zugänglich sind.

    Die Tiefenpsychologie von Alfred Adler verknüpft Schüchternheit mit Selbstbezogenheit und der Unfähigkeit, sich für die Bedürfnisse anderer zu öffnen.

    Literatur

    Baker, Levi R. & Oswald, Debra L. (2010). Shyness and online social networking services. Journal of Social and Personal Relationships, 27, 873-889.
    http://www.report-psychologie.de/fileadmin/user_upload/Thema_des_Monats/2-13_Fehm.pdf (18-04-04)


    Impressum ::: Datenschutzerklärung ::: Nachricht ::: © Werner Stangl :::